Urheberrechte und TTIP im Kulturausschuss
Seltsame Abstimmungen und aufregende Debatten
Zum Stand der Dinge aus dem Kulturausschuss am 26. Februar 2015
Gleich dreifach standen heute die Urheberrechte auf dem Programm des Kulturausschusses. Eine gute Stellungnahme von Michel Reimon von den Grünen zum EU-Actionplan, indem es um die Durchsetzung der geistigen Eigentumsrechte geht, wurde durch viele verwässernde Änderungsanträge in ein stumpfes Schwert gegen Freunde von ACTA&Co verwandelt. Der Berichterstatter zog infolge dessen seinen Namen zurück.
Zum anderen gab es eine erste Debatte zum Bericht der Piratin Julia Reda, der in Deutschland eine ínteressante Diskussion ausgelöst hat.
Nach harscher Kritik am Bolognaprozess, der eines dringenden Neustarts bedarf, begann endlich eine hoffnungsvollere Debatte zu TTIP und Kultur, in der sich – außer den Konservativen – alle gegen das Investorschiedsverfahren (ISDS) aussprachen und nicht nur von Martina Michels ergänzende Änderungsvorschläge zur exakten Definition der Ausnahme der audio-visuellen Medien angekündigt wurden.
Gleichsam wurde einmal mehr angemerkt, dass das unerledigte Thema des Vormittags – die Urheberechte – auch im TTIP versteckt ist und über diesen Tunnel die Kultur wieder in den Verträgen verhandelt wird.
Die Debatte um „TTIP und Kultur“ im Ausschuss und darüber hinaus
Helga Trüpel, Abgeordnete der Grünen hatte eine ausgewogene Stellungnahme zu TTIP aus der Perspektive des CULT-Ausschusses in die Debatte eingebracht, die mit einem klaren Votum gegen die Investorschiedsverfahren (ISDS) abschloss. Mit ihrer Orientierung auf eine Generalklausel, auf das hohe Gut der Buchpreisbindung und die Orientierung auf eine Positivliste widerspiegelte ihre Stellungnahme wesentliche Kritiken von Vereinen und Verbänden vom deutschen Kulturrat bis zu europäischen FilmemacherInnen an TTIP.
Der Debattenverlauf zeigte überdies, dass an zwei miteinander verknüpften Punkten, die Änderungsanträge deutlich über die Stellungnahme hinausgehen werden. (Stellungnahmen sind im Platz begrenzt und, wenn es gut läuft, ist eine gewisse Kooperation im Ausschuss gleich inbegriffen ist. Das betrifft dann auch die Forderung nach einer exakten Definition der audio-visuellen Medien und die Rolle des Urheberrechts in modernen Kulturprozessen und daher auch in den TTIP-Verhandlungen.)
Zum Hintergrund:
Viele Kulturleute fordern, dass sich die USA zur UNESCO-Konvention für kulturelle Vielfalt bekennt. Das stand auch nochmals in der Stellungnahme. Doch die audiovisuellen Medien sind für die USA höchstens außerhalb von Handelsverträgen ein Kulturgut. Der Verweis auf die Konvention, die die USA nicht einmal ratifiziert hat, wird voraussichtlich wenig daran ändern, dass für die USA audio-visuelle Medien einfach ein Teil des profitablen Sektors der Telekommunikation sind. Im Panel 3 der SPD-Bundestagsfraktionsveranstaltung zu TTIP am vergangenen Montag in Berlin hat der Geschäftsführer des deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, diesen höchst unterschiedlichen Zugang der Verhandlungspartner zur Definition der audio-visuellen Medien nochmal deutlich hervorgehoben.
Doch nicht nur deshalb, auch wegen der Harmonisierung beim Urheberrecht – und der nötigen Reformen im digitalen Zeitalter – gehören die audiovisuellen Medien, die damit verbundene Musik- und Verlagsindustrie – auch außerhalb der öffentlich-rechtlichen Anstalten in den Mitgliedstaaten – für die USA wie auch für die Kulturindustrie Europas vollständig in den Vertrag. Und hier steht erneut das Urheberrecht im Mittelpunkt und es geht ums profitable und ausschließende digitale (aber auch analoge) Rechtemanagement. Und am Ende geht es auch um den Datenschutz und die Rechte der Kulturkonsumenten, um Studierende, WissenschaftlerInnen und JournalistInnen und um unser aller Möglichkeiten, in einer digitalen Kultur frei Wissen zu tauschen und zu kommunizieren.
Im Januar hatte Kommissar Oettinger nochmals die audio-visuellen Medien als Vertragsgegenstand von TTIP im Kulturausschuss verneint. Aber werden sie deshalb nicht in TTIP verhandelt?
Die deutsche Bundesregierung hat auf eine kleine Anfrage der LINKEN – schon in der letzten Legislatur geantwortet: „Das Verhandlungsmandat legt unzweideutig fest, das audiovisuelle Medien vom Kapitel über Dienstleistungen und Niederlassungen nicht erfasst werden.“ [BT-Drs. 17/14541, Petra Sitte u. a.)
Offenbar haben derlei Antworten bis heute nichts weiter als die Qualität von Beteuerungen.
Es wäre an der Zeit, sich zu vergegenwärtigen, dass mit TTIP nicht nur die geförderte Kulturlandschaft Europas in den Fokus des Internationalen Handels gerät, sondern einmal mehr auch der große Sektor der Kulturwirtschaft, der kleinen und großen Verlage, Studios, Musik- und Veranstaltungsunternehmen.
Die ungelösten Klippen eines reformbedürftigen Urheberrechts im digitalen Zeitalter bescheren uns scheinbar still und leise einen neuen Versuch, eine Art ACTA Plus mit TTIP zu installieren. Es ist ausreichend, die Wunschlisten der Lobbyisten von „Digital Europa“ und von „Global Voice of Music Publishing“ zu lesen, die sie angesichts der TTIP-Verhandlungen im vergangenen Sommer geäußert haben. Dann bekommen wir eine Ahnung, dass unsere derzeitige europäische Kulturlandschaft nicht nur wegen der Investorschiedsverfahren und der fehlenden Positivliste in Gefahr ist.
Die Verhandlungen über die geistigen Eigentumsrechte, die ja über Kultur und Wissen im engeren Sinne der politischen Schubkästchen hinaus, die Agrarproduktion, den Gesundheitssektor und diverse Innovationen in allen Wirtschaftsbranchen betreffen, sind die Pforte über die TTIP am Ende auch wieder mitten in unserer Kulturlandschaft stehen wird, auch wenn öffentlich geförderte Bereiche aus den weiteren Verhandlungen ausgenommen werden sollten.