Das Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel erzählt auch von seinen Nachbarn.

Europäische Geschichte zwischen buntem Instant und Relativierung des deutschen Faschismus

Kommentar zu einer Resolution des Parlaments und zu einem Besuch im Haus der Europäischen Geschichte

In der vergangenen Woche am 19.9.2019 stimmte das Europaparlament über eine Resolution zum Umgang mit europäischer Geschichte ab. Mit zwei Enthaltungen war die linke Fraktion im Europäischen Parlament (GUENGL) die einzige Fraktion, die klar gegen dieses „Kunstwerk“ aus Totalitarismus, Anti-Kommunismus und Geschichtsvergessenheit stimmte. Hier im Abstimmungsprotokoll auf S. 24, Abstimmung Nr. 11 sind die Abstimmungsergebnisse im einzelnen nachlesbar.

Am Dienstag dann besuchte der Kulturausschuss das Haus der Europäischen Geschichte, bei dem Martina Michels in deutlichen Diskussionensbeiträgen konzeptionelle Schieflagen des Museums ansprach, die nun auch von der aktuellen Resolution des Parlaments verstärkt wurden.

Die Resolution

Die besagte Resolution trägt den Titel „Bedeutung der Erinnerung an die europäische Vergangenheit für die Zukunft Europas“ und wurde mit großer Mehrheit von Rechtsaußen bis zu den Grünen angenommen, letztlich mit 535 (82%) Stimmen dafür und mit 66 Stimmen (10%) dagegen – 52 (8%) Abgeordnete enthielten sich der Stimme.

Liest man die Resolution, so stutzt man spätestens beim zweiten Erwägungsartikel:

„B. in der Erwägung, dass vor 80 Jahren, am 23. August 1939, die kommunistische Sowjetunion und das nationalsozialistische Deutsche Reich den als Hitler-Stalin-Pakt bekannten Nichtangriffspakt und dessen Geheimprotokolle unterzeichneten, womit die beiden totalitären Regime Europa die Hoheitsgebiete unabhängiger Staaten untereinander aufteilten und in Interessensphären einteilten und damit die Weichen für den Zweiten Weltkrieg stellten;“.

Keine Frage, die Aufarbeitung des Stalinismus als System hat die europäischen linken Bewegungen zerrissen und wurde viel zu spät begonnen. Doch das In-eins-Setzen der totalitären Strukturen des werdenden Nazideutschlands und der Diktatur Stalins,  sowie der damit verbundenen Verkündung, beide gemeinsam seien die Wegbereiter des Zweiten Weltkrieg, wie es in der Resolution versucht wird, ist eine Umwertung historischer Abläufe des Beginns des 2.Weltkrieges durch den Überfall auf Polen durch Deutschland. Die Ursachen des 2. Weltkrieges sind derart komplex, dass sie – auch nicht aus osteuropäisch-baltischer Perspektive – im Hitler-Stalin-Pakt (insbesondere den Geheimprotokollen) anzusetzen sind. Diese Prämisse ist, trotz des Einmarsches der Sowjetarmee ins Baltikum, fast ein Jahr nach Kriegsbeginn, am 16./17. Juni 1940 schlicht falsch und ignoriert zugleich die weiteren deutschen Besetzungen, zum Beispiel in Riga, von 1941 bis 1944. Diese Geschichtsschreibung relativiert und verschweigt regelrecht Nazi-Deutschlands Verantwortung sowohl für den Kriegsbeginn als auch für den Holocaust und umgeht überdies alle aufzuarbeitenden Kollaboration des Baltikums in den Jahren der deutschen Besetzung an der Ermordung von jüdischen Mitbürgern und bei der Verfolgung des Widerstandes gegen Hitlers verbrecherische Herrschaft.

Kein Wort findet man in der Resolution zu den unvorstellbaren 25 Millionen Toten, die die Sowjetunion nach dem Einmarsch der Nazis und durch die Befreiung Europas von diesem Terror, gemeinsam mit den Alliierten, bezahlte.  

Nicht nur die Geschichtsschreibung ist ein gravierendes Problem der Resolution.

