Martin Schirdewan empfängt Ursula von der Leyen in der Fraktionssitzung der GUE/NGL
Martin Schirdewan empfängt Ursula von der Leyen in der Fraktionssitzung der GUE/NGL

Martinas Woche 1_2020: Auf ein Neues, ein friedliches 2020!

Berlin – Strasbourg – Merseburg: Kroatien übernimmt Ratspräsidentschaft – Green Deal – PESCO – Zukunft und Geschichte – Strategien – Hrant Dink

Heute erinnern wir an Hrant Dink, den armenischen Autor und Journalisten, der vor 13 Jahren in Istanbul getötet wurde. In seinem letzten Interview 2007 skizziert er u. a. wesentliche Elemente einer Nachbarschaftspolitik der EU mit der Türkei,  die im Spiegel der vergangenen Jahre noch immer Gültigkeit haben, obwohl sich Bedingungen für Dialoge und eine ehrliche Nachbarschaftspolitik, die mehr als wirtschaftliche Zusammenarbeit kennt, massiv verschlechtert haben. 

Die letzte Woche startete in Strasbourg und führte Martina an diesem Wochenende noch nach Merseburg in Sachsen-Anhalt. Das Plenum in Strasbourg bot reichlich politische Auseinandersetzung. Nebem entscheidenden Zukunftsthemen wie dem Green Deal, die Zukunftskonferenz der Kommission oder die Militarisierungpläne der Mitgliedsstaaten und der Kommission erlebten wir in einer aktuellen Stunde einmal mehr eine Geschichtsdebatte, die vor allem durch einen überbordenden Antikommunismus Fakten und historische Erfahrungen vergessen machen wollte. 

In der Woche zuvor traf sich unsere Delegation der Linken im Europaparlament in Berlin zu einer zweitägigen Klausur mit Gästen wie André Hunko, MdB, und dem Berliner Kultursenator Klaus Lederer, mit der Parteivorsitzenden der LINKEN Katja Kipping, mit dem Vorsitzenden der Europäischen Linken, Heinz Bierbaum, mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundestag und aus anderen Gremien, um Schwerpunkte für das kommende Jahr zu diskutieren (Klima – Arbeit/Soziales – Frieden/Gerechte Welt – Migration – digitale Gesellschaft – EU-Wirtschafts- und Steuerpolitik).

 

Kroatien übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft

Vor der Kroatischen Regierung steht damit nicht nur die Aufgabe, den Mehrjährigen Finanzrahmen weiter zu verhandeln, sondern, wie die Lage von Menschen auf der Flucht an der bosnischen Grenze besonders eindringlich mahnt, endlich auch die Dublin-Reform wieder anzupacken und die EU an ihre humanistischen Gründungsversprechen zu erinnern. Unser Fraktionsvorsitzender fand in der Debatte und im Kommentar entsprechend scharfe Worte für den Lösungsstau in der EU-Politik.

 

Green Deal der EU-Kommission – Debatte und Abstimmungen um den Just Transition Fonds

Am Dienstag stellte die EU-Kommission ihren Green Deal im Detail zur Debatte, vor allem das damit verbundene Investitionspaket: „Die Kommission sollte zumindest die 7,5 Milliarden Euro für den ‚Just Transition‘-Fonds auf ihren Vorschlag zum nächsten ‚Mehrjährigen Finanzrahmen 2021-2027‘ (MFR) draufpacken, zusätzlich zum Geld für die EU-Regionalförderung. Einfaches Umwidmen hilft dem Klima nicht. Hier müssen Europaparlament und EU-Kommission dem Rat gemeinsam klare Kante zeigen.“, kommentierte Martina – gemeinsam mit Cornelia Ernst – den Vorschlag.

Das Parlament stimmt dann am Mittwoch eine Green Deal-Resolution ab. Die Linken haben sich bei dieser Abstimmung enthalten, nicht weil wir gegen eine Green Deal sind, sondern weil wir gegen einen Deal sind, der mehr schönen Schein als Problemlösung bietet. Ja, dazu gab es Fragen von Bürgerinnen und Bürgern, warum wir diesen weichgespülten Klimaschutz-Konsens nicht mitgetragen haben, nachdem die eigene Resolution der linken Fraktion im Parlament durchfiel. Hier sind die Gründe unserer Abstimmungsentscheidung nochmals zusammengefasst, die wir auch in gekürzter Form offiziell zu Protokoll gegeben haben.

 

EU diskutiert über verbindliche Mindestlöhne

Das ist löblich und wird von uns schon lange unterstützt. Nur warme Worte und vage Konzepte helfen hier nicht weiter, wenn das Ziel endlich eine Beendigung der wachsenden Situation bringen soll, dass Menschen trotz Erwerbsarbeit arm sind. Özlem Demirel fordert daher: „Wir LINKEN werden uns stark machen für eine klare Mindestlohngrenze, die nicht weniger als 60 Prozent des nationalen mittleren Durchschnittseinkommens (Vollzeit-Bruttomedianlohn) betragen darf. Das wären in Deutschland derzeit bereits über zwölf Euro. Denn klar ist, wer arbeitet, muss davon leben können, frei von Armut. Der derzeitige deutsche Mindestlohn leistet dies beispielsweise nicht.“

 

