Martinas Woche 50/51_2022: Korruption im Europaparlament
Korruption im Hohen Haus – Plenum in Brüssel – Ratssitzungen – Sacharow-Preis – Besucher*Innen in Straßburg – WM-Katar: Argentinien gewinnt – Menschenrechte verlieren – Frohes Fest!
Am vergangenen Sonntag schauten wir auf die letzte Plenarwoche dieses Jahres in Straßburg zurück. Manche feierten den 4. Advent und andere zündeten die 1. Kerze des jüdischen Chanukka-Leuchters an. Wieder andere schauen das Endspiel der WM in Katar, bei der Argentinien gegen Frankreich in der Elfmeter-Verlängerung gewann. Das politische Brüssel schaute schon besorgt auf den gestrigen Montag, an dem der Rat für „Verkehr, Telekommunikation und Energie“ erneut die europäischen Energieminister versammelte, nachdem die Regierungschefs wiederum in der vergangenen Woche keine gemeinsame Lösung in der Energiekrise vorlegten. Und insgesamt trennte sich das Europaparlament in Straßburg in diesem Jahr wohl im Schock. Der Korruptionsskandal, der u. a. die griechische Vizepräsidentin des Europaparlaments, Eva Kaili, in Untersuchungshaft brachte, wiegt schwer und erschütterte die einzig demokratisch gewählte Institution in Brüssel schwer.
Europaparlament: Die Institution, die Katar mangelnde Achtung der Menschenrechte vorwirft, kämpft gegen massive Korruption in den eigenen Reihen
Am Donnerstag nahm das Europaparlament eine Entschließung an, die Konsequenzen aus dem Korruptionsskandal aufzeigt. Damit erreichte die linke Fraktion, dass sowohl die von ihr geforderte Aussprache – über den Plenumsauftakt am Montag hinaus – am Dienstagnachmittag stattfand, als auch eine gemeinsame Resolution verabschiedet wird. Darin finden sich folgende Vereinbarungen:
- Ein Sonderausschuss ermittelt Schwachstellen in den Vorschriften des Parlaments zu Transparenz, Integrität und Korruption und erarbeitet neue Vorschläge;
- Ein Untersuchungsausschuss soll im Anschluss an strafrechtliche Ermittlung vor allem Drittstaaten-Einflüsse politisch durchforsten;
- Zugangsausweise für Interessenvertretungen Katars sind im Einklang mit Artikel 123 der Geschäftsordnung des Parlaments deaktiviert, bis die Ermittlungen Klarheit liefern. Arbeiten an Visa-Liberalisierung u. ä. werden ausgesetzt;
- Das Transparenz-Register muss auf Nicht-EU-Regionen ausgeweitet werden, Prüfpersonal verstärkt;
- Die EU-Kommission soll einen Vorschlag für ein EU-Ethik-Gremium unterbreiten (Dazu gab es schon im September 2021 Vorgaben des Parlaments.).
Martin Schirdewan hatte in der Aussprache als Fraktionsvorsitzender eine bemerkenswerte Rede gehalten und anschließend noch in einer Pressemeldung auf neueste Ermittlungsergebnisse Bezug genommen.
Vor diesem Hintergrund haben nicht nur Katar und die FIFA ein Problem mit der Aufarbeitung der Weltmeisterschaft. Nun ist das Parlament selbst am Zuge, Menschenrechte konsequent zu verteidigen, was in diesem Falle schlicht heißt, alles dafür zu tun, dass Politik nicht käuflich ist.
Europäischer Gaspreisdeckel: Note mangelhaft
Erst schlugen die Wellen der Enttäuschung hoch, weil sich die europäischen Regierungen wieder nicht einigen konnten, dann traf sich das Gremium der europäischen, verantwortlichen Minister*innen erneut in Brüssel. „Es ist gut, dass es nun endlich einen Gaspreisdeckel gibt. Seit Monaten fordern viele Mitgliedstaaten eine wirkungsvolle Begrenzung der explodierenden Gaspreise, während insbesondere die Ampel-Regierung eine gesamteuropäische Lösung blockiert hat. Doch die politische Bilanz der Europäischen Union bleibt trotz Einigung mangelhaft: Der Gaspreisdeckel kommt nicht nur viel zu spät, er ist auch viel zu hoch angesetzt. Die Gaspreise bleiben bei einer Deckelhöhe von 180 Euro pro Megawattstunde noch immer weit oberhalb des Vorkrisenniveaus.“, fasste Cornelia Ernst das Ergebnis zusammen. Dies bedeutet für Millionen Europäerinnen und Europäer, dass sie in Existenznöten sind, ob als Beschäftigte oder als Unternehmer*innen, als Rentner*inne oder Student*innen, Erwerbslose oder Menschen in anderen sozial schwierigen Lebenslagen. Das bedeutet, dass wir diese Politik nicht weiter akzeptieren können, sondern einen grundlegenden Umbau des Energiemarktes auf den Weg bringen müssen.
