Europäische Kulturagenda: Ornament sozialer Konflikte oder Teil des gesellschaftlichen Dialogs

Bericht über eine Anhörung des Kulturausschusses zur neuen europäischen Agenda für Kultur am 11. Juli 2018

Am 22. Mai veröffentlichte die Europäische Kommission in einer Mitteilung Eine neue europäische Agenda für Kultur [1], der ein Aktionsplan folgen wird. Sie war am vergangenen Freitag schon Gegenstand einer Bundesratssitzung und -beschlussfassung in Deutschland, die u. a. der Berliner Europa- und Kultursenator, Klaus Lederer miterarbeitet hatte. Ohne eine entsprechende Programmfinanzierung, ist jede Agenda geduldiges Papier. Klaus Lederer schrieb daher in seiner Pressemitteilung[2]: Dass der parallel zur neuen Kulturagenda veröffentlichte Kommissionsentwurf für den Mehrjährigen Finanzrahmen für die 2021 bis 2027 nur eine mäßige Erhöhung der Gelder für das Programm ‚Creative Europe‘ vorsieht, ist aus Berliner Sicht enttäuschend. Gerade vor dem Hintergrund zunehmender nationalistischer Abschottungstendenzen in Europa hätte es eines klaren Bekenntnisses der Kommission bedurft, dass sie die wichtige Rolle der Kultur für die staatenübergreifende Verständigung von Menschen in der EU anerkennt und schätzt.  Auch im Zukunftsbereich Digitalisierung wirkt die neue Kulturagenda bedauerlicherweise eher uninspiriert.“​ De facto ist mit dieser Kritik schon wesentliches vorweggenommen, was gestern in der Anhörung des Kulturausschusses wieder aufgenommen wurde.   

 

Als erster Experte sprach​ Ugo Bacchella, Mitbegründer und Präsident der Fitzcarraldo-Stiftung aus Turin, der unter dem Titel „A plea for matching ambitions with appropriate means“ (Ein Plädoyer für passende Ambitionen mit geeigneten Mitteln) zu einer Art methodologischer Kritik anhob, in der er zu Beginn die Politiker*innen als zwischen den Stühlen sitzend beschrieb, weshalb sie dazu neigen, immer nur mit einem konzeptuellen Rahmen zu arbeiten, die der Praxis unangemessen sind. Er konkretisierte das am Narrativ der Kreativwirtschaft, die immer nur als Ganzes in der Politik vorkäme, was gut für die Presse ist, aber real ist das alles differenzierter und hat viele Subsektoren. Toolboxen aus der digitalen Wirtschaft werden dann oft als Manna der CCI gepriesen. Doch das hielt der Experte für Unsinn und verwies darauf, dass die Mehrheit der kulturellen Produzenten keine Wachstumsfabriken hätten, sondern Zeit brauchen, um sich ein Publikum zu erschließen. Sie profitieren durchaus von der Digitalisierung, sind andererseits aber keine Technik-Start-ups. Ihnen fehlen tatsächlich auch Management-, Führungskompetenzen und technisches Wissen. Sein Fazit war: Wir brauchen mehr übergreifende Programme, die Synergien zwischen ganz unterschiedlichen Wirtschaftssektoren und den Cultural and Creative Industries (CCI) herstellen… In seinen Schlussbemerkungen wünschte er sich mehr Flexibilität bei den Pilotprogrammen, bei den sektorübergreifenden Projekten, eine bessere Evaluation, mehr Forschung, mehr qualitative Indikatoren.

 

