Kunduz-Urteil: Straffreiheit für Kriegsverbrechen
Schlag ins Gesicht der Angehörigen
Das heutige Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zum Kunduz-Massaker kommentiert die stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlaments, Özlem Alev Demirel (DIE LINKE):
Das heutige Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist ein erneuter Schlag ins Gesicht der Opfer und Hinterbliebenen des Kunduz-Massakers. Ich bedauere sehr, dass bis heute niemand für dieses von Deutschland zu verantwortende Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen wurde. Das Massaker von Kunduz war keine Naturkatastrophe, auch kein Unfall, sondern ein von Menschen durchgeführtes Kriegsverbrechen. Die Auffassung des EGMR, deutsche Gerichte seien in dieser Angelegenheit in ausreichendem Maße tätig geworden, ist nicht nachvollziehbar.
Vielmehr haben sich sowohl das Bundesverwaltungs- als auch das Bundesverfassungsgericht auf eine militaristische Logik eingelassen, die das Leben von Menschen dann nicht für schützenswert hält, wenn sie in einem Krisen- und Konfliktgebiet leben. Eine solche Sicht widerspricht Grundwerten einer zivilen und zivilisierten Gesellschaft.
Beim Massaker von Kunduz kamen im September 2009 über 100 ZivilistInnen ums Leben, als sie versuchten, Benzin aus festgefahrenen LKWs abzuzapfen. Daraufhin ließ der deutsche Oberst Georg Klein die beiden Tanklaster bombardieren, angeblich, weil er befürchtet habe, die beiden feststeckenden Gefährte könnten als fahrende Bomben verwendet werden. Anstatt hierfür zur Rechenschaft gezogen zu werden, wurde Oberst Klein später sogar zum Brigadegeneral befördert.
Bereits im Dezember 2020 bestätigte das Bundesverfassungsgericht ein früheres Bundesverwaltungsgerichtsurteil, indem es erklärte, Oberst Klein habe sich verantwortungsvoll verhalten – und erklärte damit die Ermordung von über hundert ZivilstInnen zu einem akzeptablen Kollateralschaden des Afghanistan-Krieges.
Dieser Fall zeigt nur einmal mehr, wie menschenverachtend der Afghanistan-Krieg ist. Nach zwanzig Jahren Militäreinsatz ist die Situation in Afghanistan schlimm wie lange nicht mehr.
Und obwohl der westliche Militäreinsatz ganz offensichtlich ein Teil des Problems und nicht der Lösung ist, kündigte die NATO nun auch noch an, ihren ursprünglich auf April terminierten Abzug aus dem Land auf unbestimmte Zeit zu verschieben.
Vollkommen zynisch wird es, wenn dieser Rückzug vom Truppenabzug mit Verweis auf die schlechte Sicherheitslage begründet wird. Denn gleichzeitig werden trotz dieser Sicherheitslage von Deutschland aus Menschen nach Afghanistan abgeschoben.