„Die politische Krise der EU“ – Teil 1

Videomitschnitt der Internetkonferenz „Europa alternativ“ am 7.12.2011

Der LINKE Europaabgeordnete Helmut Scholz diskutiert mit Birgit Daiber, Leiterin der Rosa Luxemburg Stiftung in Brüssel, über die neuen Regelmechanismen zum Eindämmen der Finanzkrise und ihre Auswirkungen auf die vertraglichen Strukturen der Europäischen Union. 1. Teil der Internetkonferenz zum Thema „Die politische Krise der EU“.

Zu den anderen Teilen des Videomitschnitts: Teil 2 | Teil 3

 

Die politische Krise der EU

Gemeinschaftliche und solidarische Lösungsansätze für eine Demokratisierung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in der EU der 27: Wer sind die Akteure? Wie steht es um die politischen Strukturen in der EU? Welche Rechte und Möglichkeiten haben die/ der Einzelne, über ihre/seine Zukunft zu befinden?

  • Entscheidungsprozesse in der EU: die EU im Spannungsverhältnis von Zivilgesellschaft und einem Europa politischer und wirtschaftlicher Eliten – was heißt das für Mitbestimmung und europäische Öffentlichkeit?
  • Grund- und Freiheitsrechte am Beispiel von Profiling, Vorratsdatenspeicherung und Datenschutz

Mit den Europa-Abgeordneten Conny Ernst, Helmut Scholz und dem Gast Karsten Neumann, Vorstandsmitglied der deutschen Vereinigung für Datenschutz (DVD).

Die politische Krise der EU

Im Kampf gegen organisierte Kriminalität und im Namen des diffusen „Krieges gegen den Terror“ werden auf nationaler wie auf europäischer Ebene mehr und mehr personenbezogene Daten ohne konkreten Anlass gesammelt und verbreitet. Beispiele hierfür sind die Vorratsdatenspeicherung von Telefondaten, das Abkommen mit den USA zum Aufspüren von Terrorismusfinanzierung (SWIFT) und die Fluggastdatenauswertung. Am Beispiel der Datensammlungen zum sogenannten Profiling, einer Art Rasterfahndung, zeigt die Europaabgeordnete DER LINKEN Cornelia Ernst (Mitglied im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres) die Absurdität des sogenannten „unbekannten Verdächtigen“ auf: Anhand vorher festgelegter Kriterien werden gesammelte Daten akribisch ausgewertet mit dem Ziel, „unbekannte Verdächtige“ aufzuspüren. Doch wie kann eine Person, die nicht bekannt ist, verdächtig sein?
Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, verankert in Artikel 7 und 8 der Grundrechtecharta der Europäischen Union sowie im achten Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention des Europarates, ist eine der Voraussetzungen der freien und demokratischen Gesellschaft. Es schützt unser Recht auf einen individuellen Lebensentwurf und verhindert die Entwicklung zum „gläsernen Menschen“: wie oft ich wohin in Urlaub fahre oder wann und weshalb ich wenn anrufe geht eben niemanden etwas an!
Zur Überwindung der Krise in der Gewährleistung der individuellen Freiheiten und Rechte, muss die EU im vergangenen Jahrzehnt eingeleitete Entwicklungen aufhalten und umkehren. Anknüpfungspunkt kann die allgemein als vorbildlich geltende Richtlinie zum Datenschutz in der EU sein. Diese trat im Jahr 1995 in Kraft und wird derzeit aktualisiert. Des Weiteren ist der Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention unumgänglich. Klagemöglichkeiten müssen ausgeweitet werden, Kontrollbehörden wie der europäische Datenschutzbeauftragte, aber auch die Ombudsleute müssen besser ausgestattet werden. Generell bedarf es der Vergrößerung der Kompetenzen des Europäischen Parlaments.

Einer der Grundfehler der EU ist, dass eine Mitgestaltung ihrer Politiken durch die Bürgerinnen und Bürger weitgehend fehlt. Der bislang „von Oben“ gesteuerte Prozess des Krisenmanagements der politisch Verantwortlichen in den Regierungen einerseits und der finanz- und wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger in den Chefetagen der Banken, Versicherungen und transnationalen Unternehmen andererseits zeigt, dass die gegenwärtige Krise der EU ohne eine „General-Reparatur“ und damit einer entscheidenden Veränderung des strukturellen Charakters des Integrationsprojekts schwer oder vielleicht auch gar nicht im Sinne der Gründungsideen der europäischen Gemeinschaft zu überwinden ist. Helmut Scholz, LINKER Europaabgeordneter und Mitglied im Ausschuss für Internationalen Handel sowie Stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Konstitutionelle Fragen, fragt, ob die Bürgerinnen und Bürger der 27 Mitgliedstaaten noch Einfluss auf ESFS, ESM und all die neuen Regelmechanismen zum Eindämmen der Finanzkrise haben oder ob es längst um „ein Vorbei“ an den vertraglich fixierten Strukturen der EU geht.

Die anhaltenden scharfen politischen Auseinandersetzungen um „Durchgriffsrechte“ von EU-Kommission oder anderen Regulierungsbehörden zur Kontrolle der Finanzspekulationen, dem Europäischen Semester (bei dem die Mitgliedsstaaten der Kommission noch vor den nationalen Parlamenten Einsicht in ihre Haushaltpläne gewähren) sowie der Mitwirkung des Ausschusses der Regionen und des Wirtschafts- und Sozialrates stellen auch DIE LINKE im Europaparlament vor Fragen substantieller Natur: Gibt es Grundrecht auf Demokratie verstanden als Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger und wie kann ein solcher Anspruch verwirklicht werden? Wie kann auch durch demokratische Strukturen gewährleistet werden, dass politische Wege aus der Krise nicht zu mehr Ungerechtigkeit(en) und Ungleichheit(en) führen, sondern die Glaubwürdigkeit und Gestaltungsmacht der Politik zurückgewonnen werden kann?