EU-Urheberrechtsreform: Eine digitale Rückwärtsrolle

Die Kommission stellte ihren Entwurf am 14. September 2016 vor

Die Vorstellung der Vorhaben zur Harmonisierung des EU-Urheberrechts waren für den 21. September 2016 angekündigt. Nach mehreren Leaks Ende August stellten Ansip und Oettinger dann die Kommissionsvorschläge schon am 14. September 2016 vor. 

Der Tag war medial voll von der Debatte um Junckers Rede zu rLage der Europäischen Union, so dass der Vizepräsident und der Digitalkommissar möglicherweise hofften, dass die durchwachsenen Ideen für eine Europäisierung des Urheberrechts in der öffentlichen Debatte untergehen und nur Fachpolitik und Netzaktivisten bewegen wird. 

Doch dies ist leider auch generell so, denn die Materie ist schwierig.

Um die Urheber/Innen, die Kreativen aller Art, geht es oft nur am Rande bei der Reform des Urheberrechts. Neuerungen würden sich in diesem Falle in einem Urhebervertragsrecht widerspiegeln. Dies ist aber nur ein kleiner Teil dessen, der im Mittelpunkt einer Urheberrechtsreform steht: die Beziehungen zwischen Urhebern und Rechteverwertern. Das Positive also zuerst: Die Reformvorschläge haben an dieser Stelle einen kleinen Hoffnungsschimmer im Gepäck. Es soll ein Recht auf Nachverhandlungen für die Kreativen (Art. 14ff.) gegenüber den Verlagen, der Musikindustrie usw. geben, nämlich dann, wenn sie plötzlich einen Hit, einen Bestseller abgeliefert haben. 

Doch das Urhebervertragsrecht ist nicht der Kern der schleppenden Urheberechtserform. 

 

I. Wer hat außer den Urhebern mit dem Urheberrecht im digitalen Zeitalter eigentlich zu tun?

Wir alle, könnte man kurz sagen. 

Im Mittelpunkt steht das sogenannte geistige/immaterielle/intellektuelle Eigentum von Kreativen und seiner Verwertung durch die Kulturindustrie, Verlage, Medien und natürlich darüber hinaus natürlich durch die Industrie allgemein (hier sollen nur einmal die Pharma- und die Automobilindustrie aufgeführt werden, bei der es dann auch ums Patent-, Marken- und Musterrecht, als Teil des Urheberrechts geht).

Im Folgenden werden die Urheberrechtsreformvorschläge vor allem aus kulturpolitischer Perspektive behandelt. Das heißt einmal natürlich, die modernen kulturindustriellen digitalen Produktionsformen zu beachten, doch andererseits zu wissen, dass es hier nicht allein um„die Industrie“ und „die Wirtschaft“ gehen kann. Genau dies scheint aber der Digitalkommissar Oettinger nicht wahrhaben zu wollen. Es geht bei Urheberrechtsreformen im digitalen Zeitalter zuerst um ein Rückgrat einer modernen Demokratie, einem garantieren Recht auf Zugang zu Kultur, Bildung, Wissen und Kommunikation. Und deshalb geht es auch um eine Neubewertung der Praxis, dass Nutzerinnen und Nutzer auf den modernen Plattformen und in den sozialen Netzwerken selbst kreativ und produzierend aktiv sind, dass sie dort auch Rechte haben und einen modernen Datenschutz brauchen. Sie sind nicht nur (zahlende) Konsumenten, sondern – insbesondere die institutionellen Nutzer, wie Bibliotheken, Mediatheken, Archive, Museen usw. – moderne Wissensspeicher und Kommunikatoren und damit auch Mitproduzenten eines demokratischen Dialog und einer modernen Öffentlichkeit in unseren Gesellschaften.

Deshalb geht es nicht nur darum, dass alte Urheberrecht selbst zu reformieren, sondern vor allem auch darum, Ausnahmen vom Urheberrecht, Grenzen seiner Reichweite in einer völlig neuen Lern-, Kommunikations- und Wissenskultur politisch auszuhandeln. 

