Martinas Woche 11_2022: Wasser, virtuelle Realitäten und Energieressourcen
Flutkatastrophe 2021 – Künstliche Intelligenz Gesetz (AIA) und Bildung – Handelspolitik und Ukraine
Manche Dinge kann man auch aus Brüssel kaum mit sachlicher Distanz sehen, z. B. das Foto, auf dem Robert Habeck sich ehrfürchtig als Bittsteller vor dem Handelsminister Katars, Scheich Mohammed bin Hamad Al Thani, regelrecht verneigt. In Katar werden nicht nur Frauen im Alltag vom öffentlichen Leben ausgeschlossen, werden Homosexuelle verfolgt – das Land beteiligt sich auch am Krieg in Jemen. Vielen ist allein der Tod bringende Umgang mit mies bezahlten Arbeitern an den Sportanlagen für die kommende Fußballweltmeisterschaft Grund genug, um derartige Handelspartner weder in einer „Handelspartnerschaft“ freundlich zu begrüßen noch darin einen tragbaren „Ersatz“ für Sanktionen gegen die Abhängigkeit vom russischen Gas zu erkennen. Worin die Werte basierte und auf Menschenrechten fußende Außen- und damit auch Handelspolitik der deutschen Bundesregierung basiert, ist eine Frage, deren Antwort man nicht weiter mehr ausführen mag. Wenn Diversifizierung der Energiequellen so aussieht, wie sie Habeck nun vorexerziert, dann fragt man sich wahrlich, ob die 100 Mrd. Euro für die Truppenausrüstung bei der Bundeswehr nicht besser in erneuerbare Energien hätten gesteckt werden müssen. Obwohl: Die Frage stand auch schon vor diesem unwürdigen Deal.
Und auch wir haben in Brüssel am Donnerstag die Rede von Selenskyj im Bundestag verfolgt. Und ja, eine Debatte danach wäre wohl sinnvoll gewesen, ohne dabei dem ukrainischen Staatsoberhaupt im Krieg undiplomatisch, ohne Achtung, aber auch ohne eigene Meinungen zu begegnen.
Noch etwas fällt uns Deutschen, die wir in Brüssel ein Mandat ausüben und arbeiten, auf. Hier gibt es keinerlei Schlachten um Sonnenblumenöl, dafür jede Menge Demonstrationen gegen Rassismus und für eine bessere Klimapolitik. Denn Belgien schlägt auch eigenwillige Kapriolen in der Energiepolitik und verlängerte mal schnell die Laufzeiten der Atomkraftwerke um weitere zehn Jahre bis 2035.
Inmitten all dieser aktuellen Auseinandersetzungen tagen die Ausschüsse und setzen ihre Arbeit fort, nicht ohne aktualisierte Themen auf Tagesordnung zu setzen, so geschehen im Kulturausschuss am vergangenen Dienstag, als Geschichtswissenschaftlerinnen aus Osteuropa, Putins Background seiner geopolitischen Ambitionen auseinandernahmen. Martina nutzte den Wochenanfang außerdem, um einen Bericht ihrer Ausschussreise des Regionalausschusses in Städte und Gemeinden, die 2021 besonders von der Flutkatastrophe betroffen waren, fertigzustellen. Diese Woche wird sie diesen in der Fraktionssitzung vorstellen und ihr könnt ihn hier vorab lesen.
Regionalpolitik: „Wasser kennt keine Grenzen“ – Bericht von einer Ausschussreise
Ende Februar brach der Regionalausschuss zu einer Studienreise auf, um vor Ort mit Bürgermeisterinnen, Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch zu kommen. Die Flutkatastrophe im Juli 2021 hinterlässt bis heute enorme Schäden, Trauer und viele offenen Fragen zu funktionierendem Katastrophenschutz und einem ökologischen Umgang mit Flächen, Flüssen und Bebauung in vielen Regionen. Martina war mit ihren Ausschusskollegen Anfang Februar nach Ostbelgien, die Niederlande und nach NRW aufgebrochen, um vor Ort mit Bürgermeisterinnen und Bürgern ins Gespräch zu kommen, zu überprüfen, wie Fördergelder ankamen und genutzt wurden, was alles liegenblieb und dringender politischer Lösungen harrt. Es ging um zukünftige Bebauungspläne, Frühwarnsysteme, sinnvolle Wiederaufbaufonds und deren ökologische Ausrichtung und vieles mehr. Hier könnt ihr den erhellenden Reisebericht in Gänze nachlesen.
