Thomas Händel, Verfasser. – Herr Präsident! Die soziale Situation in Europa braucht dringend ein Triple-A an sozialem Rating. Das ist unzweifelhaft und offensichtlich auch bei der Kommission angekommen.

Jeder weiß: Wir verharren noch immer auf einer sehr hohen Arbeitslosigkeit in Europa, wenn sie auch leicht sinkt, aber es ist nur die offiziell registrierte. Wir haben eine völlig inakzeptable Rate an Jugendarbeitslosigkeit, und zwar nicht nur in den sogenannten Krisenstaaten. Wir haben die Situation, dass die Armut in Europa solche Größenordnungen erreicht, dass ein Viertel der europäischen Bevölkerung an oder unter der OECD-Armutsgrenze lebt. Wir jubeln manchmal über neu entstehende Arbeitsplätze, aber es sind im Wesentlichen prekäre Arbeitsplätze, die entstehen, wo Menschen arm in Arbeit sind.

Das alles, scheint es, hat die Kommission nun kapiert und macht eine Initiative zu einem sozialen Triple A. Im Oktober 2014 hat Jean-Claude Juncker in einer Rede vor dem EP ehrgeizig dieses Projekt angekündigt. Selbst der Fünf-Präsidenten-Bericht zur Vollendung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion will den Fokus auf Beschäftigung und Soziales stärken.

Der EPSCO 2015 hat die Schlussfolgerung zu einer Vision für ein soziales Triple-A-Rating für Europa definiert. Ich zitiere: „Sozialpolitik soll ihr volles Potenzial nutzen und soziale und beschäftigungspolitische Herausforderungen für die Erreichung der gemeinsamen sozialen und Beschäftigungsziele in der Europa-2020-Strategie angehen“. Das alles sind Worte. Ich erkenne an – auch für die Kommission, da gibt es, glaube ich, keine Diskussion – für die soziale Frage in Europa gibt es keine einfache und keine Generallösung.

Aber seit der ersten Ankündigung hat die Kommission noch nicht geliefert. Keine konkrete und strukturierte Information über die Fortschritte eines sozialen Triple-A. Nun gibt es seit heute eine Mitteilung seitens der Kommission, aber, liebe Frau Kommissarin Thyssen, aus dieser strukturierten Information von heute werde ich auch nicht viel schlauer. Da fehlt mir zu viel, da sind Allgemeinplätze drin, die jeder von uns in diesem Parlament unterschreiben könnte. Aber es gibt keine klare Ansage, was denn nun passiert.

Erstens: Wie definiert die Kommission denn ein soziales Triple-A für Europa? Zweitens: Wie sind die konkreten Details über das Konzept, die Komponenten und die Ziele? Drittens: Was sind die bestehenden und vor allem was sind neue Mechanismen, Verfahren und Indikatoren und messbare Schritte, und zwar innerhalb und außerhalb des europäischen Semesters, für die Durchsetzung dieser Ziele? Viertens: Wie werden die Instrumente denn eingesetzt werden? Fünftens: Wie ist der detaillierte Zeitplan der Kommission für ein soziales Triple-A? Sechstens: Wie soll eine bessere soziale Konvergenz nach oben auf Grundlage gemeinsamer High-Level-Standards gefördert werden?

Das alles sind Fragen, die sich stellen. Aber ich bin noch nicht am Ende mit dem Fragenkatalog meines Ausschusses. Welche Reformen und Gesetze will die Kommission denn auf europäischer und nationaler Ebene fördern, damit wir eine höhere soziale Konvergenz bekommen? Achtens: Wie sollen die Fortschritte in diese Richtung denn überprüft werden? Schlussendlich: Wie will die Kommission denn ein soziales Triple-A-Rating für die ganze EU installieren und nicht nur für die Wirtschafts- und Währungsunion? Wollen wir nicht ein Kerneuropa und ein Randeuropa schaffen, ein Europa der zwei Geschwindigkeiten im sozialen Bereich?

Das sind Fragen, die sich auftun. Ich will am Schluss deutlich machen: Ich glaube, die soziale Situation ist die Schlüsselfrage, die absolut entscheidende Schlüsselfrage, für ein gemeinsames, ein solidarisches Europa. Deswegen haben wir nicht Zeit bis März 2017, haben wir nicht die Zeit, erst ein Weißbuch abzuwarten. Es braucht jetzt dringend klare Schritte in Richtung eines stärkeren sozialen Europas.