U. a. reagierte der künftiger Berichterstatter zur Kulturagenda Georgios Grammatikakis (S&D) auf diesen Input, der eine einzige Plattform für alle Förderprogramme vorschlägt und der Forderung des zivilgesellschaftlichen europäischen Netzwerks Cultural Action Europe (s.u.) folgen wird und der Kommission eine Verdopplung des Budgets für Creative Europe vorschlagen will.  Seine Ausschusskollegin von den Grünen, Helga Trüpel, wies zum einen darauf hin, dass es nicht sinnvoll ist, Programme in eine Kategorie „Unterprogramm“ zu verfrachten, stattdessen es eine gute Sichtbarkeit geben sein muss, wieviel in Medien und in andere kulturelle Produktionen geht. Dann verteilte sie allerdings Zensuren zu bis dato nicht geäußerten Kritiken an der Kulturagenda. Sich selbst offenbar als Frau der Mitte verstehend, erklärte sie, dass das Konzept der kulturellen Vielfalt mehr Unterstützung braucht, was eigentlich niemand im Saal angegriffen hatte und ergänzte: „Interkultureller Dialog ist Kern der Strategie, statt von links und rechts über Identitäten zu sprechen.“ So kann man gern totalitäre Pappkameraden aufstellen, vor allem wenn Kolleg*innen von der Linken nicht anwesend sind, die ihre Nebenbei-Einsortierung so nicht hätten stehen lassen.

 

Die zweite Expertin war die Abteilungsleiterin Kultur der deutschen UNESCO-Kommission, Christine Merkel, nach deren Input die Debatte um die Philosophie der Kultur Agenda dann doch aufgenommen wurde. Sie betonte, dass es nicht zu übersehen ist, dass man sich mit der Rolle von Kultur in der Agenda stärker auseinandergesetzt hat, doch zu wenig auf selbstorganisierende Netzwerke oder öffentliche Bibliotheken und die Konflikte um den digitalen Kontext und die faire Entlohnung für Kreative eingegangen ist. Kulturelle Teilhabe, Medienvielfalt und eigene kulturelle Äußerungen müssten mehr in den Zusammenhang gebracht werden, über die genannten Felder (Soziales, Wirtschaft, Internationales/Erbe) hinaus. Mehr Mobilität ist wichtig, betonte sie abschließend, denn wir brauchen eine begeisterte Zusammenarbeit und nicht das Überleben von administrativen Vorgaben.

 

In der anschließenden Debatte schnürte die Ausschussvorsitzende Petra Kammerevert die Frage der Strategie, die hinter der Kulturagenda-Mitteilung der Kommission steht, dann richtig auf, indem sie auf die nicht gerade schmeichelhafte Kritik des Bundesrates in Deutschland verwies, die mit der Stellungnahme vom 9. Juli 2018[3] festhält, dass der strategische Ansatz, Kultur diversen Nützlichkeitsdimensionen zu unterwerfen, so nicht bleiben kann. Die Orientierung auf den sozialen Zusammenhalt oder die profane Rede von Kultur als “Ressource“ widerstrebe dem Umstand, dass 82 % der Stakeholder sagen, wir brauchen einen demokratischen Dialog der kulturellen Vielfalt und dafür entsprechend gute Rahmenbedingungen und dies ist letztlich der Inhalt kulturpolitischen Wirkens. Mehrere wandten ein, dass „Ressource“ im Englischen nicht diesen Nützlichkeitsaspekt beinhalte, der Alarm hier möglicherweise überzogen ist. Doch im gleichen Atemzug wandte die britische Abgeordnete Julie Ward ein, dass es nicht sein kann, dass Kunst-, Medien- und Wissenschaftsfreiheit nicht dezidiert in solch einer Agenda erwähnt werden, denn dafür müsste ohnehin allerhand getan werden. Dies spricht dann doch dafür, dass sich auch der Kulturausschuss mit der strategischen Kritik genauer auseinandersetzen muss.

 

An dritter Stelle sprach in der Anhörung Rosa Perez Monclus aus einer zivilgesellschaftlichen Perspektive vom Netzwerk: Cultural Action Europe. Ihr Forderungskatalog war irdisch und glich eins zu eins ihrer Pressemitteilung vom Februar 2018[4], weshalb an dieser Stelle hier die wesentlichen Punkte aus dem Statement als Zusammenfassung zitiert werden (eigene Übersetzung):

 

