Zwischenbilanz zum Verhandlungsstand zu den Strukturfonds im Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR)

Eigentlich soll am 1. Januar 2021 ein neuer Sieben-Jahres-Haushalt in Kraft treten, eine neue Förderperiode der EU-Strukturfonds beginnen und sollen auch neue zusätzliche Fördertöpfe endlich für Regionen und Kommunen zur Verfügung stehen. Doch obgleich das Europaparlament bereits im November 2018 seine detaillierte Position zur Haushaltsplanung vorgelegt hatte, stockten seit dem vergangenen Januar die Verhandlungen: Von den Regierungen der Mitgliedstaaten war bis dahin kein konstruktives Signal über Haushalts- und andere politische Kernfragen erkennbar. Der Corona-Lockdown und die damit verbundene Krise tun ihr Übriges, ein Vorankommen zu erschweren. Seit September sind die Verhandlungen über die Strukturfonds zwischen Rat und Parlament immerhin wiederaufgenommen und am Ende der vergangenen Woche wurde im Regionalausschuss REGI eine Zwischenbilanz gezogen.

Es wäre verfrüht, Optimismus zu verbreiten, denn in den Kernfragen kommen der Rat der Mitgliedstaaten und das Parlament nur extrem schwerfällig voran. Nachdem die Staats- und Regierungschef*innen am 21. Juli 2020[1] endlich zu einer allgemeinen Einigung unter einander gekommen sind, konnten die Verhandlungen zwischen Europarlament (EP) und Rat für den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen beginnen.

Schon bei der Frage wie hoch der EU-Haushalt 2021-2027 überhaupt sein sollte, trennten 250 Milliarden Euro die beiden Haushaltsbehörden diesem Zeitpunkt: Das EP war bereits im November 2018, lange vor der Corona-Krise, überzeigt, 1.324 Milliarden Euro sind notwendig, um die sozialen, wirtschaftlichen, klima- und außenpolitischen Herausforderungen anzugehen. Der Rat will die Obergrenze bei 1074 Mrd. Euro setzen.

Seit dem 1. September ist kein Arbeitstag ohne Beratungen über den EU-Haushalt vergangen. Doch beim Gipfel am 15. und 16. Oktober ging es nicht einmal offiziell um Finanzen und das, obwohl das Verhandlungsteam des Europaparlaments, einmal mehr klargemacht hatte, dass die letzte Mindestforderung ein Aufstocken der 15 Vorzeigeprogramme ist, die dem EP besonders am Herzen liegen. Dazu gehören u. a. Erasmus+ für Bildungsaustauschprogramme, der Just Transition Fonds zur Unterstützung des sozial-ökologischen Strukturwandels in Kohleregionen, Kreatives Europa für die Kulturförderung, humanitäre Hilfe, das Forschungsförderungsprogramm HorizontEuropa oder das neue Programm Digitales Europa. Wenigstens 39 Milliarden Euro zusätzlich und ein klares CO2-Reduktionsziel von 60% bis 2030 schlug der Parlamentspräsident des Staats- und Regierungschefs am vergangenen Donnerstag als Kompromiss-Formel vor.  

In den Schlussfolgerungen der Ratstagung spiegelt sich das jedoch nicht wieder. Im Gegenteil, mehrere Staats- und Regierungschefs, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel, sagten unverblümt, dass sie keinen finanziellen Spielraum sähen.

Was kaum mehr Erwähnung findet sind Kürzungen im Bereich der Kohäsionspolitik. Dafür wird es 12% weniger geben als das EP auf der Grundlage des aktuellen Förderzeitraums als notwendig ansieht. Mit minus 22% sind die wirtschaftlich besser entwickelten Regionen besonders davon betroffen, aber auch die grenzübergreifende Zusammenarbeit oder die ländliche Entwicklung. Ausgerechnet beim Europäischen Sozialfonds liegt der Rat 17% hinter der EP-Forderung zurück.  

