und täglich grüßt das Murmeltier: Ein Abend mit Oettinger
„Presseverlage und digitale Innovation“ und wieder eine Debatte zum Leistungsschutzrecht
Gestern lud die Landesvertretung Hessens in Brüssel gemeinsam mit dem Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom e. V.) zu einer Veranstaltung unter dem Titel: „Presseverlage und digitale Innovation“. Alle Vorahnungen haben sich bestätigt: Es ging einmal mehr um das Leistungsschutzrecht für Presseverlage, das in Deutschland und Spanien praktisch gescheitert ist – und doch hat die Kommission dessen „vorbehaltlose Prüfung“ im Zuge der Gesetzesvorhaben zum Digitalen Binnenmarkt (DSM) schon mehrfach angekündigt.
Zu Recht fragen sich Kundige und Interessenvertreterinnen der digitalen Wirtschaft, Bloggerinnen und Bibliotheksfachleute, Schüler und Studentinnen, sowie Netzaktivistinnen und -aktivisten, warum ein Gesetz, das derart wirkungslos blieb und nicht mal einmal seinen eigentlichen Zweck erfüllte, der darin bestand, der Springer- und der WAZ-Gruppe die Marktanteile ohne jegliche geschäftliche Innovation zu sichern, nun auch noch in europäisierter Form das Licht der Welt erblicken soll.
Der Konflikt oder: Was verbirgt sich hinter dem Leistungsschutzrecht?
Die alten Großen der Medienbranche kämpfen gegen die neuen Großen der Internetkommunikation, konkret: Zeitungsverleger gegen Google. Springer, WAZ u.a. kamen auf die glorreiche Idee, dass Google für ihre umfassenden Fundstellen von Presseartikeln, insbesondere bei Google News, zahlen solle, denn sie könnten sich solche Verweise auf urheberrechtlich geschützte Artikel nicht einfach kostenlos aneignen.
Die populistische Erzählung der Idee zu einem Leistungsschutzrecht für Presseverlage basiert auf dem gut eingeführten Feindbild „Google“. Sie wird um das Wahre und Gute ergänzt, das mit der „Google Tax“ verteidigt werden soll, und das heißt dann: „Medienvielfalt und Qualitätsjournalismus“. Um es kurz zu machen, liebe große Zeitungsverleger: Bezahlt eure Journalistinnen und Journalisten besser, dann fangen wir an, von dieser Geschichte etwas zu glauben.
Alles in allem ist diese Argumentationsfigur Unsinn – schon deshalb, weil Blogs aus diesem seltsamen Deal einfach ausgegrenzt werden. Dabei werden auch diese von engagierten Journalistinnen und Journalisten betrieben. Viel zu oft wird beim Urheberrecht im Namen der Kreativen gesprochen und genau dies wird beim Leistungsschutzrecht einmal mehr wiederholt, obwohl es doch eher um die Macht der Verlegerinnen und Verleger geht. Jeder Tageszeitung stünde es frei, bei dem, was sie auch online aufsetzt, in den Metadaten mitzuteilen, dass sie von Google nicht gefunden werden will. Also sich erst finden lassen – immerhin auch ein spezieller Dienst – und dann sagen, „das muss jetzt aber bezahlt werden“, ist schon sehr eigenwillig.
Und tatsächlich: In Wirklichkeit verweigert niemand den Spider- und Robotroutinen von Google, dass man gefunden wird. Und das hat seinen Grund: Das Auffinden im Netz erhöht oft sogar den Printumsatz, selbst wenn er insgesamt zurückgeht, was aber ein Phänomen des digitalen Wandels insgesamt ist und nicht durch die Bevorteilung eines Modells zu ändern ist. Es existieren auch schon kluge Geschäftsmodelle der Verknüpfung von Online- und Printpublikationen, mit denen sich kleine und große Firmen in den gewandelten Kommunikationsformen bewegen. Und auf der anderen Seite gibt es die „alten großen Tanker“, die keine rechte Lust auf Innovation haben und mit dem Leistungsschutzrecht auf eine politische Lösung verfielen, um sich ihre Marktanteile durch eine Art Google-Steuer sichern zu wollen.
Der Kommissar
Nachdem Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder, der als Lobbyist der Internetwirtschaft selbstredend kein Freund des Leistungsschutzrechtes ist, den Abend eröffnet hatte, sprach Günther Oettinger, der zuständige EU-Kommissar. Nach der Mitteilung der Kommssion vom 9.12.2015 zum Fortgang der Akte zum Digitalen Binnenmarkt durfte man also erneut gespannt sein, wie die Europäisierung der 28 verschiedenen Urheberrechtswelten in der EU nun aussehen wird und wann die Kommission die Vorschläge liefert.
