Jetzt kommt die Energiesystemwende!

Abstimmung des Industrieausschuss ITRE über den Initiativbericht zu Energiesystemintegration trägt zur Energiesystemwende bei.

Cornelia Ernst, energiepolitische Sprecherin der Delegation Die Linke im Europaparlament hat sich als Schattenberichterstatterin für eine soziale und ökologische Transformation des Energiesystems eingesetzt.

Was verbirgt sich hinter dem sperrigen Begriff der Energiesystemintegration?

Bei der Energiesystemintegration (ESI) geht es um eine koordinierte Planung und den Betrieb des Energiesystems als Ganzes. Über verschiedene Energieträger hinweg werden die energetischen Sektoren Strom, Wärme und Mobilität miteinander gekoppelt sowie gewerbliche Verbraucher und private Haushalte stärker in das Energiesystem eingebunden, sei es durch Solaranlagen auf dem eigenen Dach oder die Beteiligung an einer Bürgerenergiegenossenschaft. Dadurch sollen Ressourcen effizient genutzt, der Gesamtenergiebedarf gesenkt und Synergien zwischen verschiedenen Sektoren geschaffen werden. ESI ist entscheidend, um den Übergang zu einem vollständig auf erneuerbaren Energien basierenden Energiesystem zu ermöglichen. Der Initiativbericht zur Energiesystemintegration soll dies befördern. Die Integration der verschiedenen Teilaspekte des Energiesystems ist eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Energiewende – weshalb wir auch von einer Energiesystemwende sprechen können.

Was bedeutet das in der Praxis? ESI kann vielerlei Gestalt annehmen. An erster Stelle steht das Leitmotiv der Energieeffizienz und -einsparung. Begrenzte Ressourcen sollen geschont, CO2-Emissionen reduziert werden, so durch direkte Elektrifizierung oder erneuerbare Kraftstoffe wie grünen Wasserstoff (also Wasserstoff der durch Wasserelektrolyse aus erneuerbarem Strom produziert und damit emissionsfrei ist) oder nachhaltig produzierte Biokraftstoffe für Anwendungen, für die es keine andere Alternative gibt. Elektrische Wärmepumpen sind beispielsweise eine effiziente Art, private Haushalte zu heizen. Allerdings gibt es energieintensive Industrieprozesse wie die Herstellung von Stahl und Zement, für die eine direkte Elektrifizierung nicht in Frage kommt und die zukünftig grünen Wasserstoff benötigen werden, um ihre Emissionen zu reduzieren. Im Gegensatz zum Straßenverkehr, der sich verhältnismäßig einfach elektrifizieren lässt, kommen Luftfahrt und Schiffverkehr ebenfalls für Wasserstoff und andere Biokraftstoffe in Frage.  

Ein praktisches Beispiel für ESI sind Elektrofahrzeuge, die mit Hilfe der sogenannten Vehicle-to-Grid-Technologie Energie aus der Batterie eines Elektroautos in das Stromnetz zurückgeben können. Die Batterie reagiert dabei auf verschiedene Signale wie Energieerzeugung und -verbrauch im Netz, indem sie sich lädt und entlädt, um Netzschwankungen auszugleichen und so zur Netzstabilität beizutragen. Mit dem passenden regulatorischen Rahmen können Fahrzeugbesitzer*innen damit finanziell von ihren geparkten Elektrofahrzeugen finanziell profitieren, insbesondere, wenn sie täglich nur kurze Strecken zurücklegen. Ein weiteres Beispiel für ESI ist die Wiederverwendung von Abwärme aus industriellen Prozessen für Fernwärme oder industrielle Niedertemperaturprozesse. ESI besteht jedoch auch darin, die entsprechende Stromnetzinfrastruktur für eine stärker dezentralisierte erneuerbare Energieerzeugung zu schaffen und durch intelligente Stromnetze und Energiespeichertechnologien effizient und zuverlässig zu machen. Einfach ausgedrückt: ESI verbindet verschiedene Innovationen zu einem Gesamtkonzept.

