Kommunale Kämpfe für ein anderes Europa: Soziales Wohnen, gesellschaftlicher Fortschritt und Kampf gegen Faschismus

Konferenzbericht REALPE 2019

Seit vielen Jahren veranstaltet die GUE/NGL-Fraktion im Europaparlament ein jährliches Treffen mit REALPE, dem europäischen Netzwerk fortschrittlicher lokal gewählter Vertreterinnen und Vertreter. In diesem Jahr fand es am 7. und 8. Februar in Brüssel statt. Jedes Jahr wächst und wächst diese Initiative, diesmal waren so viele Kolleg*innen und Genoss*innen aus den Kommunen in Stadt und Land dabei wie wahrscheinlich nie zuvor seit Beginn der Zusammenarbeit zwischen unserer Fraktion und dem REALPE-Netzwerk vor zwölf Jahren. Das zeigt auch: Europa findet vor Ort statt und die lokalen Interessen gehören ins Europaparlament und wir als Linke können dazu kompetent und selbstbewusst Einiges beitragen.

Diesmal ging es ganz wesentlich um Fragen rund um das Thema Wohnen und Spekulationen, soziale Ungleichheit in Städten und progressive Konzepte des Umgangs mit diesen Herausforderungen. Wohnen als Menschenrecht, Stadtentwicklung in Zeiten des digitalen Kapitalismus, Handlungsmöglichkeiten der Kommunen gegen den Ausverkauf von Wohnraum durch AirBnB & Co., Konzepte für nachhaltigen Tourismus in Stadt und Land und dabei auch die europäische Dimension und speziell die Wohnungsbaupolitik spielten dabei eine Rolle. Für Martina Michels, Mitglied im Ausschuss für Regionale Entwicklung (REGI), sind das vertraute Themen. Denn in all diesen und vielen angrenzenden Bereichen stehen EU-Fördermittel aus den Struktur-Fonds zur Verfügung, über deren Zukunft wir hier im EP gerade verhandeln. Jetzt ist also ein guter Moment, an der einen oder anderen Stelle Veränderungen und Verbesserungen vorzunehmen.

Katalin Gennburg, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, erläuterte aus Berliner Sicht „Wie Internetkonzerne unsere Städte zerstören“ und dass deshalb das „Recht auf Stadt für alle ohne AirBnB, Google & UBER“ unbedingt erkämpft werden muss:

„Wir stecken bis zum Hals im digitalen Kapitalismus. Tech-Konzerne wie Amazon, Google und Co. machen unfassbar viel Geld auf unser aller Kosten. Das ist unübersehbar, doch die Finanzminister der EU-Mitgliedstaaten können sich nicht einmal auf eine Digitalsteuer einigen, um den digitalen Kapitalismus etwas zu regulieren. Die Welt leidet an einer immer krasseren Umverteilungsungerechtigkeit. Der Manchesterkapitalismus und dann der Finanzkapitalismus waren ungerecht. Der High-Tech- und Digitalkapitalismus sind böse.“ 

DIE LINKE. / Die Linke in Europa müsse sich mit den neuen Formen der Wertschöpfung und Inwertsetzung auseinandersetzen und Antworten darauf finden, dass digitale Produktionsmethoden und digitale Absatzmärkte zu hartem analogen Klassenkampf führen.

„Im Namen von ‚Smart Cities‘ und seit neuerem ‚Smart Villages‘ finden krasse Umverteilung und Privatisierung im neuen Stile statt. Wir brauchen Digitalagenden von Links: Gegen die Selbstbedienung der Tech-Konzerne im Namen der ‚Intelligenten Mülleimer‘! Der Kampf um die Städte, mithin um das Recht auf die Stadt und das Dorf als einem abstrakten und politischem Recht, muss diese neuen Fragen mitdenken. Die Realität der Siliconvalleysierung braucht linke Antworten.

Dass mit AirBnB Wohnungsnot krass verschärft wird und Städte gleichzeitig zu Puppenstuben entmenschlicht werden, in denen der letzte ‚Eingeborene‘ wie ein Panda im Zoo besichtigt werden kann, aber seine Mietwohnung höchstens noch im Umland findet und seine Waren des täglichen Bedarfs auch nicht mehr in der Innenstadt bekommt, ist eine konkrete Ausformung des realen Kapitalismus, in dem wir noch immer bis zum Hals stecken.“

Auch über Lösungsansätze sprach Katalin: So könne man das Planungsrecht man nutzen, um den Rechtsstaat auf links zu drehen. Privatisierungen von neuen digitalen und digitalisierten Sektoren müssten beendet werden. Bürgerbeteiligung, Volksentscheide und radikale Demokratisierung seien notwendige Instrumente gegen soziale Exklusion und für linke Politik. Die Nutellalädenverordnung in Amsterdam klinge vielleicht harmlos, sei aber ein ein wichtiger praktischer Schritt. Berlin unter rot-roter Regierung habe eins der schärfsten Zweckentfremdungsverbotsgesetze.

Eine wichtige Erkenntnis nach zahlreichen Konferenzbeiträgen aus so unterschiedlichen Ländern wie Belgien, Spanien, Deutschland, Schweden, Luxemburg, Italien, Frankreich war, dass die Problemlagen eigentlich überall ähnlich sind.

Der erste Konferenztag schloß somit aus gutem Grund mit einer gemeinsamen Erklärung der Teilnehmer*innen „Für ein konkretes Recht auf Wohnraum“

Am zweiten Konferenztag ging es um die erschreckende Entwicklung von Rechtspopulismus und faschistischen Tendenzen in Europa sowie um das Problem, dass das Versprechen der Angleichung der Lebensverhältnisse in der EU noch längst nicht erfüllt werden konnte. Dabei wurde deutlich betont: Keins der vielen sozialen Probleme, die es in vielen Kommunen gibt, hat direkt mit der Anwesenheit von Migrant*innen und Geflüchteten zu tun: Es geht stets um gesellschaftliche Aufgaben, die aufgrund falscher Politik und / oder Geldmangel nicht ausreichend erfüllt werden (können): Fehlende Kindergarten- und wohnortnahe Schulplätze, soziale Ungleichheiten zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, Einkommensungerechtigkeit, Exklusion und Armut, schlechter oder ganz fehlender Wohnraum uvm. Auch dazu verabschiedeten die Teilnehmer*innen eine Abschlusserklärung „Aufruf für eine europäische antifaschistische und antirassistische Front“ (in Kürze hier).

Ziel war es natürlich auch, die Vernetzung dieser politisch Aktiven zu unterstützen, um angesichts der neoliberalen Politik des Wettbewerbs von Dienstleistungen und Völkern eine echte Alternative in Europa zu schaffen.

Einig waren sich alle, dass die Zusammenarbeit zwischen den Europaabgeordneten und Kommunalpolitiker*innen auf jeden Fall auch in den kommenden Legislaturperioden weitergeführt und intensiviert werden müsse.