In dem angenommenen Text werden mit dem Rückenwind der Relativierung der Verantwortung für den 2. Weltkrieg, Verbote von kommunistischen Organisationen und Repressionen gegen linke Organisationen der Nachkriegszeit legitimiert.      

Um es kurz zu machen, ein Genosse schrieb in den sozialen Netzwerken zusammenfassend: „Es sind ein paar richtige Punkte drin, aber zu viele grundfalsche.“

 

Das Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel

Am Dienstag dieser Woche besuchten Abgeordnete aus dem Kulturausschuss des Europaparlaments erneut das 2016 eröffnete Museum für Europäische Geschichte. 

„Ja, wir wollen auch provozieren“, war wohl eine der elegantesten Einlassungen der engagierten Chef-Kuratorin, Dr. Andrea Mork, die deutschsprachige Kolleginnen und Kollegen in einem Schnelldurchlauf durch das multimediale Museum führte. Gelangt man, erstaunlich blind gegenüber der Geschichte des europäischen Kolonialismus, ins 20. Jahrhundert, so stößt man auf eine  gestalterisch in gleicher Größe und symmetrisch gegenübergestellte Auseinandersetzung mit den Diktaturen in Deutschland und der Sowjetunion vorm 2. Weltkrieg. Man steht vor einer exakten musealen Bebilderung des weiter oben zitierten Auszugs aus der aktuell verabschiedeten Resolution. Kein Museumsbesucher unter 40 Jahren, keine Schülerin, die bei einem kurzen Aufenthalt in Brüssel in diesem Museum vorbei kommt, wird diese gestalterische „Provokation“ als Relativierung des deutschen Faschismus erhellend ausdiskutieren. Ähnliches widerfährt Besucher*innen des Museums bei Stationen der Aufarbeitung des Holocaust. Westeuropa scheint da vorbildlich und die Bundesrepublik Deutschlands gleich 1949 vorangeschritten zu sein. Doch letztlich erzählen uns allein die späten dokumentarischen und fiktiven Erzählungen über Fritz Bauer etwas anderes, genau wie der grassierende Antisemitismus unserer Tage in West- und Osteuropa.

Keine Frage, das Museum hat viel zu wenig Platz. Der kleine Auftakt, woher der Kulturraum Europa eigentlich kommt, ist gelungen und nah an den Forschungen des Braudel-Instituts angelehnt, das den Fokus auf den Mittelmeerraum richtend, so eindringlich aufgearbeitet hat, dass Europa historisch ein Gemisch aus Einflüssen der arabischen Halbinsel, Nordafrikas und des nördlichen Mittelmeerraumes war und damit auch eine riesige mehrtausendjährige Integrationsgeschichte erzählt. Der Lehrstoff für die Moderne liegt auf der Hand. Doch er verliert sich letztlich in einer westeuropäisch geprägten Erzählung, die heutige Integrationsherausforderungen er unbeantwortet lässt.

Wir hoffen, dass die Diskussionen an dieser Stelle weiter gehen, denn eines muss man trotz der vielen Kritik am Museum festhalten: Ein transnationaler Ansatz bei der Geschichtsaufarbeitung ist dringend, nicht nur bei diesem Haus in Brüssel, sondern auch in regionalen Aufarbeitungen von Geschichte.  

Im Fazit müssen wir festhalten, dass mit Blick auf den neuen Kommissionszuschnitt, in dem Kultur und Bildung bisher aus dem Portfolio gestrichen sind, die Widerstände – auch im Interesse des Hauses der Europäischen Geschichte – wachsen sollten. Wir werden in jedem Fall am Montag und Donnerstag bei den Anhörungen der designierten Kommissar*innen entsprechende Fragen stellen, denn die Aufarbeitung des europäischen Erbes ist zu wichtig für kurze Erwähnungen in Aufgabenbeschreibungen. Seit 20 Jahren gibt es eine Generaldirektion für Kultur und Bildung und eine/n Kommissar*in. Warum soll dieses Ressort nach 2019 hinter „Innovation und Jugend“ oder „dem Schutz der Europäischen Lebensweise“ verschwinden?

Dr. Andra Mork, Chefkuratorin, im Gespräch mit Martina Michels, 24. 9. 2019,
Konstanze kriese