Orban: Niemand hat die Absicht, in Ungarn die Todesstrafe einzuführen
Das Europaparlament hat heute unter dem Titel „Die Lage in Ungarn“ jüngste Äußerungen von Premierminister Viktor Orban zur Einführung der Todesstrafe diskutiert.
Orban hatte gefordert, die Frage, ob ein EU-Land die Todesstrafe einführen darf, vollständig von den Zuständigkeiten der EU zu trennen. Die Todesstrafe ist mit Demokratie und Rechtsstaat unvereinbar. Wenn der Regierungschef eines EU-Mitgliedsstaates über die Einführung der Todesstrafe schwadroniert, ist dies nicht zu akzeptieren. Die Europäische Menschenrechtskonvention, die Charta der Grundrechte der Europäischen Union und UN-Konventionen verpflichten alle EU-Staaten darauf, die Todesstrafe nie wieder einzuführen. Die Todesstrafe ist mit der Mitgliedschaft in der EU unvereinbar und muss es auch bleiben.
Die von Orban angestoßene Diskussion um die Todesstrafe ist nur die Spitze des Eisberges des bedrohlichen Abbaus des Rechtsstaats in Ungarn. In einem Fragebogen zur Migration, den die Regierung an alle Ungarn verschickt hat, wird suggeriert, alle Asylbewerber seien Terroristen; Nichtregierungsorganisationen werden unter den Generalverdacht gestellt, „ausländische Agenten“ zu sein, ihre Konten gesperrt und Räume durchsucht. Die Pressefreiheit wird mit den Füßen getreten. Orban schürt eine bedrohliche Atmosphäre von Misstrauen, Rassismus und Chauvinismus.
Alle Kritik an seiner Politik sei eine Beschimpfung Ungarns oder eine linke Intrige. Abgewehrt wird alles mit dem Hinweis, er urteile auch nicht über die anderen Länder oder Linke würden es auch nicht besser machen. Wir kritisieren nicht die Bürgerinnen und Bürger Ungarns. Wir können Wut über die Entwicklung der EU gut nachvollziehen. Aber wir kritisieren deutlich Viktor Orbán und seine Politik: sein arrogantes Auftreten vor dem EP; seinen erneuten Versuch, das EP zu missbrauchen, um sich als Verteidiger Ungarns zu präsentieren; seinen Zynismus, mit dem er über die Todesstrafe schwadroniert und sich gleichzeitig zum Verteidiger der Demokratie aufspielt.
Er versucht, eine nationale Identität zu schaffen, die sich jegliche Einmischung von außen verbietet und auf den Werten von Nation, Autorität und patriarchalen Familienvorstellungen gründet. Die ohnehin schon starke Polarisierung in Ungarn verschärft er nach belieben. Dabei hat er, auch das hat die heutige Debatte gezeigt, die volle Unterstützung der Europäischen Volkspartei, und damit der CDU und CSU, die Orban mit viel Energie verteidigen.
Straßburg, den 19. Mai 2015