Steueroase Luxemburg: Berlin wusste angeblich davon

Artikel: Radio Stimme Russlands, 7. November 2014

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http://german.ruvr.ru/2014_11_07/Steueroase-Luxemburg-Berlin-wusste-angeblich-davon-5155/

Luxemburg hat, wie es aussieht, beim Tricksen geholfen. International namenhafte Unternehmen wie Pepsi, Amazon und die Deutsche Bank konnten Geld aus dem Ausland nach Luxemburg schaffen. Dadurch behielten sie viel Geld unversteuert für sich. Besonders heikel ist: Diese Steuertricks fallen in die Zeit, als der EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker Premier- und Finanzminister von Luxemburg gewesen ist. Juncker muss dafür Verantwortung tragen, sagt Fabio De Masi, wirtschaftspolitischer Sprecher der Linken im Europaparlament. Das Interview geführt hat Hendrik Polland.

Noch bevor Juncker neuer Chef der EU-Kommission geworden ist, hat er einen verstärkten Kampf gegen Steuerbetrug und Steuervermeidung versprochen. Dabei ist sein eigenes Land eine Steueroase. War das möglicherweise ein Abrechnen mit alten Fehlern?

De Masi: Nein, ich glaube, dass Herr Juncker unglaubwürdig ist. Er hat das geäußert, weil er wusste, was da auf ihn zukommt. Die Linke hat von Anfang an erklärt: Wir werden Herrn Juncker nicht unterstützen bei der Wahl zum EU-Kommissionspräsidenten, weil er Regierungschef einer Steueroase war.

Unternehmen soll es vereinzelt gelungen sein, ihren Steuersatz auf unter ein Prozent zu drücken. Wie ist sowas überhaupt möglich?

De Masi: Das funktioniert über etwas komplizierte Modelle. Das beispielsweise Konzerne ihren Tochtergesellschaften einen Kredit einräumen und dann werden die Zinskosten geltend gemacht in einem Land mit höheren Steuern. Die Gewinne werden dann ausgewiesen in Ländern mit niedrigen Steuern. Wir haben es hier mit Lug und Betrug zu tun. Luxemburg stellt sich auf den Standpunkt und sagt: Das ist legal. Aber nicht alles was legal ist, ist anständig. Das es legal ist, sagt mehr über den Zustand der Europäischen Union aus als darüber, was die Bevölkerung als gerecht empfindet.

Hat Luxemburg bewusst solch ein Modell geschaffen, oder waren die Unternehmen clever genug, bestimmte Lücken für sich zu nutzen?

De Masi: Nein, das geschah ganz bewusst. Es gab Vorschläge, wie sich Unternehmen ansiedeln lassen, indem man ihnen eine möglichst geringe Besteuerung verspricht. Luxemburg hat ganz offen damit geworben, eine Steueroase zu sein und das alles geschah unter der Verantwortung von Herrn Juncker.

Wie kann es dann sein, dass die anderen Länder der EU nichts davon mitbekommen haben sollen?

De Masi: Auch das ist meines Erachtens nicht richtig. Natürlich wussten die anderen Länder von dieser Praxis. Insofern ist die Empörung aus Berlin, die wir gerade von Herrn Schäuble oder Herrn Gabriel hören, etwas geheuchelt. Im Gegenteil: Wir haben dieses Thema immer wieder im Europäischen Parlament und im deutschen Bundestag zur Sprache gebracht. Die Antwort, die wir erhielten ist, dass dieser Steuerwettbewerb gesund und gewollt sei. Insofern war die Entdeckung, also Luxemburg Leaks, durch diese investigativen Journalisten nur die Spitze des Eisbergs. Im Prinzip ist das allen relevanten Entscheidungsträgern seit Jahren bekannt. Außerdem hat das Methode. Man schafft mit Steueroase wie Luxemburg das Argument in Deutschland, wie können die Unternehmenssteuern hier nicht angemessen gestalten, weil, wenn wir das tun, dann wandern diese Unternehmen ab. Deswegen brauchen wir endlich eine Veränderung der EU-Verträge, um Mindeststeuern für Unternehmen zu verabreden, damit sich Staaten nicht mehr gegenseitig um die niedrigsten Steuern auskonkurrieren und am Ende wichtige öffentliche Investitionen auf der Strecke bleiben. Herr Juncker hat ein Investitionspaket über 300 Milliarden Euro versprochen. Er weiß gerade nicht, wie er das finanzieren soll. Er müsste nur mal nach Luxemburg gehen, dann wüsste er, wo dieses Geld zu beschaffen ist.

Der Geschäftsführer der Agentur „Luxembourg for Finance“, Nicolas Mackel, sagt, dass das Problem die Interaktion von vielen Steuersystemen sei und nicht eines einzelnen. Damit meint er die Tax Inversion, also das Unternehmen ihre Hauptsitze in günstige Steuerländer verlegen können. Brauchen wir in Europa ein einheitliches Steuersystem?

De Masi: Nein, wir brauchen kein einheitliches Steuersystem. Das wäre auch nicht angebracht. Aber wir brauchen Mindeststeuern, das heißt bestimmte Sätze, die niemand unterbieten kann. Wir brauchen auch Regeln über die sogenannten Bemessungsgrundlagen, also was auf der Ebene des Unternehmens überhaupt besteuert wird. Genau das ist aber mit den geltenden EU-Verträgen nicht möglich.

Sie sagen, dass EU-Staaten etwa eine Billion Euro durch Steuerhinterziehung und -vermeidung verlieren. Wie kommen Sie auf diese Zahl?

De Masi: Das ist eine offizielle Zahl des ehemaligen Steuerkommissars László Kovács. Das bezieht sich auf legale Steuertricks wie in Luxemburg, aber auch auf die illegale Steuerhinterziehung.
 

Hendrik Polland.