Martinas Woche 47_2018
Brüssel – Magdeburg – Berlin: Kulturausschuss – HDP – Brexit – Israel – Flucht Und Migration – Europa vor der Wahl
Diese Woche begann mit einem prall gefüllten Kulturausschuss, in dem es um das Europäische Kulturerbejahr 2018 und um das Programm Creative Europe für den Zeitraum 2021 – 2027 ging. Martina reiste am Dienstag weiter nach Magdeburg, um mit dem Landesvorstand der LINKEN die europäische Dimension politischer Herausforderungen zu diskutieren, reagierte am Mittwoch auf die Forderung des Europäischen Menschengerichtshofes, den HDP-Politiker Selahattin Demirtaş aus der Haft zu entlassen, diskutierte am Donnerstag bei der Europäischen Union zum Brexit und am Freitag Abend zu politischen Herausforderungen angesichts von Flucht und Migration. Samstag besuchte sie die Regionalkonferenz der LINKEN, die sich mit Europa vor der Wahl auseinandersetzte. Am Dienstag sollte eigentlich eine Knesset-Delegation nach Brüssel kommen, doch die sagte kurzfristig ab. Dafür gibt es neue Publikationen zu Israel von Innen und Veranstaltungstipps.
Kulturausschuss zu Erbe und Zukunft: Blick auf den 7. Dezember
Es war eine ziemlich zähe Veranstaltung, als 2016/2017 der Europäischen Kommission die Finanzierung des Europäischen Kulturerbejahres abgetrotzt wurde. Hier zogen, was selten genug der Fall ist, die Mitgliedstaaten und das Parlament an einem Strang. Nun ist der Erfolg da und die Kommission stellte sich am Montag der entscheidenden Debatte: Wie weiter mit dem Europäischen Kulturerbe? Dafür wurde eine Interparlamentarische Ausschusssitzung einberufen, bei der viele Vertreterinnen und Vertreter aus dem Mitgliedsländern das Wort zu ihren praktischen Erfahrungen und Vorschlägen erhielten.
Bestimmt mussten einige im Saal schmunzeln, als die Generaldirektorin der Kommission meinte, nun prüfe man den Zusammenhang von Kulturerbe und Identität, doch ansonsten war das Niveau der Aussprache auf erhellendem Niveau. Es wurde sich auf häufig die Barcelona-Erklärung zu nachhaltigem Tourismus bezogen, denn in manchen Städten protestieren schon die Bewohnerinnen und Bewohner wegen des Besuchsstroms und diese Situation wirkt wie ein Marker für ein ganzes Bündel ungelöster Probleme. Die Restaurierung, der Katastrophenschutz, die digitale Kartografierung sind hier nur Stichworte. Doch es geht vor allem auch darum, über die Expertinnendebatten hinaus, bis in Klassenzimmer und in städtischen und regionalen Öffentlichkeiten darum zu streiten, dass europäische Identität vor allem kulturelle Vielfalt bedeutet. Immerhin sind die Erfahrungen aus dem Kulturerbejahr wichtig, denn es wurde wirklich von unten nach oben organisiert, wie UnterzeichnerInnen des Berliner Aktionsaufrufes von Juni 2018 betonten. Ob das Horizon-Programm (Forschungsprogramm der EU) oder Creative Europe (Förderprogramm der EU), aus vielen Programmen wird schon bisher Unterstützung abgerufen und dies wird erst recht in Zukunft benötigt, weshalb am Nachmittag die Kulturausschussmitglieder die Verdoppelung des Programm-Budgets von Creative Europe auf 2,8 Milliarden Euro debattierten, was eine Milliarde über dem Kommissionsvorschlag liegt. Nun warten alle gebannt auf den Aktionsplan für das Kulturerbe, der am 27. 11. im Kulturministerrat verabschiedet werden soll und in der „Abschluss“-Veranstaltung des Kulturerbejahres am 7. Dezember in Wien einer ersten großen Verständigung unterzogen wird.
