Neue Kommissionschefin – Neue Fraktionsspitze – Neue Probleme: Digitalisierung und Politik

„Damit ist das Weiterwurschteln zementiert,“ twitterte Martina aus dem Plenarsaal am vergangenen Dienstag gegen 19 Uhr. Ursula von der Leyen erhielt 9 Stimmen über 50% für das Amt der EU-Kommissionspräsidentin. Knapp, aber gewählt. Dem einmaligen Wahlgang war eine lange Aussprache am Vormittag vorangegangen, in der sich Ursula von der Leyen ausführlich vorstellte, vieles versprach und damit auch im Kreise der Fraktion der Sozialdemokrat*innen ungefähr zwei Drittel der Stimmen gewann. Trotzdem basiert ihr Wahlergebnis auch auf Stimmen von Orbáns Fidesz und der PiS.

Noch in der Plenumswoche hat die GUE/NGL, die linke Fraktion im Europaparlament, nun ihre Interimslösung an der Fraktionsspitze beendet und sich auf ein neues Spitzenteam geeinigt. Die jüngste aller Fraktionsvorsitzenden, die es je gab, stellt damit nun die linke Fraktion mit Manon Aubry, die von La France Insoumise kommt und politische Erfahrung bei Oxfam gesammelt hat. Martin Schirdewan wird der Co-Vorsitzende sein.

Wir werfen einen Blick in einen schwierigen Dialog: Digitalisierung und Politik scheinen kaum eine Sprache zu sprechen, nicht nur in Europa.

Inzwischen bereitet sich Martina auf die zweite und letzte Ausschusswoche vor den Sommerferien vor.

Kommentierter Pressespiegel bei labournet.de und Stimmen aus Fraktion und Delegation

In dieser gesamten Dokumentation um diese EU-Kommissionspräsidentinnen-Wahl zum 16. Juli sehe ich ein gutes Beispiel, wie sich die politischen Kräfteverhältnisse in Europa – in einer neuen Konstellation (= jenseits der Volksparteien-Mehrheiten) – verschoben haben und das sehe ich als das Besondere an dieser Wahl. Deshalb halte ich es durchaus für angebracht, die ganze Diskussion – zusammen mit ihrem Scheitern einer Vier-Parteien-Mehrheit am Klimaschutz! – in dieser Länge darzustellen.  An diesen ganzen Differenzen werden wir nämlich die nächsten Jahre – bis hin zum weiteren “Verschieben” der demokratischen Machtverhältnisse – weiter arbeiten müssen…” schrieb Volker Bahl einleitend, der am 17.7.2019 diese umfangreiche Presseschau zusammengestellt hat.

Özlem Demirel stellte zwei Schwerpunkte in den Mittelpunkt ihrer Reaktion auf die Aussprache im Plenum: die Konstruktion der Verteidigungsunion und Ursula von der Leyens Vorschläge zur Armutsbekämpfung. Martin Schirdewan nahm nach der Wahl am Abend dann Martinas twitter-Kommentar auf und sieht das politische Angebot der Ursula von der Leyen in einer Kontinuität bisheriger Kommissionspolitik, die einen Berg an Herausforderungen kaum in Angriff nimmt und damit bei der politischen Umsetzung von der Steuergerechtigkeit bis zu Investitionen, von der Digitalisierung bis zu einer humanen Asylpolitik eine Unmenge an unerledigten Hausaufgaben hinterlässt.

 

Neue Fraktionsspitze der GUE/NGL

Am Mittwochabend verständigte sich die Linksfraktion des Europaparlaments (GUE/NGL) auf ihre Führung für die kommenden zweieinhalb Jahre: Martin Schirdewan (DIE LINKE.) und Manon Aubry (La France Insoumise) werden die Fraktion für die erste Hälfte der Periode leiten. Mit 29 Jahren ist die Französin damit die jüngste Fraktionsvorsitzende, die es bisher im Europaparlament gab. João Ferreira (PCP, Portugal), Marisa Matias (Bloco de Esquerda, Portugal), Sira Rego (Izquierda Unida, Spanien) and Nikolaj Villumsen (Enhedsliten, Dänemark) werden die Vize-Präsident*innenschaften übernehmen…“, beginnt die Meldung über die neue Fraktionsspitze.

 

Digitalisierung, Politik und Grundlagenforschung – Irgendwas läuft schief – Drei Lesetipps

In einem Kommentar entwickelt Jan Mahn, dass die Laienhaftigkeit der Politik wesentliche Schritte einer sinnvollen Regulation und Förderung der digitalen Innovationen verhindere. Manches, was da z. B. an Ressourcenverschleuderung in den öffentlichen Verwaltungen auf geführt wird, ließe sich sofort unterschreiben. Trotzdem halten wir diese, aus der Perspektive von InformatikerInnen häufig geäußerten Bedenken gegenüber politischer Regulierung für etwas zu kurz gesprungen. Es ist auffällig, dass die – ach so inkompetente – herrschende Politik ziemlich erfolgreich von einem Teil der Internet-, Informations- und Kommunikationsbranche lobbyiert wird und immer die Entscheidungen mit Macht zu treffen vermag, die der Mehrheit schaden, tendenziell den Datenschutz eher aushebeln, antidemokratische Überwachung installieren und einige wenige gut verdienen lässt.

Es gibt in fast allen Parteien gute Netzpolitikerinnen und Netzpolitiker, die allerdings überall gleichermaßen marginalisiert sind. Herrschende Politik weiß jedenfalls, was sie tut, wenn die Kommission Berichterstattern des Parlaments Gesetzestexte diktiert, wenn so gern vom „gesetzlosen“ Netz geschwafelt wird und am Ende die großen Plattformen trotzdem nicht mehr Steuern zahlen. Das Thema – Fair Hardware – spielt selbst bei der Linken kaum eine Rolle, abgesehen von denen, die sich mit Internationalem Handel, seltenen Erden und Handelsverträgen beschäftigen, wie mein Kollege Helmut Scholz. Trotzdem empfehlen wir diese Lektüre und gleich noch die Kritik am UN-Bericht Digitalisierung obendrauf. Zu tun gibt es allerhand und wir erinnern gern, dass auch auf diesem Gebiet Ursula von der Leyen vor der Wahl mit allerhand Allgemeinplätzen ins Rennen ging…

Vielleicht schauen wir da einfach mal wieder in die Klassiker des kapitalistischen Produktionsprozesses und lesen Anregungen aus dem Sammelband: Marx und die Roboter – Vernetzte Produktion, Künstliche Intelligenz und lebendige Arbeit, der von Florian Butollo und Sabine Nuss herausgegeben wurde (Dietz, Berlin 2019, siehe Bild). Wir werden den Band umgehend rezensieren.

Manon Aubry und Martin Schirdewan (Vorsitzende der EP-Linksfraktion GUE/NGL)
Olivier Hansen (GUE/NGL)

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Teil des Buchcovers
KK