Martinas Woche 6_2020 – Thüringen: Schwarzer Mittwoch für die Demokratie
Brüssel – Erfurt – Strasbourg: Thüringer Wahldebakel – Kommunen & Internationaler Handel – Plenarfokus – Stabilitäts- und Wachstumspakt – Urheberrecht
Thüringen wählte am Mittwoch einen neuen Ministerpräsidenten und zwei Landesparteien von CDU und FDP ließen sich von der AfD vorführen. Kurz nach der Mittagszeit stand fest, dass der neue MP Kemmerich (FDP) heißen wird und aus einer Partei kommt, die mit wenigen Stimmen gerade einmal die 5%-Hürde in Thüringen im Oktober genommen hatte. Arithmetisch war alles perfekt, nur politisch stimmte nach dieser Wahl nichts mehr, wenn man den Willen von Wählerinnen und Wählern wirklich ernst nehmen wollte. Sie wollten eine Minderheiten-Regierung für Bodo Ramelow von der LINKEN, was in dem Fall das Setzen auf Bewährtes und gute vorangegangene Regierungsarbeit bedeutete. Aus Brüssel reagierte nicht nur unser Fraktionsvorsitzender Martin Schirdewan, sondern auch ein europaweit bekannter Liberaler, Guy Verhofstadt (siehe tweet im Bild), der einstige belgische Ministerpräsident und langjährige Fraktionsvorsitzende der Liberalen im Europäischen Parlament. Sich von Faschist*innen ins Amt tricksen zu lassen, hat jedenfalls am Ende nur der Glaubwürdigkeit aller Politikerinnen und Politiker geschadet. Ein schwarzer Mittwoch für die Demokratie.
Thüringenwahl und die Folgen
Die Ergebnisse der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen bestimmten am Mittwoch auch die Flurgespräche im Europaparlament. Was haben sich die Landes-CDU und die Thüringische FDP nur gedacht, sich derart von den Faschist*innen vorführen zu lassen? Glaubten sie ernsthaft, dass sie mit Dummstellen durch diese widerliche Aktion kommen? An der Spitze der Unverfrorenheit bewegte sich wohl der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, der doch ernsthaft von einem „übermannten“ neuen MP Kemmerich sprach, der dann Rollen vorwärts und rückwärts vollführend nun endlich seinen Rücktritt erklärte, was ihn noch nicht aus der Geschäftsführung entlässt. Inzwischen sind die Medienkommentare europaweit ins Uferlose gewachsen und es ist eine komplexe demokratietheoretische Debatte entstanden. Urgesteine der deutschen FDP, wie Gerhart Baum, meldeten sich mit Abscheu und Entsetzen zu Wort. Es wird längst diskutiert, ob man überhaupt von Tabubruch oder Dammbruch sprechen sollte, warum Lindner die Vokabel „übermannt“ nutzte und welchen Schaden diese Wahl im politischen Diskurs hinterlassen hat.
Auf jeden Fall haben sich aus Brüssel nicht nur hochrangige Politikerinnen und Politiker zu Wort gemeldet. Mitglieder der Linken, der Sozialdemokraten und der Grünen protestierten am Donnerstag vor der Thüringer Landesvertretung und machten, ähnlich vielen Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland, ihrer Verärgerung über die politischen Entgleisungen der FDP und der CDU Luft und solidarisierten sich mit Rot-Rot-Grün in Thüringen.
Kommunalpolitik und Internationaler Handel – Eine Ausschreibung
Bis zum 12. Juni können sich ab sofort Kommunen und Städte um den Titel der „Europäischen Stadt des fairen und ethischen Handels 2021“ bewerben. Die Bewerbungsunterlagen und weitere Informationen finden sich auf der Webseite des Preises (leider bislang nur auf Englisch). Erste Titelträgerin wurde nach einer spannenden und knappen Endausscheidung Ende 2018 die belgische Stadt Gent. Helmut Scholz fuhr zur erneuten Ausschreibung des Preises in der vergangenen Woche nach Gent und kommentierte für uns das Anliegen dieses interessanten Titels.
Neuer Bericht: Das Ende des Wegs für den Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU
„Anlässlich der Überarbeitung der EU-Kommission zum Stabilitäts- und Wachstumspakt, veröffentlicht Martin Schirdewan, Mitglied im Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europaparlaments (ECON) und Ko-Vorsitzender der Linksfraktion GUE/NGL, heute einen neuen Bericht unter dem Titel ‚Überwachen und Strafen: Das Ende des Wegs für den Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWG) der EU‘. Dazu erklärt Schirdewan: ‚Der Stabilitäts-und Wachstumspakt gehört in die Mottenkiste der Geschichte! Volkswirtschaften und Gesellschaften müssen sich radikal ändern angesichts der wachsenden Ungleichheit, des drohenden Klimawandels und der Auswirkungen der Digitalisierung. Diese große Aufgabe darf nicht ‚Marktmechanismen‘ überlassen werden. Ein solcher Wandel erfordert umfangreiche, koordinierte und nachhaltige öffentliche Investitionen. Wer etwa Klimaschutz fordert, aber gleichzeitig auf den Stabilitäts- und Wachstumspakt beharrt, wird scheitern, bevor es überhaupt losgegangen ist.'“ – Hier die ganze Meldung.
Urheberrechtsdebatten bestimmen derzeit die Umsetzungsbemühungen in den Ländern
Wir hatten schon im Dezember 2019, die von uns in Auftrag gegebene Studie von Paul Keller kurz hier vorgestellt. Nun ist sie auch auf Deutsch erschienen (im Dezember-Link als letzter Download) und kann als Leitfaden für Fachgespräche mit Kolleginnen und Kollegen in den Mitgliedsländern dienen. Wir planen hier Veranstaltungen im April und im Juni und werden euch rechtzeitig informieren, wenn ihr dabei sein wollt.
Auch der deutsche Kulturrat hat eine neue Stellungnahme zu Urheberrecht und den Vorschlägen der Bundesregierung abgegeben, die wir den Fachinteressierten nicht vorenthalten wollen. Manch Unterschied zur Herangehensweise von Paul Kellers Ansatz liegt nach gründlichem Studieren jetzt schon auf der Hand. Insofern wäre es auch fruchtbar, Vertreter*innen des Deutschen Kulturrates bei den kommenden Debatten gleich mit hinzu zu bitten.
Plenarfokus – Was steht nächste Woche in Strasbourg auf dem Programm?
Martina Michels plant diesmal in gleich vier Debatten im Parlament zu reden. Einmal geht es um den Kampf gegen Antisemitismus, zum anderen um den Nahost-Plan der Trump-Regierung sowie voraussichtlich um die Lage in Georgien sowie um den mehrjährigen Finanzrahmen. Auf jeden Fall werden wir aktuell von der Plenarwoche berichten, wenn, ja wenn der Sturm Sabine eine halbwegs pünktliche Ankunft in Frankreich ermöglicht. Bis jetzt ist es noch unklar, wann Züge fahren und welche Sicherheitsvorkehrungen beachtet werden müssen, selbst wenn der Plenumsbetrieb dadurch eingeschränkt wird. Einmal mehr ein Grund, den Klimawandel auf die Tagesordnung zu setzen, wie wir finden, und den kaum spürbaren Handlungsdruck in der Politik zu erhöhen.