Wir blicken bei der Reform des Urheberrechts auf (mindestens) drei Gruppierungen, die in einen fairen politischen Ausgleich im digitalen Zeitalter gebracht werden müssen: 

  1. Die Verlage (Musik, Buch), die Musik-, Medien- und Filmindustrie, TV und Rundfunk, und ihre modernen Konkurrenten, die Plattformen, Videosharingangebote, soziale, Netzwerke, Streamingdienste usw. Es gibt darüberhinaus noch die Rechteverwertungsgesellschaften, wie GEMA, VG Wort usw., die Gemeinschaftsverträge für Künstler und Autoren gegenüber den Medien, Google books, Netzwerken, Veranstaltern, Geräteherstellern (Kopiepauschale), Haushalten, Krankenhäusern, Hotels usw. aushandeln und innehaben.
  2. die eigentlichen Urheber/innen: Autoren/Musiker/Kreative/Journalisten (zu denen in sozialen Netzwerken und Sharingplattformen auch die NutzerInnen zählen)
  3. Publikum, Konsumenten, NutzerInnen. Und aufgepasst: Neben den individuelle Nutzerinnen gibt es viele institutionelle NutzerInnen: Forschungs- und Bildungsinstitutionen, Mediatheken, Bibliotheken, Archive, Museen, die selbst wieder einen entscheidenden Auftrag für die Zugang zu Kultur und Wissen  leisten sollen.

In der Öffentlichkeit wird am meisten über das Wohl und Wehe der UrheberInnen, der KünstlerInnen, JournalistInnen und über die (undankbaren) individuellen NutzerInnen geredet. Wesentlich geräuschloser, aber politisch viel mächtiger sind hingegen die meisten gesetzlichen Vorschläge für ein verändertes Urheberrecht, die vor allem der ersten Gruppierung nützen: den Verlagen, Rechteverwertern, Musik- und Filmindustrie. 

Diese Gruppe der professionellen Rechteverwerter haben zum Teil ein vitales Interesse, den Flickenteppich der 28 verschiedenen Urheberrechte (und seiner Ausnahmen) in der EU lieber so zu lassen wie er ist. 

 

II. Der Stand der Dinge

Mit den neuen Vorschlägen der EU-Kommission ist die im Mai 2015 versprochene europäische Harmonisierung eines modernen Urheberrechts im Prinzip beerdigt, beklagt Leonhard Dobusch bei netzpolitik.org zurecht. 

Die neuen Regelungen haben ergänzenden Charakter  zur Information-society-directive von 2001 – die alte EU-Urheberrechtsrichtlinie. Es ist also kein neuer Ansatz in einer völlig veränderten Kommunikationswelt, mit neuen Marktteilnehmern, wie Facebook und Netflix, sondern eine Art Anstricken. 

Damit bleibt der alte nationale Flickenteppich der Ausnahmen/Schranken, in denen das Urheberrecht außen vor bleibt, eigentlich bestehen. 

Nur 3 kleine europäische Brücken wurden verpflichtend obendrauf gepackt, wobei unklar ist, ob die wirklich hinreichend ausdiskutiert sind:

  • 1. Schranke für Text und Data-Mining (TDM) für Forschungseinrichtungen. Sie dürfen zu kommerziellen und nicht kommerziellen Zwecken Cloudcomputing betreiben. Das klingt erst einmal gut. Aber ohne Datensicherheit ist das ein kochenden Thema. Verbindungen zur kommerziellen Industrieforschung sind fließend. So heißt es denn auch, dass TDM außerhalb der Forschung im Urheberrecht erfasst wird. Da können wir gespannt sein, was die Generaldirektion für Internationalen Handel, die ACTA ganz sicher nicht vergessen hat, zu derartigen Vorschlägen zu sagen hat. (Art. 3)
  • 2. Schranke für digitale und grenzüberschreitende Bildungsaktivitäten, soll heißen, dass das Urheberrecht bei Schulservern und Online-Lernumgebungen außen vor bleibt, aber offenbar nur, wenn sie als Intranet betrieben werden. Ansonsten ist schon jetzt klar, dass Schulbuchverlage dagegen Sturm laufen werden, wenn es keine Differenzierungen gibt, wie das genau gemeint ist. Bisher ist der Kommission nur eingefallen, den reichlich unpräzisen Vorschlag auf andere Weise zu „entsorgen“: es kann nationale Ausnahmen von dieser Ausnahme geben, nämlich dann, wenn adäquate Lizenzangebote zu Lerninhalten vorhanden sind. Gibt es dann demnächst eine Bildungsregulierungsbehörde, die das prüft? (Art. 4)
  • 3. Schranke für die Bewahrung des kulturellen Erbes Museen,Archive, Büchereien dürfen Kopien ihrer Werke erstellen und speichern. Ins Netz dürfen sie diese aber weiterhin nicht stellen. Die Speicherung dient nur der Aufbewahrung. Na dann aber schnell, möchte man meinen. Das Kölner Stadtarchiv und die Amalia-Bibliothek lassen grüßen und irgendwann sind die irrsinnigen Laufzeiten der Schutzdauer dann ja auch abgelaufen. (Art. 5) 

Im Artikel 7 gibt es zu vergriffenen Werken den guten Vorschlag, dass sie als „out of commerce works“ digital verfügbar gemacht werden. Damit wären weitere Schritte für umfassende digitale Bibliotheken denkbar.