Scharfe Kritik an diesen Kürzungen und Warnungen vor dem Absenken der Ko-Finanzierungsraten (also dem Anteil, den die EU an der Projektfinanzierung übernimmt) hatten die Europaabgeordneten im Ausschuss für Regionale Entwicklung von Anfang an vorgebracht. In einer Aussprache zum aktuellen Stand der Verhandlungen über die verschiedenen Strukturfondsprogramme wurde es in der vergangenen Woche noch konkreter.

Beim gerade erst neu zu schaffenden REACT-EU Programm für schnelle Hilfen in der Corona-Krise – hauptsächlich zur Unterstützung von Kurzarbeitsmodellen, der Gesundheits- und sozialen Systeme und Infrastrukturen in den Regionen sowie von KMU – fällt der geplante Beitrag für 2020 gleich ganz weg (-5 Mrd. Euro) und die bis 2024 Mittel werden um 2,5 Mrd. Euro gekürzt.  REACT-EU soll die schon im April ohne eigenes Budget beschlossenen vorgesehenen Maßnahmen der Corona-Hilfspakete CRII und CRII + erweitern. Das soll nicht aus dem normalen EU-Haushalt finanziert werden, sondern aus dem im Juli beschlossenen 750 Milliarden schweren Wiederaufbauprogramm „Next Generation Europa“. Eine Idee bei REACT-EU war, die Kürzungen bei der Kohäsionspolitik angesichts der Corona-Krise wenigstens etwas auszugleichen. Bei den Inhalten und vor allem der Dringlichkeit, die Mittel rasch zum Einsatz zu bringen, sind sich Rat und Parlament inzwischen weitestgehend einig. Aber der Abschluss der Verhandlungen musste ausgesetzt werden, bis es eine Einigung über den mehrjährigen Finanzrahmen und den Wiederaufbauplan gibt.

Auch beim Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) hängen Teile der Verhandlungen wegen ungeklärter Fragen zu Finanzierung und Ko-Finanzierungsraten hinterher.  Positive Entwicklungen gibt es hier bei der Diskussion, sowohl die Städte als zentrale Aktueure als auch die Stadt-Land-Verbindungen als strategische Aufgabe anzuerkennen. 

Für den Fonds für einen gerechten Übergang / Just Transition Fonds bieten die Mitgliedstaaten mit 17,5 Mrd. Euro (davon nur 7,5Mrd. Euro im regulären Haushalt) nicht einmal die Hälfte dessen an, was die Kommission im Mai 2020 angesichts des ausgerufenen Green Deal vorgeschlagen hatte: Sie sah 40 Mrd. EUR vor (10 Mrd. im MFR und 30 Mrd. Euro im Wiederaufbaupaket). Das EP fordert mindestens 25,4 Mrd. EUR im Haushalt plus 30 Mrd. Euro im Krisenpaket. Zudem drängt das Parlament hier auf eine Ausweitung der förderfähigen Maßnahmen im sozialen Bereich – immerhin ist der Just Transition Fonds sozusagen die soziale Säule im Europäischen Grünen Deal.

Wie bereits bei den Verhandlungen um den jetzt zuende gehenden Mehrjährigen Finanzrahmen möchte das Parlament, dass die Zahlungen an die Regionen im Rahmen der Kohäsionspolitik nicht mehr von der Einhaltung der wirtschaftspolitischen Regeln, vor allem der Europäischen Schuldenbremse abhängig sind. Schon in normalen Zeiten ist der Sanktionsmechanismus der so genannten makroökonomischen Konditionalität zutiefst ungerecht, denn er straft potentiell die Regionen für das Handeln ihrer nationalstaatlichen Regierung. Auch trifft er schwächere Regionen unverhältnismäßig schwerer und zwar genau dann, wenn EU-Fördermittel am nötigsten gebraucht werden: Ein EU-Mitgliedsland, das in einer wirtschaftlichen Krise die Schuldengrenze überschreitet, würde durch die Kürzungen der EU-Fördermittel zusätzlich unter wirtschaftlichen Druck geraten. Die Krise würde weiter verschärft, statt Mittel zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage einzusetzen. In der Corona-Krise wurde die Schuldenbremse sinnvollerweise ausgesetzt -aber eben nicht abgeschafft und die Mitgliedstaaten bestehen auf deren grundsätzliche Beibehaltung und den Strafmechanismus über die Strukturfonds.

