Konzessionsvergabe- eine neue Welle der Liberalisierung
Die EU-Kommission hat Ende 2011 ein neues Richtlinienpaket zur öffentlichen Auftragsvergabe und Dienstleistungskonzessionen vorgelegt, das aus drei einzelnen Richtlinien besteht.
Alle Richtlinien sind momentan in der Beratung des Europäischen Parlaments(EP):
- Die Richtlinie über die allgemeine Vergabe von öffentlichen Aufträgen.
- Die sogenannte Sektorenrichtlinie über die Vergabe von Aufträgen im Bereich Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste – KOM (2011)895 und
- Die Richtlinie über die Konzessionsvergabe – KOM (2011) 897.
Die Richtlinien für die öffentliche Auftragsvergabe ist nichts neues, diese gab es bereits zuvor, sie sollen aber geändert werden. Bei der Richtlinie für die Konzessionsvergabe ist die Situation jedoch völlig neu, sie gab hingegen völlig neu. Zwei Probleme stehen hier im Vordergrund: Was unter einer Konzession überhaupt zu verstehen ist und ob man diese Richtlinie überhaupt braucht. Formell ist eine Konzession “die Verleihung eines Nutzungsrechts an einer öffentlichen Sache durch staatliche oder kommunale Behörde”.
Die Abgrenzung zur öffentlichen Auftragsvergabe ist nicht einfach, was sich auch an der Vielzahl von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshof zeigt. Veinfacht erfolgt z.B. der Bau eines Krankenhauses im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe. Das Betreiben durch einen externen Auftragnehmer (Konzessionär) erfolgt per Konzessions-vergabe. E übernimmt dabei, zumindest teilweise, das betriebliche Risiko.
Das EP hatte sich 2008 im Anderson-Bericht und 2011 im Rühle-Bericht aus unterschiedlichen Gründen sehr kritisch bzw. gegen eine solche Regelung ausgesprochen. Auch in Behörden in Deutschland gibt es Städte, Gemeinden, die Sturm gegen die Richtlinie laufen und der Bundesrat hat die Subsidiarität (Nachrangigkeits-Prinzip) gerügt.
Mit diesem Richtlinienpaket verfolgt die Kommission nach eigenen Angaben folgende Ziele:
- Steigerung der Effizienz der öffentlichen Ausgaben,
- Förderung öffentlich-privater Partnerschaften,
- Flexibilisierung der Vergaberegeln,
- Erleichterung der Teilnahme kleiner und mittlerer Unternehmen an öffentlichen Vergabeverfahren
- Die öffentliche Auftragsvergabe soll gesellschaftliche Ziele unterstützen (z.B. Nachhaltigkeit)
- Gewährleistung von mehr Rechtssicherheit.
Im Kern wird jedoch die Zielsetzung der Strategie Europa 2020 vertieft: immer mehr der bisher vor Wettbewerb geschützten Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge sollen für private Anleger und Wirtschaftsinteressen geöffnet werden. Statt Wettbewerb über Qualität zu steuern, werden Löhne und Arbeitsbedingungen faktisch zu Wettbewerbskriterien instrumentalisiert. Statt den ungehinderten Wettbewerb durch soziale Mindeststandards zu begrenzen, ist das Signal genau entgegengesetzt: Der Staat soll auf Grundlange der Binnenmarkt-Freiheiten wettbewerbsorientiert wirtschaften. Statt als Konsequenz der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise die europäische Sozialstaatlichkeit zu stärken, droht eine weitere Aushöhlung und Schwächung.
Was soll geändert werden ?
Die im Vertrag von Lissabon verankerte Freiheit der Behörden, selbst zu entscheiden, ob sie Konzession vergibt, wird durch den Druck auf die öffentlichen Finanzen faktisch ab einer bestimmten Größenordnung zum europaweiten Ausschreibungszwang. Die Rahmenbedingungen für die öffentlichen Auftraggeber bzw. Vergabestellen, die Unternehmen, die Nutzerinnen und Nutzer und die Beschäftigten würden sich grundlegend geändert.
Betroffen davon ist auch die öffentliche Daseinsvorsorge, d.h. die Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen, zu denen der Staat verpflichtet ist. Das Ziel ist dann nicht mehr, die Sicherstellung dieser Güter und Dienstleistungen für die Bürger, sondern die Organisation zu einem möglichst niedrigen Preis. Durch den Preisdruck ist Entscheidungsfreiwilligkeit der Behörden kaum mehr gegeben. Das führt faktisch zu Liberalisierung und Privatisierung. Aber auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für am Markt agierende Unternehmen z.B. auch im Hafenbereich würden sich ändern, mit starken wirtschaftlichen Auswirkungen auf die regionale Ebene.
Durch die Hervorhebung von günstigen Preisen und gleichzeitiger Reduzierung der sozialen Kriterien bei der Vergabe, z.B. auf die Integration von benachteiligten Personengruppen besteht zu befürchten, dass der Bieter-Wettbewerb ungehindert über die Löhne und sonstigen Arbeitsbedingungen stattfindet, d.h. auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Und ob bei dem grundsätzliche Vorrang des Marktliberalismus auch noch ökologische Ziele bei der öffentlichen Beschaffung von Waren und Dienstleistungen verfolgt werden können, ist fraglich.
