Europäische Fördermittel sollen Sanktionsinstrument werden

Im Zuge der Diskussionen um die Eurokrise und die überschuldeten Mitgliedstaaten scheint der Europäischen Kommission und einer Handvoll Regierender jedes Mittel recht, um Druck auf überschuldete Staaten auszuüben. Der leidige Fiskalpakt ist da nur ein Thema, aber nun versuchen einige Regierungen, diesen Druck auch über die europäische Fördermittelschiene aufzubauen. Was heißt das konkret?

Die Kommission hat in einem Verordnungspaket zur Reform der EU-Fördermittelpolitik vorgeschlagen, Zahlungen für Mitgliedstaaten zu streichen, die die Haushaltsdefizitgrenze von drei Prozent des BIP und die Schuldengrenze von 60 Prozent des BIP überschreiten.

Die Gruppe der Regierungen, die sich im Rat so vehement für diesen absurden Vorschlag einsetzt, nennt sich »Freunde der besseren Ausgabenpolitik«. Es wäre fast lustig, wenn es nicht so traurig wäre. Zu dieser Gruppe gehören: allen voran Deutschland, gefolgt von Frankreich, Österreich, Italien, den Niederlanden, Finnland und Schweden. Es bleibt abzuwarten, wie sich Frankreich unter seinem neuen Präsidenten dazu stellt.

Seit Monaten laufen die Diskussionen im Rat, und seit Monaten sprechen sich genannte Regierungen für diese Regelung aus – die übrigens den Zungenbrechernamen »makroökonomische Konditionalität« trägt. Und diese Gruppe von Regierenden scheint völlig unbeeindruckt von dem Sturm der Entrüstung, der sich unter Fördermittelexperten und Vertretern der europäischen Regionen erhoben hat.

Sowohl der Ausschuss für Regionale Entwicklung im Europäischen Parlament als auch der Ausschuss der Regionen, der deutsche Bundesrat und viele Vertreter der Zivilgesellschaft laufen gegen die vorgesehene Regelung Sturm. Denn träte sie wirklich in Kraft, würden einzelne Regionen in Haftung genommen für die Haushaltspolitik der Nationalstaaten. Und es würden eben jene Regionen bestraft, deren Nationalstaaten offensichtlich momentan in Haushaltsschwierigkeiten sind. Absurder geht es kaum. Diese gefürchtete Regelung gibt es schon in der geltenden Fördermittelverordnung – in abgeschwächter Version. Da betrifft sie nur arme Mitgliedstaaten, die Fördermittel aus dem Kohäsionsfonds erhalten, der vor allem Projekte im Umwelt- und Verkehrsbereich unterstützt. Bis vor einigen Wochen sind noch niemals Fördermittel aufgrund der Verletzung der Defizitkriterien ausgesetzt worden. Im März aber war es erstmals so weit: Ungarn werden ab dem 1. Januar kommenden Jahres 495 Millionen Euro aus dem Kohäsionsfonds gestrichen, aufgrund eines laufenden Defizitverfahrens.

Fairerweise muss man sagen, dass hier nicht »die EU« für die Streichung der Fördermittel eingetreten ist, sondern eine Gruppe von Regierungen im Rat. Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Finnland, Portugal und Belgien bestanden darauf. Andere Mitgliedstaaten wollten die Entscheidung verschieben, um Zeit zu gewinnen. Die polnische Regierung, unterstützt von der litauischen und der rumänischen, setzten sich dafür ein, einen geringeren Betrag zu streichen.

Die europäischen Fördermittel, die für die Unterstützung von Unternehmen genutzt werden können, für Infrastruktur, für die Förderung von Bildung und Ausbildung dürfen keine Sanktionsinstrumente werden.

Die Fördermittelpolitik ist in den EU-Verträgen verankert, sie soll den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt in der EU fördern – und natürlich ist sie auch ein Zeichen der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten. Sie muss gestärkt und ausgebaut werden.

(erschienen am 11.Mai 2012 im Neuen Deutschland)