Fabio De Masi kommentiert die Krisenpolitik der EZB

Die Europäische Zentralbank (EZB) ist mit ihrem Latein am Ende. Das billige Geld ist gegen Kürzungsdiktate machtlos. Die großen Volkswirtschaften, Deutschland, Frankreich und Italien, stagnieren oder schrumpfen. Die Inflationsrate (Teuerung) im Euroraum sinkt weiter und betrug im August nur noch 0,3 Prozent.

Ein Gespenst geht daher um in Europa: die Deflation. Eine solche Phase sinkender Preise ist gefährlich, weil private Haushalte ihren Konsum aufschieben oder sich schlicht nichts leisten können. Und Unternehmen verzichten daher trotz niedriger Zinsen auf Investitionen. Zudem steigt die reale Schuldenlast der Haushalte, weil die Einkommen sinken, aber nicht die Schulden. Ein Teufelskreis. Deswegen fordern mittlerweile selbst Bundesbank und EZB höhere Löhne in Deutschland, um die Wirtschaft und die Preise anzukurbeln.

Zinsen: Der finale Countdown

EZB-Präsident Mario Draghi hat am Donnerstag den Leitzins, zu dem sich Banken Geld leihen, um 0,1 Prozent auf jetzt 0,05 Prozent gesenkt. Zusätzlich wurden auch „Strafzinsen“, die Banken für Geld zahlen, dass sie ungenutzt bei der EZB parken, um 0,1 Prozent auf 0,2 Prozent erhöht. Dies soll die Banken bewegen mehr Kredite an die reale Wirtschaft zu vergeben. Draghi tanzt auf der Null-Linie: Er kann die realen Zinsen (Zinsen abzüglich Inflation) bei sinkendem Preisniveau nicht weiter drücken.

Die Zinssenkungen werden ohnehin verpuffen. Das Kern des Problems ist die Kürzung der Staatsausgaben beziehungsweise der Investitionsstau. Zudem herrscht „Bilanzrezession“: Die privaten Haushalte in den Krisenstaaten ächzen unter Lohn- und Sozialkürzungen, Arbeitslosigkeit und Schulden, die sie versuchen abzubauen. Den Unternehmen fehlen somit Kunden, um Investitionen zu rechtfertigen. An wen sollten die Banken in dieser Situation Kredite vergeben? Mit Zockerei wie Wetten auf Wechselkurse oder Rohstoffe lässt sich schneller Geld verdienen. Und die Strafzinsen werden vermutlich von den betroffenen Banken, wie einst in Dänemark, einfach an die Kunden weiter gereicht.

EZB als Müllkippe

Auch wird die EZB Schrottpapiere kaufen: Asset-backed securities (ABS). Dabei handelt es sich um Kredit-Tranchen unterschiedlicher Qualität,  die gebündelt, verpackt und verkauft werden. Solche Kreditpakete enthalten faule Eier und haben in der Krise Banken das Genick gebrochen. Das ABS-Shopping überrascht nicht: Draghi hat das US-Finanzunternehmen BlackRock, einen der größten Anleger im europäischen ABS-Markt, als Berater engagiert. Draghi macht Brandstifter zur Feuerwehr.

Die ABS-Käufe sollen die Kreditvergabe ankurbeln. Zombie-Banken werden durch die EZB gratis saniert. Freilich ohne den Finanzsektor klein und effektiv zu regulieren (small and beautiful). Die Reform des Bankensektors wird so torpediert, ohne die Probleme der Realwirtschaft zu lösen. Wettbuden werden daher weiterzocken statt Investitionen finanzieren.

Investieren statt kürzen

Die Geldpolitik ist somit machtlos: Nun hat Draghi in einer auf Rede auf der internationalen Konferenz der Notenbanken in Jackson Hole mehr Finanzpolitik gefordert. Dies führte zu einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Merkel, die sonst immer die Unabhängigkeit der EZB betont.  Sie setzte Draghi unter Druck, den Kurs der Depression fortzusetzen. Merkels Sorge scheint unbegründet: Zwar forderte Draghi neben der Senkung von Unternehmenssteuern auch etwas mehr öffentliche Investitionen. Diese sollen aber in der EU nur gestattet werden, wenn Strukturreformen gemacht werden. Auf Deutsch: Löhne und Renten senken und den Sozialstaat zerstören. Was der Staat dann in die Wirtschaft pumpt, wird den kleinen Leuten wieder aus dem Geldbeutel gezogen. Das kann nicht funktionieren. 

Die „Sparpakete“ haben durch den Einbruch der Wirtschaft zu mehr, nicht zu weniger Schulden geführt. DIE LINKE fordert den Stopp der Kürzungsdiktate und die Abwicklung vermeintlicher Schuldenbremsen (Fiskalpakt). Wir brauchen jetzt schnell mehr öffentliche Investitionen. Diese müssen daher durch direkte Kredite der EZB ohne Umweg über private Banken finanziert werden. Darüber hinaus brauchen wir eine Vermögensabgabe für Millionäre sowie die Millionärssteuer. Das Vermögen der europäischen Millionäre übertrifft mit 17 Billionen Euro die Staatsschulden aller EU-Staaten.