Die Verpflichtung zur Bezahlung von Tariflöhnen bei der Vergabe von Konzessionen ist ausgeschlossen. Damit ist dem Preis-Unterbietungs-Wettbewerb über Lohndumping Tür und Tor geöffnet. Die Entscheidung des EuGH im Fall Rüffert wird nicht korrigiert. Der Vorrang der wirtschaftlichen Grundfreiheiten im Verhältnis zu sozialen Rechten wird damit weiter zementiert.
Die Möglichkeit, dass verschiedene Behörden zusammenarbeiten, ist nicht vorgesehen. Statt die regionale Erbringung von Dienstleistung zu unterstützen und den regionalen Arbeitsmarkt zu stabilisieren, müsst u.U. europaweit ausgeschrieben werden.
Öffentlich-Private-Partnerschaften (PPP-Public-Privat-Partnerships) werden vorangetrieben, schön gerechnet und so der Wettbewerb zu Ungunsten der Kommunen verzerrt, obwohl das u.a. die deutschen Landesrechnungshöfe in ihrem gemeinsamen Bericht aus dem September 2011 monierten. Darin hatten sie anhand von 30 ÖPP-Projekten detailliert vorgestellt, wo die Fallstricke von ÖPPs liegen – das zentrale Ergebnis: Infrastrukturprojekte werden durch die Beteiligung Privater meistens nicht billiger. Es handelt sich um eine Verlagerung der Schulden in die Zukunft, wie bereits die PräsidentInnen der deutschen Rechnungshöfe 2006 in ihrer gemeinsamen Erklärung betont hatten.
Was ist zu tun?
Um die Aushöhlung der öffentlichen Daseinsvorsorge sowie der sozialen Standards zu verhindern ist die komplette Ablehnung dieser EU-Richtlinie zur Konzessionsvergabe der richtige Weg. Ob sich dafür im Parlament Mehrheiten organisieren lassen ist offen. Sehr hilfreich dafür wäre ein Einspruch nationaler und Länderparlamente („Subsidiaritätseinrede“). Als „Haltelinie“ bleibt auf EP-Ebene nur der Weg den Entwurf zu verbessern:
Grundsätzlich muss den Behörden auf allen Ebenen das Recht zu, selbst zu entscheiden, ob sie Konzessionen vergeben. Allerdings wird dieses Recht und die Freiheit der Behörden faktisch unterlaufen, wenn als Zuschlagskriterium das „wirtschaftlich günstigste Angebot“ über Preis und Kosten, aber ohne sogenannte „Tariftreue-Klausel“ zugelassen werden. Sonst würde der Preis-Unterbietungs-Wettwerb Druck auf die Arbeitnehmer der Beschäftigten von Auftragnehmern und damit letztlich auch auf Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst ausgeübt werden würde.
Deshalb muss in das Zuschlagskriterium des „wirtschaftlich günstigen Angebots“ auch die Einhaltung von Tarifverträgen und dem Grundsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit am vergleichbaren Arbeitsplatz einfließen.
Damit der Anreiz eines Anbieterwechseln nicht von einem Lohndumping bei den Arbeitnehmer ausgeht, müssen Arbeitnehmer, die von einem neuen Auftragnehmer übernommen werden, nach den bisherigen Konditionen übernommen werden, d.h. die Richtlinie zum Betriebsübergang entsprechend angewendet werden.
Die Einhaltung der rechtlichen Standards kann natürlich nur sicher gestellt werden, wenn Haupt- und Unterauftragnehmer jeder für sich und eine gemeinschaftliche Haftung besteht. Fazit Der Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe und der Konzessionsvergabesind wie geschaffen dafür, die ordnende Rolle des Staates für eine Politik des sozialen Fortschritts zu nutzen, d.h. für Vollbeschäftigung, Verringerung der Einkommensunterschiede, Stärkung des Sozialstaates, Abschaffung prekärer Arbeitsverhältnisse, Ausweitung der Arbeitnehmerrechte und der Mitbestimmung und für Weichenstellungen zu einer sozialen und ökologischen Weiterentwicklung des europäischen Projektes.
Bis dato war der Wettbewerb im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsore bei den eingeschränkt, da diese Dienstleistungen im Interesse der Allgemeinheit und mit besonderen Gemeinwohlverpflichtungen erbracht werden. Wenn diese Bereiche immer weiter liberalisiert und privatisiert werden, wird das nicht nur die Arbeitnehmer in diesen Bereichen treffen, sondern auch die Bürger, wenn die Leistungen schlechter und teurer werden. Besonders problematisch sind z.B. Konzessionen bei Wasser: Wenn z. B. ein Konzessionsnehmer insolvent wird, würde der Staat weiterhin verpflichtet sein, Wasser zu liefern, d.h. das „Betriebsrisiko“ würde gerade nicht übergehen. Außerdem sind die Auswirkungen von Verträgen, die teilweise 99 Jahre dauern, nicht absehbar
Um Transparenz sicherzustellen, müssen alle Verträge bereits im Planungsstadium gegenüber allen Beteiligten auf allen Ebenen veröffentlicht werden. Das ist ein wichtiges Element gegen Sozialdumping und das einzige Mittel gegen Korruption und Günstlingswirtschaft.