Es soll einen Streitschlichtungsmechanismus für Streamingdienste geben, wenn sie bestimmte Filme oder Videos nicht anbieten dürfen. 

Da es innerhalb der zeitgleich verhandelten AVMD-Richtlinie bei Streit ebenso eine Europäische Ermittlungsstelle geben soll, in welchem Land der Streamingsdienst eigentlich seinen Sitz hat, damit dort Steuern gezahlt werden (und das geoblocking in anderen Ländern fröhlich weiterlaufen kann), häufen sich derzeit skurrile Vorschläge, wie man die neuen Dienste, Plattformen, Netzwerke in den Europäischen Griff bekommt. 

Da die Kommission offenbar noch immer den Verlag aus dem 19. Jahrhundert im Kopf hat und hofft, dass die Digitalisierung in alten Marktstrategien einzufangen ist, hat sie ihr Ohr ganz besonders den alten großen Presseverlegern geliehen. Daraus entspringt 

dann offenbar der größte Stuss des Entwurfes:

Der Artikel 11 sieht ein EU-Leistungsschutzrecht für Presseverleger vor, noch dazu mit einer Schutzdauer von 20 Jahren. Das Verbieten oder sich Vergüten lassen von kurzen Linkinformationen zu Artikeln im Netz in Form von Snippets ist eine absurde Idee der alten, großen Presseverleger, um ihre Marktanteile gegenüber den neuen großen Plattformen – insbesondere google – zu sichern. Dieser Kampf der Giganten würde durch die Fassung im Kommissionsentwurf nun auch tendenziell wieder jede Bloggerin, jeden Blogger treffen, die uns auf Informationen und Quellen verweisen.

Die Auseinandersetzung mit google & Co. muss anders aussehen! Steuergesetze sind hilfreich, doch über die Nutzung dieser Einkünfte sollte dann die Gesellschaft und nicht Springer & Co. bestimmen, wie bei anderen Steuern auch. Die Nichtanerkennung des digitalen Suchens als Dienst und Werbung durch die Presseverlage ist ein absurder Versuch, Pfründe zu sichern. Damit werden real weder üppigere Honorare an JournalistInnen gezahlt, noch ist die Einstellung von google news in Spanien ernsthaft als Beitrag zur Medienvielfalt zu werten. Der ganze Ansatz geht in die falsche Richtung und stellt die Funktionsweise der Kommunikation im Internet völlig auf den Kopf.

Im Artikel 12 wird vorgeschlagen, dass die Verlage wieder an den Pauschalvergütungen (Kopierabgabe usw.) durch die Rechteverwerter beteiligt werden. Das ist so ähnlich wie beim Leistungsschutzrecht. Genau das ist in Deutschland gerade juristisch gekippt worden, nun soll es europäisch wieder auferstehen. Man kann ja so etwas politisch gern diskutieren, ob und wie vor allem kleine Verlage unterstützt werden, aber auf  diesem Wege ist es genauso unehrlich, wie die „google tax“ des Leistungsschutzrechtes der Presseverlage, die dann immer erzählen, die wollen damit dem Qualitätsjournalismus dienen, also den armen eigentlichen Urhebern. 

In den Reformvorschlägen sind weiterhin Informations- und Sperrpflichten für Plattformbetreiber, obwohl dies alle schon gesetzlich geregelt sind und die Verantwortung für nutzergenerierten Inhalt wird derzeit gerade innerhalb der AVMD neu geregelt. Das ist also unklar, ob das überhaupt hier hin gehört.

Die sinnvolle Bestsellerklausel wurde schon eingangs besprochen.

 

III. Großes Schweigen zum Geoblocking und zur Panoramafreiheit

Etwas absurd an den bisher vorliegenden Vorschlägen ist, dass das Ausnahme- und Schrankenchaos irgendwie so bleiben wird, wie es schon ist und das die medialen Großthemen – wie Panoramafreiheit (was wohl eher symbolisch ein Großthema wurde)  und Abschaffung des Geoblockings irgendwie nicht verhandelt werden.

Wie oft haben sich Andrus Ansip und Günter Oettinger hier aus dem Fenster gelehnt und nun schweigen sie. Was ist nun mit Netflix im Urlaub? Mit der jüngst verhandelten Portabilitätsrichtlinie ist das Thema nicht erledigt. 

Das Schrankenchaos bleibt und Sinnvolles aus dem US-Copyright, wie „Fair use“ werden in einer Kultur des Remixens und der vielen neuen Nutzungsformen des Informierend und Recherchierens, des Online-Lernens nicht einmal diskutiert.