Fernsehen ohne Grenzen – neues Kapitel verpasst
Die gestrige Abstimmung im Kulturausschuss des Europäischen Parlaments (CULT) über die „Vorschriften zur Wahrung der Urheberrechte und verwandte Schutzrechte in Bezug auf bestimmte Online-Übertragungen von Rundfunkveranstaltern und die Weiterverbreitung von Fernseh- und Hörfunkprogrammen“ – kurz SatCab2-Verodnung genannt- und die knappe Niederlage von vielen weitergehenden Vorschlägen für mehr grenzenloses Fernsehen und ein entsprechend vereinfachtes Rechtemanagement in Europa, kommentiert Martina Michels, kulturpolitische Sprecherin der Delegation DIE LINKE. im EP:
„Die Materie ist sperrig, die technischen Entwicklungen schnell. Das lineare Fernsehen produziert längst in nichtlinearen Umgebungen, in denen andere Player mit sendeähnlichen Angeboten und Filmen weltweit unterwegs sind. Die Verordnung, die hier versuchte, den modernen Entwicklungen und den europäischen Möglichkeiten gerecht zu werden, ist von öffentlichen und privaten Fernsehveranstaltern und Lobbyisten, insbesondere der Filmwirtschaft seit Monaten heiß umkämpft. Die FAZ unternahm in den vergangenen Wochen mehrere Versuche, den Untergang des europäischen Films wegen dieser eher kleinen Verordnung – die sich nur auf Online-Rechte bezieht – zu beschwören. Eigentlich ging es darum, dass Internet-TV in der europäischen Weiterverbreitung den bisherigen Kabel- und Satellitenübertragungsmöglichkeiten gleichgestellt wird. Julia Reda hatte in einem Interview auf die Sichtweise von Vertreter*innen der Filmindustrie sachlich reagiert“, so fasste Martina Michels die am weitesten entfernten Pole in die bisherigen Debatten zusammen.
„Mit diesem Verordnungs-Entwurf könnten TV- und Rundfunkanstalten Geoblocking einfacher aufheben als bisher, besonders bei aktuellen Sendeformaten, bei denen die Rechteinhaber nicht auf unbedingte territoriale Beschränkungen bestehen, beispielsweise für Nachrichten- und Informationssendungen. Machen wir uns nichts vor, erst damit würden Sendeanstalten wirklich zu einem europäischen Austausch beitragen können. Schon deshalb ist der Vorwurf, diese Verordnung würde kulturelle Vielfalt zerstören, absurd. Solche Änderungen wären vielmehr ein Beitrag dazu, kulturelle Vielfalt auf europäischer Ebene erst wirklich sicht- und erlebbar zu machen, auch getragen von der vielfältigen Rundfunk- und Fernsehlandschaft der Mitgliedstaaten. Die Verordnung ist eher ein Beitrag, diese auf europäischer Ebene erst sicht- und erlebbar zu machen.“
„Jedoch verhinderte die Abstimmung im Kultur-Ausschuss (CULT) mit den Stimmen der Christdemokraten (CDU/CSU, ÖVP, etc.) und der konservativen EKR-Fraktion, sowie einiger Abgeordneter anderer Parteien, darunter auch eine Grüne, neue Wege, die dem Internetzeitalter angemessen wären und damit auch neue kollektive Rechteklärungsmodelle ins Auge gefasst hätten. Die denkbar knappe Mehrheit hingegen sah das Territorialprinzip angegriffen, das der europäischen Filmindustrie derzeit prinzipiell die Einnahmen generiert, obwohl es im Verordnungsvorschlag nur um Online-Rechte geht.“
Martina Michels abschließend zum vorläufigen Ergebnis: „Das kann man so sehen, aber man wird mit dieser Position weder den wachsenden und auch interessanten Produktionen der international agierenden Plattformen Paroli bieten, noch das geltende Geschäftsmodell im Internetzeitalter dauerhaft retten und dabei Grenzenlosigkeit des kulturellen Austausch als Wert und moderne Geschäftsorientierung ausschlagen. Mehr Europäisierung und erleichtertes grenzüberschreitendes Fernsehen wären nicht nur ein Gewinn für Nutzer*innen und Sendeanstalten. Da ist das Argument, dass daran aufgrund der Sprachenvielfalt derzeit nur bei 6% des europäischen Publikums Interesse bestünde, eher dürftig, denn ein wachsendes Interesse entsteht nur auf der Basis eines erweiternden Angebotes und daran kann sich auch die Filmindustrie zu ihrem eigenen zukünftigen Nutzen mit beteiligen“.
