Roma-Feindlichkeit ist in Europa salonfähig
Cornelia Ernst, Manuela Kropp
Jeder, wirklich jeder kann etwas über „Zigeuner“ erzählen. Über Sinti und Roma, wie es richtig und nicht herabwürdigend heißt. Es ist seltsam, aber bei diesem Thema sind alle Experten. Da vermischen sich Geschichten aus der Boulevardpresse mit angeblich persönlich Erlebtem, und schnell ist das Urteil da: Hauptsache, die wohnen nicht bei mir in der Nachbarschaft. Während Antisemitismus in Deutschland zumindest Stirnrunzeln hervorruft, ist der Antiziganismus (die sogenannte Roma-Feindlichkeit) in weiten Kreisen unserer Gesellschaft üblich, salonfähig, verbreitet und quasi Teil unserer Kultur. 1996 urteilte das Amtsgericht Bochum, dass „Zigeuner“ als Nachmieter abgelehnt werden können, weil sie „traditionsgemäß eine überwiegend nicht sesshafte Bevölkerungsgruppe“ seien, so dass eine „fruchtbare Vermittlungszusammenarbeit“ nicht zu erwarten sei. Es ist jedoch schlicht eine Tatsache, dass Sinti und Roma seit über 600 Jahren durchaus sehr sesshaft in Deutschland leben, so sesshaft wie Du und ich, und alle anderen Menschen nur sein können. Nur ein ganz geringer Teil der 12 Millionen Roma, die in Europa leben, sind sozusagen „fahrend“ unterwegs. Wobei in vielen Fällen nicht genau gesagt werden kann, ob sie freiwillig „fahrend“ unterwegs sind, oder schlicht auf der Flucht, also den nicht zumutbaren Lebensumständen entkommen wollen, die in vielen Mitgliedstaaten der EU für sie nüchterne Realität sind. Und die Roma sind auch kein „Volk ohne Land“, nein nein, sie leben in Europa seit tausend Jahren, nur eben als Minderheit, ausgegrenzt, verachtet, ihnen wird Arbeitsscheu und Müßiggang vorgeworfen, oder, positiv gewendet, eine besondere Musikalität und Lebensart angedichtet. Nur irgendwie „normal“ sein – das dürfen sie nicht. Dies wird wohl der Grund sein, warum Roma, wenn sie beruflich Erfolg haben, eher angeben, Mazedonier zu sein als Roma. Um die Fakten sprechen zu lassen: seit mehr als tausend Jahren sind Roma in Europa zu Hause, und sie sind mit 12 Millionen die größte Minderheit in der Europäischen Union. Die meisten Roma Zentral- und Osteuropas leben in extremer Armut, wurden durch den Umbruch 1989 besonders hart getroffen, und ihre Lebensbedingungen gleichen eher jenen in Afrika südlich der Sahara. Dies ist alles nicht neu, es ist bekannt, und so fanden sich vergangene Woche Politiker und Experten auf diesem Gebiet zum Zweiten Europäischen Roma-Gipfel in dem schönen Cordoba in Spanien zusammen. Allein, es hat nichts gebracht. Der interessierte Wähler findet eine dünne „Deklaration von Cordoba“ im Internet, als Ergebnis des Gipfels. Es wird versprochen, weiter an dem Thema zu arbeiten, es bei zukünftigen Vorhaben stärker zu beachten, und so weiter und so fort. Verabschiedete Resolutionen, Plattformen, Verpflichtungen, spezielle Förderprogramme – wie sagte der Präsident des European Roma and Travellers Forum Rudko Kawczynski so schön beim Ersten Roma-Gipfel vor zwei Jahren: „Es gibt so viele Projektvorschläge, dass wir daraus ein Feuer machen könnten, das drei Jahre lang brennt.“ Aber eine wirkliche Rahmenstrategie, die die Mitgliedstaaten in die Pflicht nimmt, endlich an den skandalösen Lebensbedingungen der Roma etwas zu ändern, die gibt es nicht. Auch nicht nach einem Zweiten Europäischen Roma-Gipfel.