Sozialer Zusammenhalt in der EU als Kernstück der Regional- und Strukturpolitik muss gestärkt werden

Auftaktdebatte der GUE/NGL-Fraktion zur Zukunft der Kohäsionspolitik nach 2020

Unter der Ko-Schirmherrschaft der Berliner Europaabgeordneten Martina Michels lud die GUE/NGL Fraktion am 3. März 2016 zum Hearing „Zukunft der Kohäsionspolitik“ ein.

 

In einem ersten Panel wurden Erfahrungen insbesondere aus so genannten Kohäsionsländern – hier speziell Griechenland, Irland und Spanien – ausgetauscht.

Der Griechische Vize-Wirtschaftsminister Alexis Charitsis erläuterte, dass die Vorgängerregierungen in seinem Land die EU-Struktur- und Investitionsfonds zwar natürlich zu nutzen wussten, jedoch vor allem für eigene Interessengruppen und kaum dort, wo sie am dringendsten gebraucht wurden. Eine Zunahme des BIP sei in den vergangenen Jahren überhaupt nur in 2 Regionen zu verzeichnen gewesen und kaum im Verhältnis zu den eingesetzten Mitteln. Die Syriza-geführte Regierung bemühe sich nun um Korrektur und setze ihre Priorität auf Bildung, Solidarität und Schaffung von Arbeitsplätzen, vor allem auch, um den seit Beginn der Krise anhaltenden brain drain endlich zu stoppen und insbesondere jungen Leuten bald wieder eine Perspektive im Heimatland bieten zu können. Auch auf EU-Ebene müssten sich Linke dafür einsetzen, dass die Regionalpolitik nicht zu reiner Wettbewerbspolitik werde, sondern auf den sozialen, wirtschaftlichen und territorialen Zusammenhalt Sozialer verpflichtet bleibe, wie das das EU-Primärrecht ja vorsehe. Dazu gehöre natürlich, dass der EU-Haushalt und speziell die Haushaltslinien für die Kohäsionspolitik langfristig planbar entsprechend ausgestattet wurden. Es sei darüber hinaus zu bemerken, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP)  als einziger Indikator für den Entwicklungsstand von Staaten und Regionen nicht die Ungleichheiten innerhalb der Gesellschaft abbilden können und daher das Bewertungskonzept für die Verteilung der Mittel überdacht werden müsse.

 

Daithi McKay, Sinn Féin Abgeordneter des Parlaments von Nordirland berichtete, die Beantragung eines Teils der EU-Gelder (hier aus dem Globalisierungsfonds) laufe über die Zentralregierung in London, die für die regionalen Belange besonders seiner Region zu wenig Aufmerksamkeit aufbringe. Er betonte als besonders erfolgreich und wichtig die kleineren, lokalen EU-geförderten Projekte und besonders die grenzüberschreitenden Kooperationen an den der irisch-nordirischen Grenzen sowie zwischen den Gemeinschaften. Es komme zuallererst darauf an, welche Projekte gefördert würden und wie gut die Menschen vor Ort eingebunden seien, dann sei auch mit geringeren Geldbeträgen Vieles erreichbar. Zugleich seien die negativen Auswirkungen der Austeritätspolitik auch im Bereich der EU-Förderpolitik deutlich spürbar und mit nichts könne letztlich auch nichts erreicht werden.

Der Vertreter von Sinn Féin erläuterte darüber hinaus das Dilemma, welches die die „Brexit“-Option für Nordirland mit sich bringe: Bei einem Ausstieg des Vereinigten Königreiches würde die irisch-irische Grenze wieder viel deutlicher spürbar und würde der Norden Irlands den größten Teil der EU-Fördermöglichkeiten einbüßen. Zugleich würden aber die Zugeständnisse, die UK von den anderen EU-Mitgliedstaaten voraussichtlich bei einem Verbleib in der EU erhielte, eine sozialere EU-Politik sehr viel schwieriger machen.

