Martin Schirdewan
Martin Schirdewan

„Das Europäische Semester, das die Kürzungspolitik (Austerität) in die Haushalte der Staaten festschreiben soll, ist de facto tot und nur noch Ausdruck politischer Willkür, um neben dem Brexit nicht noch einen weiteren Konfliktherd in der EU hochkochen zu lassen,“ kommentiert Martin Schirdewan, der Vorsitzende der LINKEN im EP und Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON), die Ergebnisse des Treffens der europäischen Finanzminister. Schirdewan weiter: „Der Rat der Finanzminister gibt grünes Licht für Italien und segnet sogenannte länderspezifische Empfehlungen für eine Reihe weiterer Mitgliedstaaten ab, von denen am Ende kaum welche eingehalten werden dürften.“

„Der heutige Rat der Finanzminister*innen ist dem Vorschlag der Kommission gefolgt, kein Defizitverfahren gegen Italien einzuleiten, obgleich das Land die Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspakts verfehlt. Damit begräbt er das Europäische Semester. Gut so! Es gehört wie der unsinnige Stabilitäts- und Wachstumspakt mit seinen ökonomisch fragwürdigen Defizitgrenzen in die Mottenkiste neoliberaler Wirtschaftspolitik und durch ein umfassendes Investitionsprogramm ersetzt um die sozialökologische Transformation in der EU endlich in die Tat umzusetzen.“

Im Hinblick auf die Debatte zum EU-Haushalt, betont Schirdewan, „dass wir dringend eine einheitliche Mindestbesteuerung für Unternehmen auf EU-Ebene benötigen. Ich bedauere es daher außerordentlich, dass sich der Rat mal wieder nicht auf eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftssteuerbemessungsgrundlage (CCCTB) einigen konnte. Immerhin scheint es etwas Bewegung bei der Besteuerung von Kerosin zu geben, was allerdings längst überfällig ist.“

Ebenfalls auf der ECOFIN-Agenda stand die Nachfolge von EZB-Präsident Draghi. Schirdewan kommentiert die Nominierung von Christine Lagarde mit folgenden Worten: „Ob Frau Lagarde für einen progressiven Wechsel an der Spitze der EZB steht, bleibt abzuwarten. Laute Kritik von ihrer Seite an der verfehlten Troika-Politik, die sie als französische Finanzministerin mitverantwortet hat, habe ich von ihr jedenfalls noch nicht gehört. Zudem ist sie bislang nicht durch besondere geldpolitische Weitsicht in Erscheinung getreten. Genau die werden wir jedoch brauchen, um die nächste Finanz- und Wirtschaftskrise zu überstehen und sich gegen geldpolitische Falken wie Weidmann und Co. durchzusetzen. Zudem benötigen wir dringend die richtigen fiskalpolitischen Rahmenbedingungen für eine funktionierende Geldpolitik. Dafür muss sie sich gegenüber den Hardliner*innen in den Finanzministerien offensiv einsetzten. Die anstehende Anhörung im zuständigen Wirtschafts- und Währungsausschuss, die unter Umständen schon für kommenden Montag angesetzt werden könnte, dürfte daher spannend werden.“