Praktizierte Scheinheiligkeit
Deutschland exportiert seine Nachbarn zu Tode – und gibt danach den Moralapostel
Griechenland ist in aller Munde. Mit der ersten schweren Schuldenkrise im Eurogebiet zeigt sich, dass die große Krise der Spekulation längst nicht ausgebadet ist. Doch was ist eigentlich in Griechenland passiert? Wie konnte das Land am östlichen Mittelmeer in eine Situation rutschen, in der es in Washington und Brüssel um Hilfe betteln muss? Und was hat die Europäische Union damit zu tun?
Beginnen wir mit dem letzten Punkt. In der EU gilt das Prinzip des Binnenmarkts. Wer mit Waren, Dienstleistungen oder Finanzprodukten handelt, soll dies ohne Einschränkungen von Lappland bis Sizilien tun können. Für griechische Unternehmen heißt das, dass sie den Konkurrenzkampf mit Wettbewerbern aus Deutschland, Frankreich usw. aufnehmen müssen. Gegenüber diesen übermächtigen Konkurrenten haben sie dabei meist den kürzeren gezogen. Waffen, Autos, Elektrizität, Telekommunikation – beinahe alles muss heute bei den europäischen Nachbarn eingekauft werden. Nach neuesten Schätzungen liegt das griechische Leistungsbilanzdefizit bei 10 % seines Bruttoinlandsprodukts.
Hier kommt der Finanzmarkt ins Spiel. Will oder muss Griechenland sich verschulden, ist es auf private Geldgeber und Spekulanten angewiesen, da die EU sich bislang weigert, gemeinsame Euro-Anleihen aufzulegen. Einige wenige, ebenfalls private und gewinnorientierte Rating-Agenturen entscheiden so mit ihrer Bewertung der Kreditwürdigkeit über den Preis, den Griechenland für seine Anleihen auf den Tisch legen muss. Rating-Agenturen werden von ihren Auftraggebern bezahlt; ihre Vertrauenswürdigkeit haben sie eigentlich spätestens in der Immobilienkrise verzockt.
Die von Ackermann bis Focus gegen die Griechen geführte Verleumdungskampagne hat deshalb auch noch einen sehr handfesten Charakter. Je mehr Vertrauen in Griechenland zerstört wird, desto mehr Kasse lässt sich mit seinen Problemen machen. Praktizierte Scheinheiligkeit und unterlassene Hilfeleistung ruiniert Europas Süden und saniert die Deutsche Bank.
Beitrag für die Bezirksbühne Charlottenburg-Wilmersdorf