Hintergrund:
Im Verordnungs-Vorschlag der EU-Kommission stand einleitend: „Ziel des vorliegenden Vorschlages ist es, die grenzüberschreitenden Bereitstellung von Online-Diensten, die Übertragung von Fernseh- und Hörfunkprogrammen zu ergänzen, zu fördern und die digitale Weiterleitung von Fernseh- und Hörfunkprogrammen aus anderen Mitgliedstaaten über geschlossene Netze zu erleichtern; …“
Was passiert mit Sendungen und Beiprogrammen, die TV-Sender ausschließlich im Internet sendebegleitend produzieren? Warum lassen sich die Mediatheken öffentlicher Sendeanstalten nicht großzügiger und grenzüberschreitend öffnen? Wäre es nicht sinnvoll für ein grenzüberschreitendes Sendeangebot kollektive Lizenzpakete zu verhandeln, anstatt jeden einzelnen urheberrechtlichen Bestandteil einer Dokumentation – beispielsweise von der Musikauswahl bis zu verwendeten Quellen – neu zu verhandeln, was bei News-Beiträgen auch aus zeitlichen Gründen de facto unmöglich ist?
Doch auf diese Fragen eine Antwort zu geben, erscheint den 28-fachen Versionen von europäischer Filmproduktion zu innovativ, obwohl mehr verfügbare europäische Angebote möglicherweise in Zukunft auch die Nachfrage für Produktionen aus den Nachbarländern vergrößert hätte und sich kulturelle Vielfalt damit praktisch neu definieren würde.
Mit den Stimmen der Christdemokraten (EVP) und der konservativen EKR-Fraktion, wurde eine engere Definition des Online-Dienstes angenommen, die den Text der Kommission zurückholte. Damit ist eine Erweiterung auf Nur-Online-produzierte Inhalte der Sender oder Online-first-produzierte Inhalte gescheitert. TV soll damit bleiben, wie es in einem Zeitalter vor dem Internet produzierte. Das ist schade und macht die Möglichkeiten der Sender gegenüber dem Produktionsumfang der großen Plattformen nicht besser.
Eigentlich sollten auch Filmproduzenten verstehen, dass man hier letztlich mit den TV-Sendern in einem Boot sitzt und es letztlich nicht sinnvoll ist, gemeinsam als Kaninchen vor der Schlange der Plattformen unterzugehen.
Immerhin gibt es nun trotzdem eine Definition der Weiterverbreitung im offenen Internet, solange sie über eine bestimmte Infrastruktur bereitgestellt wird oder die Möglichkeit bietet, eine kontrollierte Benutzergruppenumgebung zu gewährleisten. Immerhin. Ohne diesen kleinen Vorstoß hätte man sich dieser Verordnung auch schenken können.
Vor der Abstimmung im CULT gab es die meisten Diskussionen um den Artikel 2, der nun nach der Abstimmung, wie von der EVP vorgeschlagen, verabschiedet wurde: Das Herkunftslandprinzip kann jetzt nur für eigene Produktionen und vollfinanzierte Auftragsarbeiten gelten. Ein größerer Umfang wurde eingeschränkt. Es soll auch nicht möglich sein, das Herkunftslandprinzip auf Produktionen anzuwenden, für die bereits vor der Veröffentlichung der Verordnung Lizenzvereinbarungen vorliegen. Die sogenannte Sunset-Klausel wurde angenommen.
Der Artikel 3 wird nun gleichfalls ausgestaltet werden, wie er von der EVP vorgeschlagen wurde, also wird es keine Ausweitung des kollektiven Rechte-Clearance-Mechanismus für zusätzliche Funktionalitäten von Weiterverbreitungsdiensten geben und keine erweiterte kollektiven Lizenzierungsmöglichkeiten.