Linke diskutieren Strategien für sozialen Zusammenhalt, öffentliche Dienste und Investitionen in den Kommunen
Konferenzbericht REALPE 2018
Unter dem Titel „Sozialer Zusammenhalt, öffentliche Dienste und Investitionen in den Kommunen“ fand am 28. Juni 2018 die jährliche Konferenz der EP-Linksfraktion GUE/NGL mit Gästen von REALPE statt. REALPE, das ist das Europäische Netzwerk der linker Kommunal- und Regionalpolitiker*innen.
Angesichts der Aktualität der Frage „Wie weiter mit der EU, dem EU-Haushalt und der europäischen Regional- und Förderpolitik?“ ging es am Vormittag um einen Überblick über die bisherige EU-Kohäsionspolitik (so der Fachbegriff) sowie über die soeben vorgelegten Vorschläge der EU-Kommission, wie es damit denn nach 2021, also nach dem Brexit und dem Auslaufen der jetzigen Förderperiode, weitergehen soll.
Thomas Wobben vom Europäischen Ausschuss der Regionen lieferte mit seinem Vortrag über Möglichkeiten der der Nutzung von EU-Fördermitteln in Kommunen und Regionen zunächst eine fachliche Grundlage, stieg dann jedoch auch in Fragestellungen ein: Sind die Vorschläge der Kommission geeignet, künftig vereinfachten und an den Bedürfnissen vor Ort orientierten Zugang zu EU-Förderung zu ermöglichen und gerechtere Mittelverteilung zu garantieren? Lassen sich massive Mittelkürzungen in der Kohäsionspolitik insgesamt (minus 10%) zum Beispiel im Bereich der Unterstützung für ländliche Entwicklung (minus 20%), interregionale Zusammenarbeit und gleichzeitig die Verschiebung von Förderprioritäten u.a. hin zu mehr Exzellenzforschung und innovativen Technologien rechtfertigen? Ist es tatsächlich sinnvoll, die Planung der Mittelvergabe stärker bei den nationalen Regierungen zu zentralisieren?
Die Europaabgeordneten der GUE/NGL sind hinsichtlich dieser und anderer Kritikpunkte sehr einig. Martina Michels, unsere regionalpolitische Sprecherin, betonte in ihrem Redebeitrag:
„Die EU-Kohäsionspolitik ist Ausdruck der Solidarität in Europa und de facto ein Verfassungsauftrag innerhalb der EU-Politik. Ihr Ziel ist die Angleichung und Aufwärtsentwicklung der Lebensstandards überall in Europa. Angesichts der vielen und zum Teil anhaltenden Krisen der vergangenen Jahre wäre es sinnvoll und notwendig, den EU-Haushalt in diesem Bereich aufzustocken. Der von der Kommission vorgeschlagene Siebenjahreshaushalt (2021-2027) jedoch setzt völlig andere Prioritäten. Massive Kürzungen bei der Finanzierung der Kohäsionspolitik, dem wichtigsten Solidaritätsinstrument der EU sind dort zu finden. Stattdessen zielen die Mittel für so genannte „neue Herausforderungen und Prioritäten“ darauf ab, mehr Geld für die „Festung Europa“ und für Konjunkturprogramme für Sicherheits- und Militärunternehmen auszugeben. Die Verantwortung liegt natürlich bei der Kommission, die die Gesetzesvorschläge macht. Aber auch bei den nationalen Regierungen. Auch ihre Sparideologie hat alle Krisen immer nur verschärft. Weiterlesen …“
GUE/NGL-Vizepräsident Neoklis Sylikiotis (AKEL/Zypern) und Dimistris Papadimoulis (SYRIZA/Griechenland), wie Martina Mitglied im Ausschuss für regionale Entwicklung (REGI), äußerten sich in ähnlicher Weise. Ebenso wie Martina kritisierten sie die Einführung verschärfter Sanktions- und Konditionierungsmöglichkeiten bei Nichteinhaltung von Sparauflagen, Liberalisierungs- und Privatisierungsempfehlungen. Viele der Gäste erläuterten die häufigen Probleme bürokratischer und oft langwieriger Antrags- und Nachweisverfahren sowie die Schwierigkeit, erforderliche und steigende Eigenanteile für Projekte aufzubringen.
