Regierungschefs opfern die soziale Säule der EU

Das Parlament debattierte heute im Plenum die Ergebnisse des EU-Gipfels am 18./19.2.2016, auf dem die Staats- und Regierungschefs der EU über Zugeständnisse an das Vereinigte Königreich und Lösungen zur Flüchtlingskrise entschieden haben. Gabis Rede im Wortlaut:

Gabriele Zimmer, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als Ergebnis eines parteiinternen Machtstreits ist die EU am vergangenen Wochenende so weit gegangen, eine wesentliche Säule, die eigentlich die Konsistenz und die Struktur der EU beinhalten soll – nämlich die soziale Säule – , abzubauen.

Herr Juncker, ich frage Sie: Was wird denn aus ihrem AAA? Was wird denn daraus? Es ist geopfert worden. Da könnten Sie jetzt eigentlich schon Ihre Sachen einpacken und könnten sagen: Das war’s! Alle Versprechungen sind weg! Ich sage Ihnen auch, wir sind auf dem Weg, die EU nähert sich dem marktradikalen angelsächsischen Wirtschaftsmodell. Man könnte ja ein Denkmal in Brüssel errichten mit der Inschrift: „Hier wurde am 18. Februar 2016 der Geist von Margaret Thatcher wiederbelebt“. Danke.

Das eigentliche Drama hat sich doch ganz woanders abgespielt und es spielt sich heute noch ab. Es sind die Hunderttausende Menschen, die in den letzten zwei Monaten nach Griechenland gekommen sind. Es ist die Weigerung der Europäischen Union, tatsächlich die Verpflichtungen einzugehen, nämlich für eine Umverteilung zu sorgen. Es ist Tatsache, dass der einstimmige Beschluss des letzten Gipfels – und den haben Sie nicht kritisiert, alle beide nicht – aufgehoben worden ist, einen Tag nach dem Gipfel war nicht mehr davon die Rede. Da werden die Grenzen dicht gemacht! Es ist aber vereinbart gewesen, dass bis zum nächsten März-Gipfel die Grenzen offen bleiben, dass darüber gemeinsam verhandelt wird und dass eine gemeinsame Entscheidung getroffen wird.

Jetzt findet eine Konferenz in Wien statt unter – so muss ich sagen – Ausladung von Griechenland, dem Hauptakteur! Wie wollen Sie, wie wollen wir zu einer europäischen Lösung kommen? Da höre ich keine Kritik an dieser Praxis von Wien, auch nicht seitens der Kommission und seitens des Rates. Was wir brauchen, ist doch, dass wir endlich – und das haben Sie selbst gesagt, Herr Juncker – das, was wir beschlossen haben, einhalten. Das wäre die erste Voraussetzung, dass die entsprechenden Zahlen, die Kontingente auch übernommen werden und dass Griechenland hier geholfen wird.

Wir brauchen einen legalen Weg, der muss geschaffen werden, hier muss Griechenland konkret geholfen werden. Hier kann man nicht mehr einfach so tun, als könnte man das einigen Mitgliedstaaten überlassen. Die Mitgliedstaaten stehen hier in der Pflicht, ihrer Verantwortung nachzukommen und das ist eine menschliche Pflicht. Wir geben unsere Werte auf, wenn wir uns dem verweigern.

Das möchte ich auch noch einmal sehr konkret sagen: Sollen sich doch die Mitgliedstaaten ein Beispiel an der neuen portugiesischen Regierung nehmen, an dem Angebot von Costa an Tsipras, dass er Tausende von Migranten übernehmen wird, oder eben auch an der spanischen Provinz Valencia, die der griechischen Provinz Südägäis vorgeschlagen hat, tausend Migranten zu übernehmen. Warum können das die anderen Mitgliedstaaten nicht? Das wäre der Weg, das ist das Erfordernis, über das wir hier heute reden sollten! Nicht ein Machtspiel zwischen Johnson und Cameron, das mich in keiner Weise tangiert, das auch viele Flüchtlinge nicht tangiert, und darüber sollten wir hier reden. 24 Stunden Drama in Brüssel, ein inszeniertes Drama, das richtige Drama findet außerhalb statt und wir tun nichts! Wir reagieren nicht, wir tun so, als würde sich alles von alleine lösen.

Ich denke, hier sind wir gefordert, und ich fordere auch Sie auf, meine Damen und Herren, dass wir hier gemeinsam agieren, dass wir eine Mehrheit bilden und klar und deutlich sagen, was notwendig ist.

 

Brüssel, 25.2.2016