Kulturausschuss: Künstliche Intelligenz Gesetz
Im April 2021 veröffentlichte die Kommission ihren Vorschlag für ein Gesetz zur Regelung Künstlicher Intelligenz. Nicht zum ersten Mal beschäftigt sich auch der Kulturausschuss mit den Auswirkungen dieser Technologien, doch erstmalig geht es jetzt auch um gesetzgeberische Entscheidungen, wie weit der Einsatz von KI zum Beispiel bei automatisierten Prüfungen an Hochschulen gehen darf. Während der Pandemie bekamen diese Entwicklungen einen wahren Schub, doch deren Analyse zeigte, dass sie Bildungsungerechtigkeit im Gepäck haben und einer strengen Regulation bedürfen, die den gleichen Zugang aller zur Bildung nicht aushebelt. Der tschechische Pirat Marcel Kolaja (Grüne Fraktion) ist der Berichterstatter für den Kulturausschuss und er hat nicht nur den Bildungssektor, sondern auch Fern-Identifizierungssysteme im öffentlichen Raum unter die Lupe genommen. Martina unterstützte in der Aussprache im Kulturausschuss seine Ansätze und plädierte für exakte Definitionen des öffentlichen Raumes und der Bereiche, in denen Künstliche-Intelligenz-Technologien streng geregelt werden müssen. Die Abstimmungen zur Stellungnahme des Kulturausschusses werden wahrscheinlich erst im April/Mai 2022 kommen und dann tagen sicher bald die Ausschüsse, die sich am Ende umfassend positionieren und ihre Ergebnisse dem Parlament vorlegen, der Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten (LIBE) und der Ausschuss für den Binnenmarkt und den Verbraucherschutz (IMCO). Erst dann wird wohl die Öffentlichkeit den Stand der Debatten lauter diskutieren, aber wir versuchen hiermit, euch schon jetzt auf dem Laufenden zu halten.
Lesetipps zum Krieg in der Ukraine
In dieser Woche tagte auch die Internationale Kommission der Partei DIE LINKE, bei der Martina in ihrer Funktion als Delegationssprecherin Mitglied ist. Offene Debatten unter Linken sind nicht rar, wie manche meinen, überdies wohl derzeit notwendiger denn je. Dafür ist oft der Perspektivwechsel schon hilfreich, weshalb wir euch gern den Anfang März erschienenen Kommentar an die „westeuropäische Linke“ von Volodymyr Artiukh „Die USA sind nicht der Nabel der Welt“ vorstellen wollen, der eingebettet ist in ein umfassendes Dossier mit unterschiedlichen lesenswerten Beiträgen. „Ihr steht heute vor der Herausforderung euch zu einem Krieg zu verhalten, der nicht von euren Ländern ausgeht. Vor dem Hintergrund der oben angedeuteten theoretischen Sackgassen ist es nicht einfach, eine Position gegen den Krieg zu formulieren. Eine Sache bleibt aber völlig klar: ihr könnt bei der Bewältigung der Folgen dieses Krieges helfen, indem ihr Geflüchtete aus der Ukraine unterstützt, und zwar unabhängig von ihrer Hautfarbe oder ihrem Pass. Außerdem könnt ihr eure Regierungen dazu drängen, die Auslandsschulden der Ukraine zu erlassen und humanitäre Hilfe zu leisten.“ Er schreibt dann am Ende seines Kommentars: „In dieser neuen Realität verfügen wir, die postsowjetische Linke, über unvergleichlich geringere organisatorische und theoretische Kapazitäten, von anderen lebensnotwendigen Ressourcen zu schweigen. Ohne euch werden wir um unser Überleben kämpfen müssen. Ohne uns werdet ihr einen Schritt näher am Abgrund stehen.“
In diesem Zusammenhang mit der Positionsbildung und Politik gegen den Krieg in der Ukraine möchten wir an dieser Stelle auch auf eine Positionierung der Europäischen Linken hinweisen, die dort unter Kulturpolitikerinnen und Aktiven entstanden ist: Stop the war, not the civilisation, bei der es wie in vielen anderen Stellungnahmen aus der Zivilgesellschaft auch gegen einen antirussischen Kurs geht, der dazu führt, dass Dostojewski-Inszenierungen abgesetzt, russische Künstlerinnen und Künstler ausgeladen werden und ähnliches. Unter diesen sind gerade viele, die selbst in schärfster Opposition zu Putin stehen und sie sind real eine Brücke in die russische Gesellschaft, zu allen Kräften, die nicht hinter Putin steht.