Verantwortung kann nicht ewig abgeschoben werden

Gabi Zimmer in der EP-Debatte zur Tagung des Europäischen Rates vom 19./20. Oktober 2017

Gabi Zimmer in der Debatte zur Tagung des Europäischen Rates vom 19./20. Oktober 2017 und Vorstellung der Agenda der Staats- und Regierungschefs (Unsere Zukunft gemeinsam gestalten)“ am 24. Oktober 2017 in Strasbourg:

Meine Herren Präsidenten! Der letzte Gipfel hat in einem Umfeld innerhalb der Europäischen Union stattgefunden, das deutlich gemacht hat, dass die voreiligen Einschätzungen noch vor wenigen Wochen – wir seien raus aus der Krise – nicht zutreffen. Wir haben seitdem die Wahlen in Deutschland gehabt, wir haben die Wahlen in Österreich gehabt, in der Tschechischen Republik, wir haben die Krise in Spanien – mit Blick auf Katalonien. All das zeigt, dass vieles noch in Bewegung ist, dass vieles auch am Brodeln ist und wir uns dem gemeinsam stellen müssen.

Nun haben Sie, Herr Präsident, vorhin deutlich gemacht, wie Sie sich vorstellen, dass der Rat künftig seiner Verantwortung besser nachkommen kann. Sie haben die Regierungschefs an ihre eigene politische Verantwortung erinnert und – so wie ich Sie verstanden habe – auch deutlich gemacht, dass es Ihnen darum geht, dass Verantwortung nicht ewig abgeschoben werden kann, dass wichtige Entscheidungen, die im Rat zu treffen sind, nicht im Nirwana verschwinden, nach dem Motto: Lost in Translation, oder im Bermudadreieck des Rates dann nimmer mehr auftauchen.

Sie stellen in Aussicht, dass auf der Basis von Ihnen vorgelegter decision notes innerhalb kürzester Zeit festgestellt werden kann, wo Einigung ist, und dort, wo Einigung aus Ihrer Sicht nicht erzielbar ist, schlagen Sie vor, dass dann mit der verstärkten Zusammenarbeit begonnen werden kann.

Für mich ergeben sich daraus jetzt folgende Fragen: Bedeutet das, dass Sie sich aus den Vorschlägen, die die Kommission im Frühjahr zu den fünf Szenarien unterbreitet hat, Elemente herausgenommen haben und bereits umsetzen, ohne dass es wirklich eine breite Debatte auch mit den Bürgern und Bürgerinnen in der Europäischen Union in den Mitgliedstaaten gegeben hat?

Herr Verhofstadt und andere haben auch auf Widersprüche hingewiesen, was die ganze Struktur der demokratischen Entscheidungsabläufe innerhalb der Europäischen Union betrifft. Ich würde deshalb auch gerne wissen, ob die Zustimmung zur Leaders‘Agenda bedeutet, dass es eine Abkehr von der gescheiterten intergouvernementalen Methode gibt, die von Kanzlerin Merkel mal durchgesetzt worden ist und auf deren Basis beispielsweise ja auch der fiscal compact durchgesetzt worden ist – am Europäischen Parlament vorbei –, die aber die Kommission zur Durchsetzung dieser zwischenstaatlichen Abkommen verpflichtet?

Bedeutet das Bekenntnis zur politischen Verantwortung der Staats- und Regierungschefs im Rat, dass die Kompetenzen demokratisch nicht legitimierter Gremien, wie zum Beispiel der Finanzministerrunde der Eurogruppe, beschränkt werden, auf das notwendige Maß zurückgestutzt werden, und dass es künftig nicht mehr möglich ist, dass dieses Gremium, das sich auch dem Parlament gegenüber überhaupt nicht verpflichtet fühlt, in der Lage ist, Auflagen in Größenordnungen an Mitgliedsländer zu geben und dort das Leben von Menschen, von Bürgerinnen und Bürgern, erheblich zu beeinflussen?

Wird innerhalb des Rates geklärt, wer künftig Koch und wer Kellner ist? Oder ist es nach wie vor möglich, dass Finanzminister ihrem Regierungschef sagen, was diese zu tun und zu denken haben? Welche Vorstellungen entwickelten die Ratsmitglieder, wie künftig die Zusammenarbeit mit dem Europaparlament und auch den nationalen Parlamenten in dieser sehr verkürzten Debattenzeit, die sie angemahnt haben und die sie vorschlagen, denn konkret sein wird? Wie werden wir eingebunden? Was hat das für Konsequenzen, auch möglicherweise für die interinstitutionelle Zusammenarbeit? Es ist doch nicht mehr einfach so, dass Sie jetzt sagen können: Wir machen das jetzt so, fertig und basta. Das wird aus meiner Sicht so nicht gehen.

Auch gerade die Debatte um die soziale Säule, von der Sie gesprochen haben, hat ja gezeigt, dass es hier Klärungsbedarf gibt. Der Rat hat einen Vorschlag von uns entgegengenommen, die Kommission hat einen Vorschlag unterbreitet. Dann wird aber erst einmal monatelang diskutiert, wie denn das Parlament dann zum Schluss wieder mit eingebunden wird, wenn es mit unterzeichnen soll. Hier gibt es Klärungsbedarf, und das kann nicht einfach nur per Postulation von Vorschlägen sein.

Zum Brexit nur ganz kurz. Meine Fraktion bewegt zwei Dinge: Wir möchten gern geklärt haben, dass der Rat konkret definiert, was die Kriterien zwischen der Ratssitzung letzte Woche und der Ratssitzung im Dezember sind, so dass man dann feststellt, jetzt gibt es ausreichenden Fortschritt. Woran messen Sie das? Oder ist das mehr oder weniger so eine politische Verhandlungsmasse, und wir werden mal sehen, wohin es uns treibt?

Wir halten an zwei Punkten fest: Wir wollen nicht, dass die Bürger und Bürgerinnen in Großbritannien oder in einem anderen Mitgliedsland der Europäischen Union für das Nichtzustandekommens eines Vertrages, für einen no-deal, bestraft werden. Aber wir wollen einen Deal haben, bei dem gesichert wird, dass die citizens‘ rights und auch die Rechte der Bürgerinnen und Bürger in Nordirland letztendlich auch durchgesetzt werden und dazu gehört dann natürlich auch ein vernünftiges financial settlement.

Eine Bemerkung noch zur Migrationskrise. Ich habe vernommen, bis zum Juni gehen Sie davon aus, dass Sie einschätzen, zu bestimmten Elementen der Arbeit an der Migrationskrise weiterzukommen, eine bestimmte Einigung zu erreichen. Aber was ich vermisse, ist eine ganz klare Ansage: ein Ende der Unterstützung des libyschen Küstenschutzes, solange dieser nicht humanitäre Verpflichtungen einhält und internationale Seerettung beziehungsweise Seerecht blockiert, keine Kriminalisierung von Flucht und keine Kriminalisierung der internationalen, der privaten Seenotrettungsaktionen.“