2-jährige Konferenz über die Zukunft Europas

Eine solche strukturierte Debatte zu führen, ist tatsächlich ein Vorschlag der EU-Kommission. Das klingt gut, nötig und nun stehen folgende Fragen: Wie kann es gelingen, dass es ein Prozess der Bürgerinnen und Bürger wird, dass etwas herauskommt, das mehr ist als Kritik und Ideensammlung angesichts des Problemlösungsstaus der EU-Kommisssion und des Machtgefälles zwischen Rats- und Parlamentsentscheidungen. Wie so oft, sagen manche Linke: Ach, warum soll man sich an diesen Demokratiespielchen beteiligen? Das bleibt doch nur Kosmetik. Was soll das bringen? Doch solch einen Prozess sollte man besser nicht zu den Akten legen, bevor er überhaupt begonnen hat. Jetzt ist es Zeit, die Forderungen zu stellen, wie verbindlich und wie demokratisch diese Debatte geführt werden soll. Helmut Scholz, der u. a. Mitglied im verfassungsgebenden Ausschuss (AFCO) ist, hat sich hier positioniert.

 

Abstimmung über den Jahresbericht der gemeinsamen EU-Außen- und Sicherheitspolitik

Ebenfalls am Mittwoch stand im Plenum der Jahresbericht zur Umsetzung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Özlem Demirel hält dazu fest: „Auch der diesjährige Jahresbericht zur EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik stößt wieder in das gleiche Horn. Obwohl die Welt um die EU herum brennt, sich die Konflikte wie aktuell im Iran, Irak und Libyen immer weiter verschärfen und Deeskalation oberste Priorität sein sollte, verleugnet die EU ihre eskalierende und destabilisierende Wirkung durch neoliberale Außenwirtschaft, Rüstungsexporte und außenpolitische Partikularinteressen der Mitgliedstaaten, im Osten wie im Süden. Diese Prioritäten sind zum Teil auch noch illegal, da es Artikel 41 Absatz 2 des EU Vertrages verbietet, Militärisches aus dem EU-Haushalt zu bestreiten!“

 

Aktuelle Stunde der Geschichtsvergessenheit

Am Mittwoch nachmittag diskutierte das Europäischen Parlament zum zweiten Mal in dieser Legislatur über die Geschichte des 2. Weltkrieges. Auch diesmal ging das nicht ohne herben Antikommunismus, der stellvertretend für eine notwendige Aufarbeitung des Stalinismus vor allem im Innern der sowjetischen Gesellschaft, Geschichte umschreibt, die Rolle der Sowjetischen Armee am Kriegsausgang klein redet und damit versucht Antifaschismus umzudefinieren und das Leiden vieler Kommunistinnen und Kommunisten in den Lagern der Faschisten auszublenden. Özlem Demirel kommentierte diese Stoßrichtung, gegen die wir weiter Aufklärung und Fakten setzen werden.

 

Klausur in Sachsen-Anhalt: Analyse, Debatten und Kontroverse

Alljährlich trifft sich die Landtagsfraktion mit ihrem Landesvorstand der Partei DIE LINKE. in Sachsen-Anhalt zur Klausur, berät aktuelle und strategische Fragen. Martina Michels wird als die, für diese Region in besonderer Weise verantwortliche Europaabgeordnete dazu regelmäßig eingeladen. Diesmal standen u. a. die Schwerpunkte für Landtagswahl 2021 auf dem Programm.

Am Nachmittag beteiligte sich Martina an einer Diskussion zur Wirtschafts-, Wissenschafts-, Energie-, Landwirtschafts-, Entwicklungspolitik, zu Arbeitsmarkt, Klimaschutz, Landwirtschaft, Umwelt und Europapolitik. Grund-  und Querschnittsthema war die Infrastruktur in Sachsen-Anhalt. Martina spannte den Bogen von der Landes- zur Europapolitik. Mit Blick auf die EU-Ratsmitgliedschaft Deutschlands, die im 2. Halbjahr 2020 beginnt und wesentlich die Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen der EU bestimmen wird, stellte Martina die Frage: „Welche gesellschaftlichen Debatten sind durch die LINKE überhaupt beeinflussbar?“ und setzte mit diesem Fokus konstruktive Akzente, die uns in den kommenden Monaten regional wie europapolitisch beschäftigen werden.

 

„Wenn Du Deine Identität nur durch ein Feindbild aufrecht erhalten kannst, dann ist Deine Identität eine Krankheit.“  Hrant Dink wurde heute vor 13 Jahren in Istanbul erschossen

Der Journalist und Chefredakteur der zweisprachigen Zeitung Agos, Hrant Dink stand für Versöhnung zwischen Türk*innen und Armenier*innen, wurde dafür verfolgt und am 19. Januar 2007 getötet. Bis heute sind die Umstände des Todes nicht vollends aufgeklärt, sein Tod jedoch nicht vergessen.

Während Erdogan gerade mitten in Berlin, gemeinsam mit Putin über Libyen gebieten will, kaum noch über seine jüngsten Einmärsche in Syrien und die Vertreibung vor allem von Kurdinnen und Kurden gesprochen wird, möchten wir mit dem drei Jahre alten Interview der Theaterintendantin Shermin Langhoff und dem letzten Interview von Hrant Dink im Stern an eine Stimme der türkischen Opposition erinnern.

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Martina Michels bei der Klausur in Merseburg, 18.1.2020
Jörg Bochmann

Screenshot: Tweets der Journalistin Mesale Tolu zum Gedenken an Hrant Dink, 19.1.2020