Zu Gast beim Landesvorstand der LINKEN Sachsen-Anhalt
Der Landesvorstand der LINKEN in Sachsen-Anhalt hatte am Dienstag Martina Michels und Martin Schirdewan eingeladen, um ein Gespräch über die Herausforderungen europäischer Politik vor den Wahlen zu führen. In dem Gespräch wurde vom Brexit, über die unbewältigte Finanzkrise, Folgen für Regionen, die soziale Lage oder das Thema Migration diskutiert und darüber, wie DIE LINKE hier Profil in den kommenden Monaten zeigen wird. Dabei ist der Blick auf die Linken in ganz Europa mindestens so entscheidend, wie innerhalb Deutschlands, sowie das Einbeziehen der politischen Erfahrungen von der kommunalen bis zur europäischen Ebene. Wie überall spielt die Auseinandersetzung mit der Rolle der Bundesregierung in der europäischen Politik eine erhebliche Rolle und der Kampf gegen die rassistischen Lösungsangebote von Rechtsaußen. Sichtbar wurden Fehlstellen in der eigenen politischen Kommunikation, in der weder Erfolge präsent sind, noch klar und praxisbezogen die kommenden Jahre im Fokus der politischen Forderung sind. Der Debattenbedarf ist weiterhin enorm.
Türkei: Freilassung von Demirtaş und anderen inhaftierten Oppositionellen, jetzt!
Wie unmittelbar europäische Politik ist, zeigt sich nicht nur in vielen Regelungen, die all unsere Lebensbereiche durchziehen, sondern auch im Umgang mit politischen Auseinandersetzungen mit unseren südlichen Nachbarn, wie hier der Türkei. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte am Dienstag die Freilassung des Oppositionspolitikers und früheren HDP-Co-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş gefordert. „Dieser Aufforderung sollte die Türkei nicht nur schleunigst folgen, weil sie noch immer Mitglied des Europarates ist. Die türkische Regierung hat den Ausnahmezustand aufgehoben und kann ihn nicht de facto durch weitere Gesetze, die die politische und gesellschaftliche Opposition weiterhin massiv verfolgen, einfach fortsetzen,“ kommentierte Martina (hier die ganze Pressemeldung) und betonte zugleich: „Die EU ist nicht unschuldig an den Rechtsstaatsbrüchen der türkischen Regierung, indem sie den EU-Türkei-Deal einerseits aufrechterhält, statt sich zu einer humanen Flüchtlingspolitik aufzuraffen und andererseits noch immer mit der Zollunion und der Visafreiheit Öffnungen anbietet, die sie selbst an Rechtsstaatlichkeit und eine entsprechende Terrorgesetzgebung in der Türkei binden muss.“ Am Mittwoch wurde der neue EU-Türkei-Bericht des Parlaments erstmalig im Auswärtigen Ausschuss diskutiert.
EU – Israel-Beziehungen, ein neues Buch und eine Konferenz gegen Antisemitismus
Nachdem im November 2018 Israel der Gastgeber gewesen war, hätte es turnusgemäß nun wieder in Brüssel stattgefunden. Leider sagte die Delegation der Knesset kurzfristig ihren Besuch ab – die Regierungskrise nach dem Rücktritt von Verteidigungsminister Avigdor Lieberman, dem Vorsitzenden der ultra-nationalen Partei Israel Beitenu, wird dabei sicher eine Rolle gespielt haben, auch wenn vorgezogene Neuwahlen nun doch vom Tisch zu sein scheinen…
Brexitdebatte in Berlin: “Europa ist hier!“
…heißt eine Veranstaltungsreihe der Senatsverwaltung für Kultur und Europa und der Berliner Europa-Union, zu der u.a. Martina eingeladen war, um über „Brexit – und nun?“ zu debattieren. Mehr als 100 Gäste waren gekommen, um von der Gründerin von „British Europe“ Jane Golding und dem Wissenschaftler Nicolai von Ondarza (SWP) sowie den beiden Europaabgeordneten Martina Michels (DIE LINKE.) und Sylvia-Yvonne Kaufmann (SPD) zu erfahren, wie der Stand der Verhandlungen zwischen EU und der britischen Regierung zu bewerten ist und welche Perspektiven möglich sind. Fragen zur Grenze zwischen Irland und Nord-Irland, zu den Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich und zur weiteren inneren Entwicklung in Großbritannien mit einem möglichen weiteren Referendum oder Neuwahlen wie auch zur Lage der britischen Staatsbürger in der EU und von EU-Bürgern auf der Insel zeigten, wie kompliziert und immer noch unklar die Entwicklung ist. Dabei schilderten die beiden Europaabgeordneten die Auseinandersetzungen im EP. Martina machte in diesem Zusammenhang deutlich, dass der Brexit auch wachrüttelnder Ausdruck der Gesamtsituation ist, in der sich die Europäische Union gegenwärtig befindet. Bürgerinnen und Bürger sollten genau auf die Alleingänge ihrer Regierungen schauen. Wenn es nicht gelingt zu zeigen, dass viele Herausforderungen ohne solidarische europäische Lösungen einfach gänzlich unbearbeitet bleiben, dann besteht die Gefahr, dass neoliberal gestimmte Regierungen zwar gemeinsame Werte postulieren ohne aber eine entsprechende europäische Politik zu machen, womit Populistinnen und Populisten leichtes Spiel haben, ihre nationalistische Lösungen anzupreisen.