Günther Oettinger, wie immer mitten in der Sache, überrascht nicht wirklich mit seinem etwas eingleisigen Bild des freien Marktes, doch er stellt immerhin fröhlich und zulässig verkürzend dar, dass unsere Kultur aus Shakespeare und Udo Jürgens bestünde. O, als Bogen zwischen E- und U-Kunst, den die Deutschen offenbar immer wieder brauchen (die lassen bei Eurostat sogar Kochsendungen als Bildungsfernsehen zählen), lassen wir das einfach gelten. Dann holte er weit aus. Er hätte nicht darüber zu entscheiden, ob jemand Trollinger oder Red Bull trinke. Und deshalb hätte er auch nicht zu entscheiden, ob jemand in einem Druckerzeugnis liest oder online. Und ehe er zum eigentlich Punkt kommt, wirft er der Verlegerfraktion noch einen dicken Brocken in den Weg und merkt an, dass „Self Publishing“ immerhin DAS große Thema der diesjährigen Frankfurter Buchmesse war. Diesen schönen Part schloss er dann – mit dem Blick auf die Welt der unregulierten geheimen Wesen, kurz „Plattformen“ genannt – ab und spitzte nochmal ordentlich zu, indem er folgende Frage in den gut besetzten Konferenzraum schmetterte: „Brauchen wir noch Verleger und Sender wie Pro7 oder nur noch Plattformen?“ (sinngemäße Wiedergabe)
Die bekannte Unschärfe in der endgültigen Positionierung des Kommissars vor Veröffentlichung der Vorschläge der Kommission endete in der klassischen Politikerdiplomatie: Wir prüfen ergebnisoffen, noch laufen schließlich Konsulationen. Immerhin können die Zuhörerinnen und Zuhörer die wichtige Information nach Hause tragen: Die Gesetzesvorschläge zum digitalen Binnenmarkt sollen im Juni (Audiovisuelle Medienrichtlinie (AVMD)) und im Oktober (Copyright) kommen.
Abschließend schloss der Kommissar den Vorstoß für ein europäisiertes Leistungsschutzrecht nicht aus, „weil es ja in Deutschland vielleicht nur schlecht gemacht war “ Obwohl das Europäische Parlament dazu schon einmal im Juli 2015 eine Absage erteilt hat, was den ganzen Abend keine Rolle zu spielen schien, wurden also die Geister des Leistungsschutzrechtes wieder gerufen. Sie bestimmten dann auch das anschließende Podiumsgespräch.
Das Podium
Zum eingangs eröffnenden Hauptgeschäftsführer des Bitkom, Bernhard Rohleder, diskutierten unter Leitung des Journalisten Eric Bonse die Europaabgeordnete der EVP Sabine Verheyen, Patrick Bunk, CEO Ubermetrics, und Jochen Wegner, der Chefredakteur von ZEIT ONLINE.
Es gab wider Erwarten in dieser Runde eigentlich nur eine Verteidigerin des Leistungsschutzrechts, die Politikerin der EVP, und wir ahnen schon, wie die Argumentation ausfiel: Es ging um Qualitätsjournalismus und Medienvielfalt. Frau Verheyen ist eine kluge gestandene Fachpolitikerin und es war kaum nachvollziehbar, warum sie hier die Politik der Zeitungsverleger derart simpel verteidigte.
Patrick Bunk baute ihr eine schöne Brücke: Wir könnten durchaus darüber reden, was Google der Allgemeinheit zurückgeben könnte, denn es geht hier schließlich um eine Art Steuer, aber die käme dann der Allgemeinheit zu. Und wenn wir alle entscheiden wollen, dass wir damit Verlage stützen wollen, dann kann man das in einer demokratischen Debatte auch so entscheiden. Immerhin wurde das Problem der neuen Giganten hier in anderer Weise angepackt und Regulierung von Plattformen nicht ausgeschlossen.
Damit lagen auch schon alle Karten auf dem Tisch. Schade war, dass durch die ausschließlich konservative Vertretung des Europäischen Parlaments im Fazit des Podiums festgehalten wurde, dass es „wesentliche Stimmen im Parlament“ gäbe, die sich für ein Leistungsschutzrecht aussprechen. Obwohl dies so nicht stimmt und hier die Einladepolitik der Veranstalter anzugreifen wäre, sollten wir aus diesem Podium mitnehmen, dass die Presseverlage weiter energisch für ihre eigenen Machtpositionen wirbeln und die Debatten längst noch nicht politisch entschieden sind. Andererseits gibt es gute Chancen, dass sich hier die breite Front derer, die die öffentlichen Wissenszugänge – auch im Netz – verteidigen, die Bildungs-, Kultur- und NetzpolitikerInnen mit der Internetindustrie verbünden und ein europäisches Leistungsschutzrecht verhindern.
Gesonderte Debatten zur Definition und zum regulierenden Umgang mit Plattformen, z.B. mit Google und Facebook, müssen wir allerdings zeitgleich führen. Denn auch dazu werden sich die Gesetzesvorschläge der Kommission verhalten müssen. Derartige Debatten sind ja auch nicht neu, wie das Jahre zurückliegende GoogleBooks-Settlement beweist.