Brüssel – Berlin – Hannover: Ausschusstagungen – International Holocaust Remembrance Day – Europadebatten vor Ort

“Die Abstraktion ist des Gedächtnisses innigster Feind … Wir selbst müssen uns immer wieder mahnend erinnern, dass der Holocaust nicht ‘6 Millionen‘ bedeutet. Er war Einer, und Einer, und Einer, und … ”, schrieb Judith Miller in „One, by One, by One Facing the Holocaust“ 1990. Heute, am 27.1.2019, jährt sich die Befreiung des Konzentrationslagers in Auschwitz durch Truppen der Roten Armee. In Brüssel erinnerte das Parlament am vergangenen Mittwoch mit nachhaltigen Filmen und Worten an das Gebot der Stunde: Es darf kein Ende der Aufarbeitung, der Erinnerung geben. Angesichts politischer Geschichtsvergessenheit der Neuen Rechten und einem schwindenden Wissen über den Holocaust ist die Verantwortung enorm, dass das Gedenken nicht ritualisiert, sondern stetig und lebendig entfaltet wird.

Ausschusstagungen begleiteten den Rest der Woche in Brüssel. Veranstaltungen in Berlin und Hannover widmeten sich der Zukunft Europas, womit sich auch der Kreis schloss, denn der Kampf gegen Rechtsextreme ist über den Europawahltag am 26. Mai (in Deutschland) hinaus eine Tagesaufgabe und erstreckt sich nicht nur über Flüchtlingspolitik und abgewandelte „Take back control“-Debatten, sondern hat schon lange Kultur- und Gleichstellungspolitik erwischt, Medienfreiheit und unabhängige Forschung.

 

Regionalpolitik: Dachverordnung für die EU-Strukturfonds 2021 – 2027 angenommen

Im Regionalausschuss wurde in der vergangenen Woche ein entscheidender Gesetzesvorschlag mit vielen Änderungsvorschlägen von der linken Fraktion angenommen. Doch Martina Michels musste zu dieser Positionierung trotzdem festhalten: „Zugleich bewies eine Ausschussmehrheit leider Furcht vor der eigenen Courage bei zwei entscheidenden Fragen, zu denen sich der REGI zu früheren Zeitpunkten viel deutlicher ablehnend verhalten hatte.“ Zum einen geht es um das Zusammenspiel zwischen dem neuen strategischen Investitionsfonds InvestEU mit den Förderfonds, zum anderen um die sogenannten makroökonomischen Konditionalitäten, die bei der Vergabe von Fördergeldern nach Auffassung der meisten linken Abgeordneten in der Regionalpolitik nichts verloren haben. Denn was soll das bedeuten? Wenn Länder die ohnehin fragwürdige Haushaltsdisziplin nicht einhalten, sollen sie mit gekürzten Förderfonds bestraft werden? Das trifft die Falschen, die Regionen, die mit solch absurden Sanktionsmaßnahmen für ihre Regierungen zur Verantwortung gezogen werden sollen. 

Die ganze Presseerklärung zur Abstimmung ist hier zu finden.

 

Kulturausschuss: Creative Europe 2021 – 2027 fast am Ende der Aushandlungen

Auch der Kulturausschuss schaut auf den geplanten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) und diskutiert derzeit vor allem das Programm Creative Europe 2021 – 2027, das sich eigentlich zu fast 70% an Medien- und Filmprojekte richtet und bei aller Wertschätzung ohnehin hoffnungslos unterfinanziert ist. Das führt regelmäßig dazu, dass das ganze Programm vor allem in dem viel kleineren „KULTUR“-Bereich, in dem Literaturförderung, Übersetzungen, institutionelle Förderungen für Musik, Kulturförderung in Drittstaaten und vieles mehr verborgen sind, Opfer des eigenen Erfolges ist. Es gibt viel zu viele Ablehnungen von großartigen Projekten, weil das Budget einfach so winzig ist.

Die EU-Kommission hat nun statt der bisherigen 1,4 Milliarden Euro 1,9 Miliarden Euro vorgeschlagen, doch der Ausschuss ist drauf und dran gleich 2,8 Milliarden Euro zu fordern, quer durch alle politischen Lager. Martina ist für GUE/NGL, die linke Fraktion im Europaparlament, Schattenberichterstatterin und hat unter anderen eingefordert, die starke Fokussierung auf die Kulturwirtschaft und deren Marketing zu überwinden und mehr nachhaltige Infrastrukturförderung in den Zielen dieses Programms zu verankern. Doch derartige Gewichtungen sind, wie so oft, nicht von heute auf morgen durchsetzbar und damit das berüchtigte Bohren dicker Bretter. Die Abstimmungen sind Ende Februar und Anfang März wird die Position dann im Plenum abgestimmt. Zu den einzelnen Änderungsvorschlägen hatten wir schon einmal am 10. Dezember in Martinas Woche berichtet.

 

Gedenken an den 27. Januar 1945: International Holocaust Remembrance Day Ceremony

Am Mittwoch waren in Yehudi Menuhin Saal des Europaparlament in Brüssel Überlebende des Holocaust eingeladen, darunter Susan Pollack. In Filmen und Ansprachen wurde dem Internationalen Tag der Erinnerung an den Holocaust und damit die furchtbarsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte, an den systematischen Mord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden, an Verbrechen an Sinti und Roma, an Homosexuellen und Menschen mit Behinderungen gedacht. Besonders eindringlich war der Gesang von Azi Schwartz, Senior Cantor der Park Avenue Synagoge New York, und die Musiker der Musica Mundi School. 