Freitag vor 1: Beratung der Europapolitischen Sprecher*innen
Die Runde der Europapolitischen Sprecherinnen und Sprecher hatte bereits auf ihrer vorangegangenen Beratung im September verabredet, entscheidende Aspekte zu diskutieren, die unbedingt zum Wahlangebot der LINKEN gehören und dafür Textvorschläge zu erarbeiten. Da bislang noch kein Entwurf des Programms vorliegt, wurden den anwesenden Mitgliedern des Parteivorstandes anhand der Wahlstrategie Hinweise und Überlegungen für die weitere Formulierung des Programms mit auf den Weg gegeben. Diskutiert wurde zugleich das Wahlmanifest der Partei der Europäischen Linken.
Freitag nach 1: Migration – Europa zwischen Flüchtlingsabwehr und Integration
Am Freitag um 18 Uhr moderierte die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau eine Veranstaltung mit Katina Schubert, der Berliner Landesvorsitzenden und migrationspolitischen Sprecherin im Berliner Abgeordnetenhaus, mit dem Aktivisten Robert Liebscher vom „no border kitchen“ und mit Martina, als Europaabgeordnete, denn im Mittelpunkt stand die völlige Abwesenheit eines humanen und gemeinsamen europäischen Ansatzes für Flucht und Migration und die Auswirkungen und politischen Interventionen auf der Ebene der Mitgliedsstaaten und Kommunen. Eindringlich schilderte Robert Liebscher die Situation auf Lesbos, die Asylsuchenden keinerlei Schutz bietet. Mangelnde gesundheitliche und anwaltliche Betreuung, Lebensumstände, die jenseits einer angemessenen Erstunterbringung sind, Kriminalisierung der Hilfestrukturen sind an der Tagesordnung, die versprochene Hilfe aus der EU blieb vor Ort einfach aus. Die politischen Forderungen sind auf allen Ebenen ähnlich und absurderweise schilderte Martina Michels, dass es seit einem Jahr einen Vorschlag unter dem Kürzel „DublinIV“ aus dem Europaparlament gibt, den die Mitgliedstaaten einfach ignorieren. Hier muss der Druck, auch aus den Städten, die – wie Katina Schubert schilderte – die Folgen der verfehlten Politik wegtragen, wachsen. Wegschauen, die Probleme bei Diktatoren wie Erdoğan oder Kriminellen, wie der libyschen Küstenwache abladen, sind keine Lösungen. Letztlich sind wir alle längst Teil eines Alltags, indem das Menschenrecht auf Asyl geschleift und Grundfragen der weltweiten Migration ungelöst bleiben. Die Bundesregierung lieferte hier seit Monaten auf Kosten von Migratinnen und Migraten ein politisches Schauspiel, dass das Desaster nur verlängert und einer der neuen Kandidaten für den CDU-Vorsitz, Friedrich Merz, schickt sich gerade an, das Recht auf Asyl gänzlich abzuschaffen. Neu ist das nicht, wie Heribert Prantl in der Süddeutschen diese Woche erinnerte, womit sich der Kreis zur offenen Debatte um Europas geschichtliche Lehren, wie die im ersten Abschnitt hier angesprochen sind, schließt.
Regionalkonferenz Ost „Europa anders machen“ zum Europawahlprogramm
Nach der ersten Regionalkonferenz der LINKEN in Vorbereitung auf die Europawahlen vor einem Monat in Mannheim fand in Berlin die zweite Runde mit Mitgliedern und Interessierten vor allem aus ostdeutschen Bundesländern statt. Auch wenn kritisch vermerkt wurde, dass es noch keinen Entwurf des Wahlprogramms der LINKEN gibt, über den diskutiert werden konnte, wurden von den zahlreichen Teilnehmer*innen Überlegungen geäußert, was in dieses Programm gehören sollte. Dabei wurde deutlich, dass sehr unterschiedliche Positionen hinsichtlich der Haltung zur EU und zum politischen Umgang mit der EU ausgetauscht wurden und die weitere Debatte sehr schnell zu guten Ergebnissen führen sollte, was die LINKE in Brüssel will und wofür Wählerinnen und Wähler mit der LINKEN Druck machen sollten.
TIPP: Wohnen – ein linkes Thema in der Kommune, ein linkes Thema in Europa
SAVE THE DATE: Konferenz mit REALPE 7./8. Februar 2019 in Brüssel