REGI NEWs Februar 2022: 8. Kohäsionsbericht
8. Kohäsionsbericht: Daten, Fakten, sozialer Fokus gut – langfristige Strategie ist die Aufgabe
Die Vorstellung des 8. Kohäsionsbericht durch Elisa Ferreira, Kommissarin für Kohäsion und Reformen, bildete den Kernpunkt der REGI-Ausschußsitzung in dieser Woche.
Sonderkapitel zu den Folgen der Corona-Pandemie
Die Corona-Krise hat schwerwiegende wirtschaftliche Auswirkungen und zu der größten Rezession seit 1945 geführt. Besonders spürbar ist dies vor allem für die südeuropäischen Regionen, Grenzregionen und abgelegenen Regionen sowie in den Gebieten, in denen die Struktur der Wirtschaft stark vom Tourismus abhängig ist. In Deutschland war die Wirtschaft dem Bericht zufolge unter anderem in Brandenburg, Berlin und Nordrhein-Westfalen besonders von den Folgen der Covid-Krise betroffen.
Dank des raschen und flexiblen Einsatzes auch von EU-Geldern, konnten dennoch – im Vergleich zu anderen Krisen und im Durchschnitt – ein massiver Anstieg von Arbeitslosigkeit und Unternehmensinsolvenzen zum Teil verhindert werden. Mittel aus den Strukturfonds und neue Instrumente der Kohäsionspolitik konnten in den vergangenen zwei Jahren flexibler eingesetzt werden und teilweise wurden Vorhaben bis zu 100% aus dem EU-Haushalt finanziert. Angesicht der andauernden Pandemiesituation, schlägt die EU-Kommission eine einjährige Verlängerung der 100 %igen EU-Kofinanzierung für die Kohäsionsfonds vor, sagt Elisa Ferreira während der Aussprache mit den Europaabgeordneten, dies auch eingefordert hatten (und twitterte dazu ). So sollen notwendige Investitionen gefördert, die öffentlichen Haushalte entlastet und die Umsetzung der Projekte beschleunigt werden.
Klimaschutz und Digitalisierung – aber fair und für alle.
Der Bericht zeigt deutlich, wo aktuelle Herausforderungen liegen, daß es lang erprobte und einige neue Instrumente gibt, die es auszubauen gilt. Ganz klar soll auch die Kohäsionspolitik in Zukunft im Zeichen von Klimaschutz und Digitalisierung stehen. Ein großes Plus aus unserer Sicht ist, daß dieser Kohäsionsbericht die sozialen Herausforderungen sehr deutlich hervorhebt, die mit diesem aktuellen und notwendigen Strukturwandel einhergehen. Da geht es um regionale Unterschiede zwischen Norden und Süden bzw. Osten der EU, zwischen Stadt und Land und sogenannten Randgebieten, zwischen den Geschlechtern, zwischen gut und weniger gut Ausgebildeten, Menschen mit und ohne unmittelbaren Migrationshintergrund und mit unterschiedlichen Startchancen.
Die im Bericht zum Ausdruck gebrachte Ambition, den territorialen und sozialen Zusammenhalt als Ziel in alle EU-Politiken zu integrieren, auch um den grünen und digitalen Wandel fair und inklusiv zu gestalten, ist in sehr zu begrüßen. Weitere Details die diesem von der Kommission vorgeschlagenen Anwendungsprinzip „do no harm to cohesion“ (was immer EU-Politik tut, soll nicht zu weiteren Entwicklungsunteerschieden führen), erwarten wir mit großem Interesse.
Zurück zur Schuldenbremse?
Aber – und das würde zu einem solchen Prinzip passen und ist keineswegs neu – Kohäsionspolitik allein kann nicht die strategischen Fehler in anderen Politikbereichen ausbügeln. Inzwischen gibt es immer mehr und deutlichere Stimmen, daß die EU-Schuldenbremse und die nationalen Schuldenbremsen längst nicht mehr zeitgemäß sind (wenn sie es jemals waren). Nicht nur, aber auch um Klimaneutralität und Digitalisierung überall und für alle machbar und erreichbar zu machen, braucht es öffentliche Investitionen in öffentliche Güter und Dienstleistungen, um jeden Einzelnen, jede Kommune und jede Region und KMU vor Ort an Bord zu haben. Investitionen in langfristig wirksame neue, klimaneutrale Infrastruktur, Technologien, Fähigkeiten und soziale Netze sind keine Schulden, sondern die Quellen von Entwicklung und Zukunftsfähigkeit. In der Tat haben eigentlich alle Corona-Hilfsmaßnahmen nur funktionieren können, weil Beihilferegeln und Schuldenbremsen rasch überprüft und teilweise ausgesetzt worden sind und weil schnell und vergleichsweise wenig bürokratisch Geld in Hand genommen wurde.