Infrastrukturentscheidungen sind in dieser Hinsicht besonders entscheidend, um einen sogenannten Lock-in-Effekt mit fossilen Brennstoffen zu vermeiden. Eine einmal errichtete Energieinfrastruktur (z.B. Gas Pipeline) hat eine Lebensdauer von bis zu 60 Jahren. Heutige Entscheidungen werden also darüber bestimmen, ob die EU ihre Verpflichtung, bis 2050 klimaneutral zu werden, einhalten kann. Deshalb brauchen wir eine weitsichtige Planung mit dem Ziel, bis 2050 ein weitgehend auf erneuerbaren Energien basierendes Energiesystems zu etablieren. Eine langfristige Vision ist ebenso entscheidend, um einen gerechten Übergang für Beschäftigte zu gewährleisten, die von diesen strukturellen Veränderungen betroffen sind.

Die Linke hat sich erfolgreich dafür eingesetzt, diesen wichtigen Aspekt im ESI-Bericht zu integrieren. Darüber hinaus erkennt der ESI-Bericht die Technologien für erneuerbare Energien als strategische Wertschöpfungskette an, um gut bezahlte Industriearbeitsplätze in einem zukunftssicheren Sektor zu schaffen und zu sichern. 

Der ESI-Bericht schlägt eine Überarbeitung der EU-Gesetzgebung zur Energieinfrastruktur und der entsprechenden Leitlinien für staatliche Beihilfen vor. Der Einsatz erneuerbarer Energiequellen ist zu fördern und eine stärker dezentralisierte erneuerbare Energieerzeugung zu ermöglichen. Dies soll Bürger*innen erleichtern, ihre eigene Energie individuell oder genossenschaftlich zu erzeugen, zu verbrauchen und zu speichern. Ein ganzer Abschnitt widmet sich der Frage von Eigenenergieproduzent*innen und Energiegenossenschaften. Diese sollen sich stärker an der Integration des Energiesystems beteiligen können, so zum Beispiel durch den Anschluss an Wärmenetze, durch Ladestationen für Elektromobilität oder durch Energiespeicher und Technologien zum Lastmanagement. Der Bericht zielt auch darauf ab, Energiearmut zu bekämpfen.

Intelligente Stromnetze (smart grids) und andere digitale Lösungen sind wichtige Instrumente, um die Schwankungen der Stromproduktion in einem auf erneuerbaren Energien basierenden Energiesystem zu bewältigen. Sie tragen ebenso zu Flexibilität und höherer Zuverlässigkeit bei. Digitale Lösungen können auch bei der Umsetzung sozialer Maßnahmen helfen. „Virtuelles Metering“ ermöglicht es Menschen, die keinen Zugang zu eigenen Dächern haben, sich an Solarenergieprojekten beteiligen, dafür Energiegutschriften zu erhalten und so zum Eigenenergieproduzent*en zu werden. Dieses Konzept ist besonders für Städte und Kommunen interessant, die den Überschuss aus erneuerbaren Energien auf öffentlichen Gebäuden nutzen könnten, um energiearme Haushalte zu unterstützen. Dies wurde bereits in der griechischen Stadt Thessaloniki erprobt, in der Solaranlagen auf dem Dach eines Gymnasiums installiert wurden und die Strom-Überschüsse einem nahen gelegenen Heim für Opfer häuslicher Gewalt zugutekamen. Allerdings hat die Digitalisierung auch ihre Schattenseiten in Bezug auf digitale Energiedienstleistungen. So werden sehr sensible persönliche Informationen über das Nutzerverhalten von Einzelpersonen preisgeben. Aus diesen Informationen lässt sich beispielsweise ableiten, welche Zeiten eine Person zuhause verbringt, ein nicht unwesentlicher Eingriff in die Privatsphäre. Ganz zu schweigen davon, dass digitale Dienstleister Daten weiterverkaufen können, um so aus dem gesammelten Nutzerverhalten Gewinne zu generieren. Deshalb hat Die Linke darauf bestanden, dass Fragen des Datenschutzes und der Cybersicherheit Teil des ESI-Berichts werden.