Anne Quart, Staatssekretärin für Europa und Verbraucherschutz in der der rot-roten Landesregierung in Brandenburg, gab einen Überblick über die recht erfolgreiche Umsetzungspraxis der EU-Kohäsionspolitik in dieser ostdeutschen Region. Brandenburg habe nach der Wiedervereinigung zu den ärmsten Regionen in der EU gehört und habe sich gerade auch mithilfe der Unterstützung aus der EU eine solide wirtschaftliche Basis erarbeiten können. Zudem gebe es stabile Kooperationsprojekte mit dem Nachbarland Polen und auch weiteren Drittstaaten. Dazu habe unter anderem eine Strategieänderung weg vom „Gießkannenprinzip“ der 1990er Jahre, hin zur Entwicklung regionaler Wachstumskerne beigetragen. Dabei sei es wichtig, eben nicht nur den Speckgürtel in der Hauptstadtregion um Berlin zu entwickeln, sondern vor allem die kleineren Städte im flachen Land und deren ländliches Umfeld einzubeziehen. Außerdem sei es sinnvoll, verschiedene Fonds (EFRE, ESF, ELER) dabei für bestimmte Projekte bündeln zu können. Der Fokus müsse bei allen Vorhaben auf der Kooperation vor Ort liegen, besonders auch bei den grenzübergreifenden Projekten.

Zugleich sei aber auch klar, dass das Bundesland völlig ohne weitere Unterstützung seinen sozialen und wirtschaftlichen Aufholweg noch längst nicht fortsetzen könnte. Eine absolute Beschränkung künftiger EU-Fördertöpfe auf die allerärmsten Regionen in Europa – die selbstverständlich einen Großteil der Hilfen benötigten – würde auch Brandenburg wieder weit zurückwerfen. Nur mit Darlehen und Krediten ließe sich  keine solide, gestaltende Investitionspolitik der öffentlichen Hand bewerkstelligen. Ganz klar sei, dass der Juncker-Investitionsplan EFSI nichts für Brandenburg sei – zu sehr stelle er auf public private partnerships ab und zu groß sei das erforderliche Projektvolumen. Als weitere wichtige Herausforderungen für die kommende Förderperiode betonte Anne Quart zum einen, dass die Verwaltung der Strukturfonds in den Regionen nicht weiter verkompliziert werden dürfe, sonst würden immer weniger Zeit, Kreativität und materielle Ressourcen für die echte Projektarbeit übrig bleiben, kleine und Kleinprojekte kaum noch praktikabel werden. Zum anderen müsse es auch in Zukunft klare Strategien und Zielsetzungen geben, sonst bestehe immer mehr die Gefahr, dass Wettbewerbsideologie auch die Kohäsionspolitik immer mehr überlagere.

 

Peter Berkowitz, Leiter der Abteilung Politikentwicklung in der Generaldirektion für Regionalpolitik der EU-Kommission, war nach diesen Vorträgen und zahlreichen Fragen aus dem Publikum gebeten, erste Vorstellungen der Kommission für den nächsten Programmplanungszeitraum zu umreißen. Planmäßig sind diese offziell erst für das kommende Jahr zu erwarten, Gesetzgebungsvorschläge nicht vor 2018. Dennoch ist klar, dass Vorarbeiten innerhalb der DG REGIO sowie Gespräche mit den Mitgliedstaaten und Vertretern der Regionalregierungen längst stattfinden. Der Kommissionsvertreter hielt sich entsprechend sehr zurück mit konkreten Vorschlägen und betonte, zunächst müssten Erfahrungen mit der letzten Reform des Förderpolitiksystems und deren Umsetzung erfasst und ausgewertet werden. Es sei aber absehbar, dass sich die Überlegungen aktuell auf vier Achsen bewegen: mehr Flexibilität bei der Anwendung, engere Anbindung an die Europa2020-Strategie und die Wirtschaftsgovernance der EU, Vereinfachung sowie Orientierung auf Ergebnisse. Auf die Frage, was es denn für strategische Überlegungen und Zielstellungen über die Europa2020 hinaus gebe, gibt es leider noch weniger Konkretes vonseiten der Kommission. Vieles scheint dort wichtiger als Strategie zu sein.

Gemeinsame  Hoffnung aller Konferenzteilnehmer blieb, dass Nachhaltigkeit, Bildung, Abbau von Arbeitslosigkeit und Armutsbekämpfung Schwerpunkte der Förderpolitik bleiben.

Martina Michels, Regionalpolitische Sprecherin der LINKEN. im Europaparlament fasste denn auch zusammen, dass die Anhörung als wichtige Zwischenbilanz, nützlicher Erfahrungsaustausch und auf alle Fälle ein notwendiger Start dafür anzusehen sei, rechtzeitig in die Debatte um die künftige Kohäsionspolitik einzugreifen. Diese praktische Politik des solidarischen Zusammenhalts müsse unbedingt erhalten bleiben. Sie können zwar nicht die Fehler anderer falscher Politiken ausbügeln, aber sie mache für die Bevölkerung den Vorteil des Zusammengehens in einem geeinten Europa sichtbar und erlebbar.

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Direktkontakt von Martina Michels