In einer gemeinsamen Erklärung der Teilnehmer der REALPE-Konferenz zur Zukunft der EU-Regionalpolitik (Englische Version) sind die Kernforderungen nachzulesen.
Der Nachmittag folgte dem aus den vergangenen Jahren bekannten Modell des Austausches über linke Kommunalpolitik in verschiedenen Bereichen öffentlicher Daseinsvorsorge. So sprachen Vertreter*innen aus Galizien, Schweden und Griechenland über Problemlagen und Lösungsansätze bei der Bereitstellung von ÖPNV in ländlichen Regionen. Genoss*innen aus Irland, Frankreich, Zypern, Spanien und Griechenland diskutierten über Strategien, das Grundrecht auf Wasser umzusetzen. Auch die oft desolate Lage öffentlicher Infrastruktur und Versorgung im Bereich Gesundheit kam zur Sprache, wobei Privatisierung ganz offensichtlich nirgendwo in Europa zum Ziel des universellen qualitativ hochwertigen Zugangs aller zu Gesundheitsdiensten führt.
Juliane Witt, linke Stadträtin aus Marzahn-Hellersdorf, berichtete über die Berliner Schulbau-Offensive. Jahrelang ist nicht nur in den Schulen, aber vor allem dort, ein überdimensionaler Sanierungsbedarf entstanden, der zurecht Eltern, Schulleitungen und Kinder auf die Palme bringt. Dazu kommt Mehrbedarf an Schulinfrastruktur, der sich in Teilen auf die Integration von schulpflichtigen Flüchtlingskindern zurückführen lässt. 2016 endlich ist vom rot-rot-grünen Senat von Berlin ein komplexes Maßnahmebündel unter dem Label Schulbauoffensive erarbeitet worden. „Die Erhöhung der dafür vorgesehenen Mittel durch die Landesregierung“, sagt Juliane Witt „bedeutet eine immense Unterstützung der Bezirke, die für den baulichen Unterhalt der Gebäude zuständig sind. Doch die Umsetzung liegt ganz wesentlich in Verantwortung der kommunalen Ebene, der Bezirke.“ Der Sanierungsbedarf wurde in allen Bezirken erfasst und kann nun nach einheitliche Kriterien abgebaut werden. Für jede der etwa 700 Schulen musste ein Sanierungs- und Finanzierungsfahrplan erarbeitet werden, Zeitrahmen der Fertigstellung, konkrete Maßnahmen und qualitative Ziele beschrieben werden. „Wichtig dabei ist, dass alle Verwaltungsbereiche und die Behörden vor Ort, die davon betroffen sind – Finanzen, Personal, die Verantwortlichen für die Sicherstellung der Förderprogramme, Stadtentwicklung und Bildung – gemeinsam agieren und dass schnell für Schüler und Eltern qualitative Fortschritte sichtbar werden“, betonte die Stadträtin. „Wir als Marzahn/Hellersdorf waren ein maßgeblicher Motor: Unser Konzept für die Regionalverbünde ist die Basis dafür, dass wir jetzt im Osten Berlins einen Verbund von fünf Bezirken haben und so die Vorteile von gemeinsamer Beauftragung von Planungsleistung, günstigere Preise, gemeinsame qualitative Vorstellungen etc. sehr schnell in den Prozess einbringen können.“ Marzahn-Hellerdorf kooperiert hierbei mit mit Pankow, Lichtenberg, Treptow-Köpenick und Friedrichshain/Kreuzberg. Anspruch ist dabei nicht allein, reinen Beschulungsraum zur Verfügung zu stellen: „Es geht um qualitative gute bauliche Lernbedingungen, nicht einfach ein paar zusätzliche Container neben den alten Plattenbauschulen“, versichert Juliane.
Wir in Brüssel jedenfalls, haben viel Neues, Kritisches, aber vor allem auch Positives gehört und hoffen, auch im kommenden Jahr zahlreiche Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker in Brüssel wiederzutreffen.
Bericht in der Tageszeitung „Neues Deutschland“ vom 9. Juli 2018: Leere Landstriche, hohe Grenzen: Die EU-Kommission will den Solidaritätsfonds kürzen – und beim Militär aufstocken