EU knickt bei Jedermann-Konto ein
von Werner Balsen, Frankfurter Rundschau
Rund 30 Millionen EU-Bürgern ist der Zugang zu einem Bankkonto derzeit noch verwehrt. EU-Kommissar Michel Barnier wollte das eigentlich mit einem Gesetz ändern, doch nun macht er einen Rückzieher.
„Das soziale Europa betonen“ lautet eine beliebte Formel, mit der Politiker der zunehmenden EU-Unlust der Bürger begegnen wollen. Die Menschen sollen erkennen, dass die Union nicht nur für Konzerne, sondern auch für sie selbst da ist. So weit die Sonntagsreden. Werktags sieht die Praxis oft ganz anders aus. Dann sind die Interessen der Bürger die ersten, die in der politischen Debatte geopfert werden.
EU-Kommissar Michel Barnier glaubt „fest daran, dass jeder Zugang zu einem Bankkonto haben sollte“. Der ist rund 30 Millionen EU-Bürgern derzeit noch verwehrt. Dabei ist der Zugang zum bargeldlosen Zahlungsverkehr eine Voraussetzung für die Teilnahme am wirtschaftlichen Leben geworden. Wer kein Girokonto hat, bekommt keinen Arbeitsplatz, weil Unternehmer Löhne bargeldlos anweisen. Auch soziale Leistungen fließen auf das Girokonto. Und für jede Rechnung, die der Strom- oder Gaskunde per Barüberweisung begleichen muss und nicht von seinem Girokonto überweisen kann, werden Gebühren fällig. Deshalb bemühte sich Barnier, der dabei ist, eine ganze Reihe von Binnenmarktreformen zu präsentieren, auch einen Gesetzentwurf für ein „Konto für Jedermann“ auszuarbeiten. Jeder in der EU soll am bargeldlosen Zahlungsverkehr teilnehmen können. Schließlich sei „es entscheidend, dass auch der Bürger etwas vom Binnenmarkt hat“.
Sozial Schwache ohne Lobby
Dennoch entschied der Kommissar jetzt, keinen verpflichtenden Gesetzentwurf vorzulegen, sondern in punkto „Konto für Jedermann“ nur eine unverbindliche „Empfehlung“ an die Mitgliedstaaten. In der Kommission heißt es, Barnier habe Druck „von ganz oben“ nachgegeben. Auch Jürgen Klute, EU-Parlamentarier von Die Linke, ist sicher, dass Kommissionspräsident José Manuel Barroso hinter dem Wandel vom Gesetz zur Empfehlung steht: „Der hat hier dem Drängen einiger Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, nachgegeben und zwingt Barnier zum Einknicken.“
Die Bundesregierung sieht in einem Zwang, das „Konto für Jedermann“ gesetzlich zu regeln, eine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips. Dabei kann Berlin auf Erfolge im eigenen Land verweisen, wo Banken und Sparkassen sich freiwillig verpflichtet haben, jedem ein „Konto auf Guthabenbasis“ einzurichten, also ohne die Möglichkeit, zu überziehen. In Deutschland wie auch in einigen anderen „alten“ EU-Staaten besteht somit kein großer Handlungsbedarf.
Sehr wohl aber in Polen, Litauen und anderen „neuen“ Mitgliedsländern. Die hat Barnier im Blick – aber deren Regierungen werden seinen „Empfehlungen“ nicht viel Bedeutung beimessen. Johannes Kleis vom Europäischen Verbraucherverband Beuc kritisiert den Schwenk des Kommissars denn auch scharf. „Das ist eine reine Verzögerungstaktik“. Barnier scheint selbst zu wissen, wie stumpf das Instrument der „Empfehlung“ ist. Deshalb droht er bereits damit, in einem Jahr doch noch einen Gesetzentwurf vorzulegen, wenn sich Unionsländer mit Handlungsbedarf nicht bewegen. Auch Klute kritisiert das Manöver: „ Es zeigt sich wieder einmal, dass sozial Schwache in Europa keine Lobby haben.“
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