“Die Abstraktion ist des Gedächtnisses innigster Feind … Wir selbst müssen uns immer wieder mahnend erinnern, dass der Holocaust nicht ‘6 Millionen‘ bedeutet. Er war Einer, und Einer, und Einer, und … ”, schrieb Judith Miller in „One, by One, by One Facing the Holocaust“ 1990. Das sollte Ausgangspunkt sein, um das rasant schwindende Wissen über den Holocaust wieder in jede Schule, in die Medien, den Geschichts- und Kulturaustausch zu tragen. Die Überlebenden sind nicht mehr lange für uns da, wir müssen hier aktiv werden, statt uns ein, zwei Mal im Jahr in Zeremonien dem Unfassbaren zu stellen. „Der Schoß ist fruchtbar noch“, da kommt niemand drumherum. Wir müssen handeln. Kurt Julius Goldstein, der den Todesmarsch nach Buchenwald überlebte und der auf der zentralen Feierstunde zum 60. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz in Berlin gesprochen hatte, sagte damals: „Wenn ich heute in Deutschland erlebe, dass Nazis auf den Straßen demonstrieren dürfen und das höchste deutsche Gericht diese Aufmärsche wegen der Meinungsfreiheit schützt, dann sage ich: Für uns ist das geradezu eine unmenschliche Tat, wir leiden darunter.“

 

Europa vor Ort: Berlin-Reinickendorf

Am vergangenen Donnerstag war Martina nach Berlin-Reinickendorf eingeladen. Im Mittelpunkt stand die europäische Politik vor der Europawahl. Martina entwickelte, was LINKE an inhaltlichen Zielstellungen im Europawahlkampf von anderen Parteien unterscheiden wird. Und manche mag das verwundern, doch mit einer kritischen Haltung zur EU können Linke ihre europafreundliche Haltung sogar noch unterstreichen. Dies gilt doppelt, denn wir haben nicht nur politischen Konkurrenten. Es gibt auch ernsthafte politische Gegner, wie das Erstarken der europäisch und international gut vernetzten neuen Rechten deutlich zeigt. Martina verwies bezüglich der bisherigen parlamentarischen Arbeit auf gravierende Probleme europäischer Politik, aber auch auf Erfolge in der konkreten Regional- und Förderpolitik oder in der Kultur-, Medien- und Netzpolitik. Sie konnte ihre Berichte mit dem Video „Martina Michels für Euch in Europa“ abrunden, dass ihre Arbeitsweise in Parlamentsdebatten und Interviewausschnitten kurz porträtiert.

In der anschließenden kaum enden wollenden Diskussion gab es viele Ideen, doch mit mehr konkreten Beispielen in die Wahlauseinandersetzungen zu gehen oder auch gute Zusammenfassungen komplexer Themen auszutauschen, ob das nun der Brexit oder die neuen Vorstöße des Macron-Merkel-Europas sind, die wir nicht einfach so stehen lassen können, wenn wir ein soziales und friedliches Europa in Zukunft wollen, in dem Bürgerinnen und Bürger wirklich gut informiert über ihre Geschicke entscheiden.

 

Europa vor Ort: Hannover – Linke treffen sich beim Europaforum

Linke aus Niedersachsen hatten am Samstag ein Europaforum in Hannover organisiert und Martina war als Europaabgeordnete zu den interessanten Debatten eingeladen. „Ist die EU reformierbar?“ stand im Mittelpunkt einer Debatte, die Torben Peters in den Mittagsstunden des Samstag, eingeleitet hatte, nachdem die Kommunikationsstrategie des Parteivorstandes in der Europapolitik vorgestellt wurde. 

In einer aufgeschlossenen Atmosphäre wurden dann in drei Workshops sozial- und umweltpolitische Fragen diskutiert und besonders intensiv auch Anträge zum friedenspolitischen Profil linker Europapolitik. Gemeinsam kamen die Ideen dann zurück ins Plenum und wurden als gemeinsame Positionen auch mehrheitlich angenommen, um sie in die weitere Debatte über den Landesverband hinaus als Anträge an den Europaparteitag der LINKEN, Ende Februar, einzubringen. Für Martina war der Tag zugleich ein guter Einblick in aktuelle Kämpfe vor Ort, bei denen sich Pflegekräfte gegen die Zwangsverkammerung wehren und in der kommenden Woche auf die Straße gehen werden, um ihren Unmut zu zeigen und auf die echten Probleme in den Pflegeberufen aufmerksam zu machen, angefangen von der miesen Bezahlung, der teuren Ausbildung, der Hetze auf der Arbeit. Deutlich wurde einmal mehr, dass wir solchen Widerstand mit konkreten politischen Vorschlägen verbinden müssen und die Konflikte in der lokalen Politik oft auch einen Spiegel in europapolitischen Debatten haben, wenn die Liberalisierung der Daseinsvorsorge durchschlägt und Strukturen einer guten Pflege marode sind, weil nur noch die Rentabilität der Einrichtungen „zählt“. Damit finden wir uns nicht ab und genau das werden wir auch in den kommenden politischen Auseinandersetzungen zeigen.