Uwe Sattler für Neues Deutschland

Fragebögen zu Gesundheitszustand von Assistenten sorgen für Unruhe im EU-Parlament.

Neu eingestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von EU-Abgeordneten fühlen sich von der Parlamentsverwaltung ausgehorcht und durch intime Gesundheitsfragen diskriminiert. Inzwischen setzen beide Seiten auf Deeskalation.

Frank Puskarev kann sich schlimme Dinge vorstellen. »Vielleicht bewerbe ich mich in zehn Jahren bei der EU-Kommission und werde aus mir unbekannten Gründen abgelehnt«, erzählt der Assistent eines Abgeordneten der LINKEN. »Möglicherweise ist dann meine Gesundheitsakte der Hintergrund, die hier im Parlament angelegt wurde, auf dubiosen Wegen zur Kommission gelangt ist und mir medizinische Auffälligkeiten bescheinigt.«

Puskarev sitzt in einem Minibüro im Straßburger »Parlamentstower« und verfolgt nebenbei die Übertragung der Abstimmungen aus dem Plenarsaal. Wie er haben in den vergangenen Wochen zahlreiche der neu eingestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von EU-Abgeordneten Post von der Parlamentsverwaltung bekommen. Aufgefordert werden sie darin, den umstrittenen Gesundheitsfragebogen endlich auszufüllen, sonst gehe der Vorgang »an die Rechtsabteilung«.

Die Fragebögen sorgen seit einiger Zeit für schlechte Stimmung unter den Neulingen in den Abgeordnetenbüros. Obligatorisch wurden sie durch das Assistentenstatut, das seit Beginn der Legislaturperiode im vergangenen Jahr gilt und die Mitarbeiter faktisch zu Beschäftigten des Parlaments und nicht mehr der jeweiligen Parlamentarier macht, für die sie arbeiten. Die damit gegebene größere soziale und arbeitsrechtliche Sicherheit hat aber auch Haken – und dazu gehört der für alle Beschäftigten der EU-Institutionen vorgeschriebene »medical check«. Während jedoch die Angestellten in Kommission und Rat ihren Job oft jahrzehntelang ausüben, arbeiten die parlamentarischen Assistenten zumeist nur eine fünfjährige Amtsperiode für ihre Abgeordneten – nicht selten sogar noch kürzer. »Warum meine Daten dann 30 Jahre gespeichert werden sollen und nicht geregelt ist, wo und wie dies geschieht, ist mir unklar«, sagt Puskarev. Er sieht darin eine Verletzung von Datenschutzregeln und einen Verstoß gegen die informationelle Selbstbestimmung.

Zumal ein Teil der geforderten Auskünfte für die Tätigkeit völlig unbedeutend ist. Dazu gehören Fragen nach Geisteskrankheiten oder Krebs in der Familie, nach eventuellen Hämorrhoiden oder neurologischen Behandlungen der Mitarbeiter, bei Frauen nach der letzten Menstruation und der Einnahme von Verhütungsmitteln.

Insgesamt 280 Assistentinnen und Assistenten sollen es sein, die sich der umfangreichen und intimen Befragung verweigern. »Aber längst nicht alle aus politischen oder Datenschutzgründen«, räumt Puskarev ein. Viele hätten einfach noch keine Zeit gehabt, sich mit dem Papier zu beschäftigen, oder das Thema vor sich her geschoben.

Dass die Nichtausfüllung der Fragebögen zu Sanktionen führen kann, haben die Assistenten erst aus einem Presseartikel erfahren. »Das Parlament hat uns nicht mitgeteilt, dass dies sogar zur Ungültigkeit unserer Arbeitsverträge führen könnte«, erzählt Puskarev. Im Gegenteil: Die Verträge verpflichten die Assistenten zwar zur Ausfüllung der Fragebögen und zu medizinischen Tests, lassen aber jegliche Konsequenzen bei der Ablehnung offen. Die große Resonanz in den Medien sei indes sehr hilfreich gewesen, um die Betroffenen auf das Problem aufmerksam zu machen, sagt Puskarev. Nun setzen die Assistenten auf Dialog. Schließlich stelle niemand den Sinn von Einstellungsuntersuchungen oder der medizinischen Betreuung in Frage. Also wolle die zu Wochenbeginn erstmals gewählte Vertretung der etwa 1500 Assistentinnen und Assistenten über eine einvernehmliche Lösung mit dem Parlament beraten.

Die sieben Personalräte – Puskarev ist einer von ihnen – hatten diesen Punkt in ihr »Wahlprogramm« aufgenommen und setzen auf faire Gespräche mit den Parlamentsvertretern. Das Mindeste wäre für Puskarev die Ausrichtung der Fragen am Tätigkeitsprofil, ein vernünftiger Datenschutz und Transparenz im Umgang mit den Informationen; das Beste allerdings die Konsultation eines Arztes des Vertrauens, der lediglich die »Diensttauglichkeit« bescheinigt.

Eine Lösung unter Einbeziehung aller Beteiligten will auch Cornelia Ernst, Abgeordnete der LINKEN und Mitglied im Ausschuss für Inneres. Sie hatte ein juristisches Gutachten zu dem Gesundheitsfragebogen in Auftrag gegeben, das jetzt vorliegt und kaum ein gutes Haar an dem Auskunftsersuchen lässt. Von einer nicht eindeutigen Rechtsgrundlage für die Befragung ist da die Rede, von nicht zweckbezogener und daher rechtswidriger Erfassung und Verarbeitung personenbezogener Daten, von der Kollision mit anderen beschäftigungsrelevanten Festlegungen. Cornelia Ernst will die Forderungen nach Änderung des Verfahrens weiter mittragen. Unterstützung erhalten die Assistentinnen und Assistenten, die sich gegen die Ausfragung wehren, aber nicht nur aus der Linksfraktion. Auch Abgeordnete der Grünen, der Sozialdemokraten und der Liberalen haben sich hinter ihre »aufmüpfigen« Mitarbeiter gestellt.

Das Parlament allerdings ist sich kaum einer Schuld bewusst. Man habe die Fragebögen nach einer Kritik des europäischen Datenschutzbeauftragen Peter Hustinx bereits nachgebessert, Parlamentspräsident Jerzy Buzek persönlich bestätigte die Überarbeitung. Zudem betonte die Verwaltung, die Dossiers würden beim Arzt verbleiben. Zumindest das, so wird auf den Straßburger Parlamentsfluren erzählt, sei zutreffend. Eine für das Parlament tätige Medizinerin zeige ihren Patienten bei Nachfragen den Container, in denen die ausgefüllten Fragebögen liegen – unter Verschluss.