Gestern waren in Israel 6,3 Millionen Wahlberechtigte dazu aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Die Wahlbeteiligung lag etwas unter jener von 2015. Besonders die Beteiligung der arabischen Bürger*innen Israels fiel drastisch geringer aus als bei der vorangegangenen Knesset-Wahl. Nach Auszählung von 97.4% der Stimmen liegen Premier Benjamin Netanjahu (Likud) und Benny Gantz (Blau und Weiß) mit je 35 Parlamentssitzen gleichauf, doch wird wohl der Rechtsblock um den amtierenden Ministerpräsidenten als stärkstes Bündnis aus den Wahlen hervorgehen. Martina Michels, seit 2014 Mitglied der Delegation des Europaparlaments für die Beziehungen zur Knesset, kommentiert das Ergebnis:

“Es wird einen knappen Wahlsieger und es wird viele Verlierer geben: Das sind all jene in Israel, die sich ein friedliches Zusammenleben der Bevölkerungsgruppen in einem demokratischen Land mit gleichen Rechten für alle und gerechter sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung wünschen. Einige davon sind nicht wahlberechtigt, wie ein Teil der Bewohner Ostjerusalems, viele haben aus Enttäuschung über die mangelnden Alternativen oder aus Furcht vor den in zahlreichen Wahlbüros gesichteten Kameras nicht teilgenommen. Die Spaltung der arabisch-jüdischen Joint List hat sicherlich auch nicht zur Mobilisierung derjenigen beigetragen, die einen echten Politikwechsel wollen.“

„Keiner der Parteiführer, die nun um die Regierungsbildung verhandeln werden, hat in seinem Wahlkampf die drängenden sozioökonomischen Fragen und die Fragen nach der Verteilung und dem Schutz natürlicher Ressourcen im Land nach vorn gestellt. Alle sprachen von Sicherheit, doch ging es immer nur um die Sicherheit eines Teils der Bevölkerung. Nicht thematisiert wurde die seitens des Staates immer stärker praktizierte Ausgrenzung und Diskriminierung der israelischen arabischen Bevölkerung sowie anderer, auch jüdischer Minderheiten, die Zurückdrängung lang erkämpfter Bürger*innenrechte und die damit einhergehende Gefährdung des demokratischen Charakters und des Zusammenlebens im Land. Die bisherige, teilweise völkerrechtswidrige Politik gegenüber Palästina rückte eine einvernehmliche Lösung des Israel-Palästina-Konflikts in kaum erreichbare Ferne.“

„Die zentralen Anforderungen an jede demokratische Regierung bleiben bestehen, denn es braucht dringend die Beendigung der Diskriminierung von Teilen der israelischen Bevölkerung und der Siedlungsförderung in besetzten Gebieten, die Rücknahme des Anspruches auf die Golan-Höhen und Teile Jerusalems und es bedarf die Aufnahme von Verhandlungen mit der Palästinensischen Autonomiebehörde, besonders zur Entspannung der Lage in Gaza. Auch mit Blau-Weiß, unter dem ehemaligen General Benny Gantz, würde keine progressive Partei an die Regierung kommen. Möglicherweise würde er aber immerhin die verheerende Annexionspolitik und interne Radikalisierung der bisherigen Regierungskoalition bremsen.“

Martina Michels abschließend: „Eine kleine Hoffnung geben die Grassroots-Bewegungen der jungen Generation, die aber bislang nicht als Partei wählbar sind. Neue Friedensinitiativen und die Durchsetzung einer gerechteren Wirtschaftsordnung bleiben ihre Aufgabe.“
 

Hintergrund 
Einer der Hoffnungsträger der vergangenen Legislaturperiode, die seit 2015 überraschend mit 13 Abgeordneten in der Knesset vertretene „Joint List“ (unter ihren Abgeordneten gab es Muslime, Christen, Drusen, Beduinen sowie einen jüdischen Sozialisten) hatte sich nach Führungsstreits in zwei Listen aufgespalten.
Die neue Liste der Partei Chadasch/Al-Dschabha, in deren Mitte die Kommunistische Partei steht und die mit der Partei Ta’al des ehemaligen Arafat- Beraters Achmed Tibi zusammenging, erhielt immerhin sechs Sitze. Die zweite arabische Liste Ra’am-Balad schafft es offenbar knapp über die 3,25% Hürde und kann vier Abgeordnete entsenden.

Auch die linksliberale Meretz-Partei musste bis zum Schluss um ihren Einzug ins Parlament bangen und erhielt letztlich vier Sitze (bisher fünf). Selbst die sozialdemokratische Arbeitspartei, einst stolze Volks- und bis 1977 Regierungspartei, erreichte gerade noch sechs Sitze. Die Knesset, das israelische Parlament, umfasst 120 Sitze, für eine Regierungsbildung genügt die Unterstützung einer einfachen Mehrheit von 61 Abgeordneten.