Vielfältige Daten zu zentralen Entwicklungen – Zukunftskonzept noch offen
Der 353 Seiten lange Bericht gibt eine recht umfassende Evaluierung der Kohäsionspolitik der vergangenen zehn Jahre. Sie sind thematisch gegliedert – das erste Kapitel widmet sich der Corona-Krise. Es folgen Kapitel entsprechend der aktuellen thematischen Zielen der Kohäsionspolitik: ein smarteres Europa, ein grüneres Europa, ein besser vernetztes Europa, ein sozialeres und inklusiveres Europa und ein bürgernäheres Europa. Besondere Aufmerksamkeit wird in eigenen Kapiteln der Verwaltungsrealität, der Investitionsrealität und konkreten Auswirkungen der EU-Kohäsionspolitik in den Mitgliedstaaten, Regionen und Kommunen gewidmet.
Diese Daten- und Erkenntnissammlung wird fruchtbare Grundlage für die Diskussionen über die EU-Regionalpolitik jetzt und in Zukunft sein. Der Kohäsionsbericht gibt allerdings noch keine konkreten Hinweise auf die Ideen der EU-Kommission für die Konzeption der nächsten Förderperiode ab 2027. Das mag einerseits noch weit entfernt klingen, ist es aber in der Realität nicht, wenn man bedenkt, daß es von der Veröffentlichung der einschlägigen Gesetzesentwürfe bis zu deren Inkrafttreten erfahrungsgemäß gute vier Jahre dauert.
Deutschland steht in allen zentralen Bereichen der Kohäsionspolitik im Vergleich sehr gut dar. Zugleich bleibt eine Beobachtung wichtig, auf die bereits der 7. Kohäsionsbericht aufmerksam gemacht hatte: Viele Übergangsregionen befinden sich in einer Art Falle, da sie sich zwar von den ärmsten Regionen abheben konnten, aber den Sprung in die obere Entwicklungskategorie mittelfristig nicht zu schaffen scheinen. Und selbst die am besten entwickelten Regionen weisen weiterhin Armutsecken auf. Die meisten deutschen Regionen gelten als «entwickelt», ihr Wirtschaftswachstum pro Kopf liegt über dem EU-Durchschnitt. Doch ein Großteil der Regionen im Osten Deutschlands gilt weiterhin als «Übergangsregionen», sie liegen noch immer unter dem Durchschnitt in der EU.
Der Kohäsionsbericht bietet eine breite Daten- und Analysegrundlage für die Debatten, die letztlich die Bewertung und strategischen mittel- und langfristigen Weiterentwicklung der EU-Regional- und Förderpolitik bestimmen werden. Auch die Fraktion THE LEFT wird sich daran beteiligen. Eine öffentliche Diskussionsveranstaltung ist für März 2022 vorgesehen.
Abgeordnete fragen nach
Nachdem die jetzige Förderperiode 2021-2027 mit einjähriger Verzögerungen in Kraft getreten ist, machen sich die MdEP nun Sorgen darüber, daß viele Mitgliedstaaten ihre Kohäsionsinvestitionspläne erst spät vorlegen (nur 13 haben inzwischen Pläne bei der EU-Kommission eingereicht), sich statt dessen stärker auf die Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF) konzentrierten. Dadurch besteht die Gefahr, daß Mittel aus den Strukturfonds verfallen könnten. Auch wurde die Kommission angehalten, darauf zu achten, daß die Mittel aus beiden Instrumenten für Investitionen eingesetzt werden, die wirklich zu einem nachhaltigen, modernen und inklusiven Wiederaufbau und langfristig zu einer Angleichung der Lebensverhältnisse für alle beitragen. Es dürfe nicht passieren, daß RFF-Förderung, die weniger detaillierten Vorgaben unterliegt, Unterschiede verschärft oder z. B. dem Ziel der Klimaneutralität entgegenläuft. Mehrere Mitglieder des Ausschusses forderten die Kommission nachdrücklich auf, bei der Verwendung der Kohäsionsmittel auch weiterhin flexibler vorzugehen, die Verwaltungsverfahren zu vereinfachen und die lokalen Verwaltungen stärker zu unterstützen. Weitere Forderungen sind, in der Kohäsionspolitik stärker auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu achten und Strategien für Gesundheitsdienste und den ländlichen Raum voranzubringen, um die Kluft mit anderen Regionen zu überbrücken.
Hintergrund
Alle drei Jahre veröffentlicht die Kommission einen Bericht über den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt in der EU, in dem die Fortschritte und die Rolle der EU als Motor für die regionale Entwicklung dargestellt werden. Der Bericht analysiert die Entwicklung des Zusammenhalts in der EU anhand einer breiten Palette von Indikatoren wie Wohlstand, Beschäftigung, Bildungsniveau sowie Zugänglichkeit und Governance. Der 7. Kohäsionsbericht erschien 2017, die fast zweijährige Verzögerung des 8. Kohäsionsberichts erklärt sich zum Teil durch die verlangsamte und flexibilisierte Umsetzung der Förderpolitik währende der Corona-Krise, die Umprogrammierungen und neuen Hilfsinstrumente, die währenddessen möglich gemacht wurden.
Die Zusammenfassung des Kohäsionsberichts ist in deutscher Sprache hier abrufbar.
Der Gesamtbericht kann bislang nur auf englisch hier heruntergeladen werden.
Die vollständige Aufzeichnung der Debatte hier.