Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit gelten auch in Türkei

Plenarrede von Özlem Alev Demirel zum harten Vorgehen der türkischen Regierung gegen die Opposition

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen!

Am 21. März akzeptierte das Verfassungsgericht der Türkei eine Verbotsklage gegen die zweitgrößte Oppositionspartei HDP. Herr Borrell, Sie sagten eben, Sie machen sich Sorgen um diese Entscheidung. Doch an demselben Tag, also am 21. Juni, twitterte Frau von der Leyen, unsere Kommissionspräsidentin: „Gute Unterhaltung mit Präsident Erdoğan vor dem EUCO Donnerstag. Wir erörterten den Stand der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei, COVID-19, Handel und Zollunion, die Lage im östlichen Mittelmeer, Migration und die Entwicklung in Afghanistan.“ Interessant, oder? Kein Wort, kein einziges Wort zur angespannten Menschenrechtslage. Kein Wort zur HDP. Kein Wort zur CHP. Lediglich der Versuch, eine positive Agenda und positive Entwicklung mit der Türkei zu kreieren – eine Entwicklung, eine positive Agenda, die aber lediglich auf Sand gebaut ist. Das Traurigste ist, dass die EU einem Regime in der Türkei hilft, das den selbst deklarierten Werten der EU fundamental widerspricht. Und so widerspricht sich die EU im Kern selbst.

 

Kolleginnen, ich habe es schon oft gesagt, und ich werde es auch weiterhin sagen: Die Regierung Erdoğan ist schwächer denn je und die Opposition vielfältiger. Aus verschiedensten politischen Lagern verliert das Regime an Rückhalt. Und was macht die EU? Sie stärkt dem Regime den Rücken und schwächt so die Opposition. Deshalb ist die aktuelle Politik der sogenannten positiven Agenda völlig unverantwortlich und völlig inakzeptabel.

 

Daran ändern auch Sonntagsreden nichts, denn in der Politik kommt es auf das Konkrete an und konkret hat sich die EU dafür entschieden, mit dem Regime den Flüchtlingspakt fortzuführen, und das, obwohl das Regime nicht nur die Rechte der Geflüchteten missachtet, sondern auch tagtäglich mit einer Repressionspolitik gegenüber Andersdenkenden neue Fluchtursachen schafft und die eigene Bevölkerung unterdrückt.

 

Liebe Kolleginnen, drei Minuten würden nicht reichen, um nur annähernd zu erläutern, was gerade alles in der Türkei passiert. Lesen Sie sich mal durch, was der Vertreter der organisierten Kriminalität aus der Türkei, Sedat Peker, in den letzten Wochen erklärt hat – über die Lage, über die Korruption, über das, was nicht hinnehmbar in der Türkei funktioniert. Das Volk in der Türkei leidet Hunger, kämpft um die Existenz, kämpft um Demokratie, kämpft um Freiheitsrechte, und die EU paktiert mit einem Regime. Das ist inakzeptabel!

 

Kolleginnen, ich sage es ganz klar: Der Verzicht der Erdoğan-Administration auf neue außenpolitische Provokationen ist noch längst keine positive Agenda. Diese geopolitische Ausrichtung der EU ist zynisch und brandgefährlich. Die Türkei zählt zu den entwickeltsten Ländern in der gesamten Region dort, und das Regime tut alles dafür, diese positiven Entwicklungen und Errungenschaften der Bevölkerung kaputt zu machen. Was tut die EU? Das ist die entscheidende Frage.