Ein wichtiger Streitpunkt innerhalb des Europaparlaments wie zwischen den Mitgliedstaaten ist die Frage, ob Erdgasprojekte mit EU-Geldern unterstützt werden sollten. Für einige Mitgliedstaaten handelt es sich um eine wichtige Brückentechnologie beim Kohleausstieg. Doch eigentlich dürfte klar sein, dass massive Investitionen in Erdgas das vollständige Umsteigen auf erneuerbare Energie um Jahrzehnte verzögern würden. Wenigstens die EU sollte also ihre Förderinstrumente wie unter anderem den Fonds für Regionale Entwicklung, den Just Transition Fonds oder auch gemeinsame Infrastruktur-Großvorhaben gezielt auf Erneuerbare ausrichten.

Uneins sind Parlament und Rat über die Verknüpfung der EU-Mittel mit der Achtung der Rechtsstaatlichkeit. Das EP – sowie auch mehrere Mitgliedstaaten – will, dass die Freigabe von EU-Mittel ausgesetzt werden kann, wenn ein Mitgliedstaat offensichtlich gegen Rechtsstaatlichkeitsprinzipien verstößt. Die deutsche Ratspräsidentschaft verteidigt jedoch einen Vorschlag, sich nur auf Korruption und Betrug zu konzentrieren und argumentiert, dass es darüber hinaus keine Zustimmung aller EU-Länder geben würde. Ungarn und Polen hatten bereits angedroht, den Wiederaufbaufonds zu blockieren, das Vorhaben eines Rechtsstaatlichkeitsmechanismus nicht deutlich abgeschwächt würde.

Ein weiterer Knackpunkt bei den laufenden Verhandlungen ist die Frage der Eigenmittel. Das Parlament will hier Einnahmen aus einer Abgabe auf nichtrecycelte Kunststoffabfälle, aus dem Emissionshandelssystem, aus Besteuerung der digitalen Großunternehmen, einem CO2-Grenzausgleichssystems, einer Finanztransaktionssteuer und einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer direkt in den EU-Haushalt einfließen lassen.

Berechtigterweise drängen Regionen und Kommunen auf eine rasche Einigung in den Haushalts- und Programmverhandlungen. 90% von ihnen erwarten angesichts der weiter bestehenden Krise sinkende Einnahmen, so das in der vergangenen Woche vorgestellte „EU-Jahresbarometer zur Lage der Gemeinden und Regionen“. Dieser Rückgang um bis zu 10 % gefährdet öffentliche Dienstleistungen, verschärft die sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten in   den Regionen und Gemeinden der EU. Eine ganze Generation junger Menschen laufe Gefahr zu einer verlorenen COVID-19-Generation werden könnte. das Barometer weist zudem auf gravierende Unterschiede zwischen den Gesundheitssystemen hin sowie die zunehmende Kluft zwischen Stadt und Land. Gerade deshalb kann und darf das Europaparlament weder bei den finanziellen noch bei wichtigen politischen Streitfragen klein beigeben, sind sich auch die Europaabgeordneten im REGI-Ausschuss einig.

Eine Video-Aufzeichnung der Aussprache findet sich auf der Website des Europaparlaments HIER (Martina Michels ab 14:35:45).

 

[1] Positionen der anderen relevanten Institutionen:  Entwurf der EU-Kommission 2024-2027 vom  2. Mai 2018; EP-Position November 2018; Vorschlag der Kommission für ein Corona-Wiederaufbauprogramm und aktualisierten  2024-27 vom 27. Mai 2020, aktualisiertes EP-Verhandlungsmandat vom  23. Juli 2020.