„Darüber hinaus hat der Haushaltsausschuss des Europäischen Parlaments für die Zeit nach 2020 im Berichtsentwurf des MFR (Mehrjähriger Finanzrahmen)  [des Haushaltsausschusses für die Zeit nach 2020 – k.k.] festgestellt, dass das EU-Kulturprogramm seinen europäischen Mehrwert deutlich unter Beweis stellt und bei den Begünstigten eine anhaltende Popularität genießt. Diese gemeinsame politische und institutionelle Unterstützung erfordert eine angemessene finanzielle Grundlage. Dennoch macht Creative Europe, das wichtigste Kulturprogramm der EU nur 0,14% des Gesamtbudgets der EU (2014-2020) aus, von dem nur ein Drittel (31%) für Kultur vorgesehen ist. Außerdem wurden diese sehr begrenzten Ressourcen für ein neues und immer breiteres Spektrum von Initiativen verausgabt. Wie vom Europäischen Parlament anerkannt, ‚leidet das kreative Europa an seinem eigenen Erfolg‘ und verdient ein gestärktes Budget. … Angesichts der Relevanz und Wirksamkeit des Programms und der Notwendigkeit einer Aufstockung seiner Haushaltsmittel fordert culture action europe, das für Kultur verfügbare Budget in absoluten Zahlen im MFR für die Zeit nach 2020 zu verdoppeln und für ein spezifisches kulturelles Programm im nächster Programmzeitraum bereitzustellen…

Angesichts der polarisierenden Tendenzen in Europa müssen die Struktur- und Kohäsionsfonds durch einen neuen Ansatz für die kulturelle Entwicklung gestärkt werden. Gleichermaßen erfordert die zunehmende Polarisierung auf globaler Ebene eine dringende Umsetzung der „Strategie für internationale Kulturbeziehungen“. Die gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen erfordern Investitionen in die Kultur auch als ein Bereich der europäischen Forschungs- und Innovationspolitik aufgrund ihres Beitrags zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen und zur Förderung von Innovation, Wachstum und Beschäftigung. Die Zukunft der Arbeit, die zunehmend durch den digitalen Wandel geprägt wird, erfordert das entschiedene Streben nach Synergien zwischen Kultur und Bildung, sowohl in der formalen Bildung als auch im lebenslangen Lernen. Daher sollten die europäischen Institutionen und die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass mindestens 1% des nächsten MFR für Kultur aus allen Politikbereichen und Finanzierungsprogrammen bereitgestellt werden, nachdem der Rat der Europäischen Union die übergreifenden Auswirkungen der Kultur und ihres transversalen Beitrags anerkannt hat … in seinen Schlussfolgerungen von 2015.“

 

Über diese Forderungen hinaus, hatte die Vertreterin noch weitere interessante Anregungen im Gepäck, doch entscheidend war das vorgeschlagene Kultur-Mainstreaming, also eine Querfinanzierung aus allen Bereichen, was in der Diskussion der Abgeordneten durchaus positiv gespiegelt wurde, eines der entscheidenden Anliegen. Dieser Zugang wäre eine kleine Revolution in der Kulturfinanzierung für gute Rahmenbedingungen, die nicht nur auf europäischer Ebene interessant ist, sondern auch in den Mitgliedstaaten und Kommunen weitergedacht oder konsequent vorgelebt werden könnte. Schon länger gibt es die Querfinanzierungen aus den Wirtschaftsressorts und anderen Förderstrukturen für Regionalpolitik, Bildung, internationale Beziehungen usw.

 

Der Ausschuss wird die Debatte mit dem Berichtsentwurf von Georgios Grammatikakis fortsetzen und im Herbst seine Stellungnahme verabschieden. Die Ausschussvorsitzende hielt abschließend noch einmal goldrichtig fest, dass alle Anregungen für die Kulturagenda am Ende des Tages auch mit der zukünftigen Ausstattung des Creative Europe Programm zusammenhängen. Als Vorabinfo: Martina Michels wird die Unterhändlerin für das Creative Europe Programm für unsere Fraktion sein.

 

[1] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52018DC0267&from=DE mit einem umfangreichen ergänzenden Arbeitspapier 

[2] https://www.berlin.de/sen/kulteu/aktuelles/pressemitteilungen/2018/pressemitteilung.719296.php

[3] https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2018/0101-0200/193-18(B).pdf?__blob=publicationFile&v=1

[4] https://cultureactioneurope.org/advocacy/cae-position-on-post-2020-mff/