Big brother’s Schwester
„Brüssler Spitzen“ in: Neues Deutschland vom 12.02.2010
Kürzlich fand in meinem Wahlkreis eine Veranstaltung mit ReferentInnen aus dem europäischen Ausland statt. Thema: Rechtsextremismus in Europa. Die Abrechnung der Honorare erfolgte per europäische Banküberweisung (IBAN/ SWIFT). Die Daten aus diesem Finanztransfer waren seit dem 1. Februar 2010 »offiziell« für US-Terrorfahnder zugänglich. Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung erhielten sie Einblick in Millionen Bankdaten aus Europa. Das Europäische Parlament, welches in den vergangenen Monaten gemeinschaftsrechtswidrig hingehalten und umgangen wurde, hat nun nach dessen offiziellem Inkrafttreten gegen das Abkommen gestimmt.
Bisher wurden die Daten aus Überweisungen innerhalb der EU unter anderem in einem Rechenzentrum der USA ohne legalen Rahmen verarbeitet, mit SWIFT sollte dies durch das Zurückholen der Server nach Europa und einer vertraglich geregelten Datenübermittlung »nur noch kontrolliert« möglich sein. Laut Interimsabkommen, welches zunächst für die kommenden neun Monate gedacht war, bestand keine genaue Zweckbindung der Daten für die Terrorismusbekämpfung – ein pikantes Detail, wenn man weiß, dass Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft den tatsächlichen Mehrwert der Daten zur Terrorismusbekämpfung bezweifeln. Schleierhaft blieb auch, wie die Daten konkret ausgewertet werden sollten. Einerseits sicherte das Abkommen zu, auf Filter und den Einsatz von Data Mining zu verzichten. Andererseits ist allen Beteiligten, inklusive des belgischen Finanzdienstleisters SWIFT, klar, dass es technisch nahezu unmöglich ist, statt ganzer Sammeldateien nur einzelne Datensätze zu übermitteln. Für die Wahrung des Datenschutzes wurde auf das US-Finanzministerium verwiesen, welches gleich auch dessen Angemessenheit nach eigenem Ermessen ungeachtet europäischer Standards festlegen sollte. Die Löschungsfrist war »üblicherweise« auf fünf Jahren festgelegt. Das bezog sich aber lediglich auf Daten, die »nicht länger« gebraucht werden. Die restlichen »Trefferdaten« hätten, je nach nationaler Regelung, weiter aufbewahrt werden können – im Zweifel bis zum Sankt Nimmerleinstag. Auch wurde nicht ausgeschlossen, dass die Daten an Drittstaaten weitergereicht werden können.
Welche Konsequenzen ein solches Abkommen mit sich bringen kann? Ganz einfach – fällt man irgendwie ins Raster der Fahnder, wird das Konto gesperrt. So soll eine fortwährende Finanzierung terroristischer Aktivitäten verhindert werden. Wer als vermeintlicher »Terrorist« in einen Drittstaat einreisen will, dem hätte dies leicht verweigert werden können. Zu allem Übel kommt hinzu: Ein adäquater, individueller Rechtsschutz war nicht vorgesehen. Es gibt nicht einmal eine konkrete Instanz, an die man sich hätte wenden können, um Widerspruch einzulegen.
Seit bekannt wurde, dass viele Europaparlamentarier nicht gewillt waren, sich als nachträgliches Stimmvieh missbrauchen zu lassen, wuchs der Druck auf sie. Nicht nur die Regierungen der Mitgliedstaaten machten mobil, sogar Vertreter der US-amerikanischen Botschaften und Hillary Clinton wandten sich an Abgeordnete. Doch das Parlament pflegte keinen Kadavergehorsam. 378 Stimmen gegen das Abkommen und 196 Stimmen dafür: Das ist ein wichtiges Signal für die Demokratie in Europa und eine Warnung an Rat, Kommission und US-Regierung. Für kommende Abkommen wird man den Weg einer frühzeitigen und umfassenden Einbindung des Parlaments als Interessenvertretung der Bürger gehen müssen.