Jeder Siebte leidet Hunger
Roma gehören in der EU zu den Ärmsten der Armen.
Die Roma, die größte ethnische Minderheit in der Europäischen Union, gehört in den Staaten Mittel- und Osteuropas buchstäblich zu den Ärmsten der Armen. Eine Studie der Vereinten Nationen aus dem Jahre 2003 zeigt, dass in Bulgarien und Rumänien mehr als drei Viertel aller Roma unterhalb der Armutsgrenze leben. (Avoiding the Dependency Trap, Mai 2003) Bei einer Befragung unter Roma-Familien in Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Rumänien und der Slowakei gab ein Fünftel der Befragten an, ein bis zwei Tage im Monat nicht genügend zu essen zu haben. Jeder Siebte hat sogar täglich gegen Hunger zu kämpfen. Besonders gravierend ist die Situation in Bulgarien und Rumänien (hier macht die Gruppe der Roma zehn Prozent der Bevölkerung aus): ungefähr ein Drittel der Roma-Kinder leidet an Hunger. Roma, die in ländlichen Gegenden leben, sind „doppelte Verlierer“. Sie sind noch wesentlich häufiger von Hunger betroffen, als Roma, die in städtischen Regionen wohnen.
2004 kam es in der ostslowakischen Stadt Levoca zu einem „Hungeraufstand“: nach drastischen Kürzungen bei der Sozialhilfe griff im Februar eine Gruppe von 80 Roma einen Supermarkt an. Die Aktionen weiteten sich rasch auf andere Städte der Region aus.
Gründe für die hohe Armutsrate sind Diskriminierung und Ausgrenzung im Bildungsbereich und auf dem Arbeitsmarkt. In Tschechien beispielsweise beginnt für Roma der Teufelskreis aus geringerer Bildung und Armut schon zu Beginn des Lebens: in vielen Orten werden Roma-Kinder in Sonderschulen untergebracht und erhalten so eine Schulbildung niedrigeren Standards. Amnesty International verurteilte 2010 diese menschenrechtswidrige systematische Diskriminierung, und forderte die Regierung auf, die Sonderbehandlung von Roma-Kindern zu beenden. Bereits im November 2007 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt, dass Roma-Kinder in Tschechien aufgrund dieser Praxis in ihrem Recht auf Bildung verletzt würden.
Das Europäische Parlament ist aktiv geworden. Seit April 2005 hat es mehrfach Resolutionen gegen Ausgrenzung, Ungleichbehandlung und Roma-Feindlichkeit verabschiedet und die Mitgliedstaaten aufgefordert, endlich zu handeln. Dem schloss sich im April dieses Jahres die Europäische Kommission an. Mit ihrer Roma-Strategie täuscht sie aber nur vor, Verantwortung zu übernehmen. Die Strategie ist nicht das Papier wert, auf dem sie steht. Sie enthält keine verbindlichen Vorgaben für die Mitgliedstaaten, und verliert kein Wort über die tief verwurzelte Roma-Feindlichkeit, die der Grund für Ausgrenzung und Sonderbehandlung ist. Als Abgeordnete des Europäischen Parlaments bleibt uns nur, weiter Druck auszuüben und nach wie vor auf die skandalösen Zustände aufmerksam zu machen.