Fraktionssitzung mit hohen Gästen
Jährlich vergibt das Europaparlament den Sacharow-Preis, um Organisationen oder Menschen zu ehren, die sich – oft unter besonders schwierigen Umständen – der Wahrung und Verteidigung von Menschenrechten verschrieben haben. In unserer letzten Fraktionssitzung des Jahres in Straßburg waren daher Vertreterinnen der ukrainischen Zivilgesellschaft zu Gast, darunter die Menschenrechtsanwältin Matvichuk, von deren Organisation selbst schon 54 Menschen ums Leben gekommen sind, während sie mitten im Kriegszustand Ermittlungen zu Vergewaltigungen, Vertreibungen und Tötungen dokumentieren, damit sie für Anklageerhebungen aufgearbeitet sind. Sie gehören zu den Gewinnern des diesjährigen Sacharow-Preises. Weiterhin hatten wir Stella Assange zu Gast, die die Lage ihres Mannes vor der drohenden Auslieferung eingehend schilderte und auch einen Einblick gab, was dies an Belastung für diese Partnerschaft persönlich seit Jahren bedeutet.
IG-Metaller aus Sachsen-Anhalt zu Besuch im EP in Straßburg
Von Mittwoch bis Samstag (14. bis 17.12.2022) besuchte eine Gruppe von 36 Europainteressierten, vornehmlich von der IG Metall Sachsen-Anhalt, auf Martinas Einladung das Europa-Parlament in Straßburg. Es war die erste Besuchergruppenreise nach Aufhebung der Corona-Beschränkungen für unser Team.
Nach der Bus-Anreise am frühen Mittwochabend in Kehl auf der deutschen Rheinseite machten sich viele bereits auf eigene Faust über die Europabrücke auf in die Innenstadt von Straßburg, um das vorweihnachtliche Markttreiben zu genießen.
Am Donnerstag ging es vormittags ins Parlament. Nach einer sehr informativen, halbstündigen Einführung in die Parlamentsaktivitäten und dessen Strukturen durch den Besucherdienst, informierte Konstanze Kriese zu Martinas Schwerpunkten und Arbeitsinhalten. Danach erläuterte Özlem Demirel, Europa-Abgeordnete unserer Delegation, in ihrer Funktion als Sprecherin für Arbeitsmarkt-, Sozial-, Friedens- und Sicherheitspolitik und dankenswerterweise für Martina eingesprungen, auf beeindruckende Weise die Hintergründe der Thematik des europäischen Mindestlohns und die eher unrühmliche Rolle, die Deutschland dabei spielte. Sie verwies weiterhin auf die Doppelmoral bei den ständig zu verabschiedenden Resolutionen gegen China, Russland und Syrien bei aktuell ca. 30 militärischen Konflikten weltweit. In Sachen Korruptionsskandal im EP drückte sie ihr besonderes Entsetzen darüber aus, dass sich auch führende Gewerkschafter unter den Angeschuldigten befinden. Nach interessierten Fragen aus der Gruppe legte sie ihre Meinung zu Waffenlieferungen gegenüber starker Diplomatie dar und verurteilte scharf den Umgang der EU mit Flüchtlingen an den Außengrenzen und die unsägliche Abschottungspolitik gegenüber Hilfesuchenden.
Auf der Besuchertribüne des fast vollbesetzten Parlaments, pünktlich zu Abstimmung um 12 Uhr, konnte die Gruppe Parlamentspolitik hautnah fast als Krimi miterleben: Der Grünen-Abgeordnete Bütikofer schmetterte einen unrühmlichen Antrag der EPP-Fraktion mit Verweis auf die Geschäftsordnung ab, worüber gleich abgestimmt wurde. Danach ging es ins Parlamentarium, um weiteres über das Haus und seine Akteure zu erfahren. Der erlebnisreiche Tag wurde mit einem gemeinsamen Essen und vielen Gesprächen im Restaurant „Au Pont Saint-Martin“ im malerischen Viertel „Petit France“ abgeschlossen.
Natürlich gab es bei der Besuchergruppenfahrt eine informative Schiffsfahrt mit einem BATORAMA-Boot rund um die Straßburger Altstadt bis hin zum Europaviertel mit seinen europäischen Institutionen sowie eine Stadtrundfahrt. Am Freitag ging es mit dem Bus und einem sehr kundigen Reiseführer bei bestem Wetter durch die beschaulichen Weindörfer des Elsass mit Halt im mittelalterlichen und weihnachtlich geschmückten Städtchen Obernai. Und immer gab es am Rande und abends im Hotel genügend Zeit für interessante Diskussionen und natürlich auch für den Straßburger „Christkindelsmärik“.
Ein Frohes Weihnachtsfest, Happy Chanukka und einen guten Rutsch ins Neue Jahr!
Das wünscht euch das Team von Martina Michels von ganzen Herzen. Wir hören und sehen uns wieder 2023! Bleibt gesund, neugierig und mischt euch politisch ein! Eine gerechte Welt kommt nicht von selbst. Geht auf eurer Nachbarn zu, unterstützt Freunde und Familie und lebt Solidarität und Freundlichkeit! Im Neuen Jahr wünschen wir uns mehr Nägel mit Köpfen, mehr europapolitische Debatten und eine dialogfähige LINKE, die lernt, wieder erfolgreich zu sein. Als Berlinerinnen und Berliner – unterstützt von unseren Genossinnen und Freunden aus Brüssel – werden wird damit gleich anfangen.