Eine der schwierigsten Fragen in Bezug auf ESI ist die zukünftige Rolle von fossilen Brennstoffen und der Kernkraft im Energiesystem. Einige Fraktionen im Europäischen Parlament, so die rechtsextreme ID-Fraktion sowie die konservativen EVP und ECR, unterstützen fossile Brennstoffe und insbesondere Erdgas als Energieträger der Zukunft. Die Befürworter fossiler Brennstoffe setzen oft große Hoffnungen auf die Kohlenstoffabscheidung, -speicherung und -nutzung (CCS/U). Sie hoffen, dass es möglich sein könnte, das CO2 aus industriellen Prozessen und der Stromerzeugung einzufangen und in unterirdischen Kavernen zu speichern. Obwohl dies theoretisch möglich ist, waren bisherige Pilotprojekte nicht sehr erfolgreich. Die Machbarkeit ist bis heute ungeklärt. Eventuell kann CCS/U eines Tages ein gewisses Potenzial für industrielle Prozesse haben, ohne das eine direkte Emissionsreduktion möglich ist. Es ist aber ein Wunschdenken zu glauben, dass CCS eine Wunderwaffe gegen den Klimawandel sein wird. Für Die Linke ist klar, dass es eine sozial-ökologische Transformation hin zu einem auf erneuerbaren Energien basierenden Energiesystem geben muss. Die Linke bestand in den Debatten der letzten Monate deshalb darauf, sowohl direkte als auch indirekte Subventionen für fossile Brennstoffe auslaufen zu lassen. Gegenwärtig erhalten fossile Brennstoffe eine vergleichsweise geringe Menge an direkten Subventionen, weshalb Kritiker behaupten, dass erneuerbare Energien übermäßig subventioniert würden. Doch wenn wir die indirekten Subventionen einbeziehen, ändert sich das Bild drastisch, weil fossile Brennstoffe wesentlich stärker von öffentlichen Infrastrukturinvestitionen profitieren und in vielen Staaten erhebliche Steuererleichterungen genießen. Durch derartige indirekte Subventionen werden fossile Brennstoffe in erheblichem Masse unterstützt. und deren Abbau leistet einen wichtigen Beitrag zur Energiesystemwende.

Nicht zuletzt verbindet der Bericht ESI mit der Wasserstoffstrategie der Europäischen Kommission. Grüner Wasserstoff, der durch Wasserelektrolyse aus erneuerbarem Strom produziert und damit emissionsfrei ist, kann in bestimmten energieintensiven Sektoren und bei industriellen Prozessen eingesetzt werden, wenn eine direkte Elektrifizierung nicht möglich ist. Wasserstoff ist jedoch keine Energiequelle an sich, sondern ein Energieträger, der entweder mit Elektrizität durch Elektrolyse von Wasser oder durch Reformierungs- oder Vergasungsprozesse von fossilen Brennstoffen wie Kohle oder Erdgas künstlich hergestellt wird. Derzeit werden über 90 Prozent des Wasserstoffs aus fossilen Quellen gewonnen. Deshalb sollte es eine Priorität sein, die Dekarbonisierung der bestehenden Wasserstoffproduktion zu beschleunigen und sicherzustellen, dass genügend zusätzliche erneuerbare Energieerzeugungskapazitäten für die Produktion von erneuerbarem Wasserstoff eingesetzt werden. Darüber hinaus gibt es bei der Umwandlung von Elektrizität aus fossilen Brennstoffen zu Wasserstoff erhebliche Effizienzverluste, weshalb es wichtig ist, sich daran zu erinnern, dass Wasserstoff kein Allheilmittel im Kampf gegen den Klimawandel ist, sondern eher ein Mittel letzter Wahl, wenn es keine anderen Alternativen zur Emissionsreduzierung gibt. 

Das bisherige auf fossilen Brennstoffen basierende Energiesystem ist für lineare und weitgehend zentralisierte Kraftwerke und Verteilernetze ausgelegt und verschiedene energetische Sektoren Strom, Wärme und Mobilität wurden getrennt betrachtet. Dieser Initiativbericht zu Energiesystemintegration ist ein wichtiger Schritt nach vorn auf dem Weg zur Energiesystemwende, denn er stellt die Weichen für ein auf Erneuerbaren Energien basierendes und Sektor übergreifend integriertes Energiesystem, welches zur Erfüllung der Klimaziele des Pariser Abkommens notwendig ist. 

 

Der Industrieausschuss ITRE hat den Initiativbericht Energiesystemintegration am 23. März 2021 angenommen.

Die Delegation DIE LINKE. vor dem Europaparlament in Brüssel im Vorfeld der Abstimmung zum EU-Klimagesetz