Warum der Wunsch nach einer EU-Armee falsch ist: Irrweg EU-Armee
Aus der Debatte Zu Befehl?
In jüngster Zeit wurde die Forderung nach einer europäischen Armee wieder verstärkt von prominenter Seite in die Debatte eingespeist. Zuletzt meldete sich die neue deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in dieser Hinsicht zu Wort, wobei die „Tagesschau“ das hiermit verbundene Gesamtkalkül folgendermaßen beschrieb: „Stärkeres internationales Engagement, mehr humanitäre Hilfe in Krisenländern – die Bundeswehr muss sich auf mehr Einsätze im Ausland einstellen. Ministerin von der Leyen will den Kurs militärischer Zurückhaltung beenden. Langfristiges Ziel: eine Europa-Armee.“
Eine aktive – „verantwortungsbewusste“ – Außenpolitik erfordere demzufolge den häufigeren Einsatz militärischer Gewalt und um dies zu ermöglichen, sei perspektivisch der Aufbau einer europäischen Armee unumgänglich. Gegen diese vorherrschende Sichtweise lassen sich aus meiner Sicht mindestens drei Einwände formulieren.
Reparaturbetrieb für eine verfehlte Außenpolitik
Erstens stellt sich die Frage, ob die Europäische Union wirklich Interventionstruppen benötigt, um in Konflikte einzugreifen, für die sie – etwa über ihre Wirtschaftspolitik oder durch Rüstungsexporte – häufig eine erhebliche Mitverantwortung trägt. Da ersichtlich keine Bereitschaft existiert, diese konfliktverschärfenden Praktiken zu beenden, hat es für mich stark den Anschein, als zielten diese Militäreinsätze erstinstanzlich darauf ab, bestehende, dem gegenwärtigen Weltwirtschaftssystem eingeschriebene Ungerechtigkeiten aufrechtzuerhalten. Als Reparaturbetrieb für eine verfehlte Außenpolitik sind Militäreinsätze aber ein gänzlich ungeeignetes Mittel, zumal sie keineswegs geeignet sind, Konflikte zu „lösen“, wie etwa der Libyen-Krieg untermauert hat.
Zweitens soll die gemeinsame Beschaffung und Nutzung von Militärgerät („Pooling and Sharing“) als wichtiger Zwischenschritt in Richtung einer EU-Armee die Kapazitäten erhöhen, um künftig „besser“ für Auslandsinterventionen gerüstet zu sein. Es geht also nicht darum, Gelder einzusparen, um sie etwa in den Sozialbereich umleiten zu können, die Devise lautet vielmehr „More Bang for the Buck!“ Dies wird auch von Claude-France Arnould, der Chefin der EU-Verteidigungsagentur, bestätigt: „Pooling and Sharing kann keine Ausrede sein, weniger zu investieren; vielmehr eröffnet es einen Weg, zusammen Fähigkeiten anzuschaffen, die einzeln unerreichbar wären, und bei der Anwendung dieser Kapazitäten mehr Effektivität zu erreichen.“ Ob sich die erhofften Effizienzsteigerungen überhaupt realisieren lassen, ist allerdings angesichts der bisherigen Erfahrungen mit europäischen Kooperationsprojekten eher fraglich. Doch selbst wenn dies der Fall sein sollte, würde ein schlagkräftigerer Militärapparat zu einer weiteren Marginalisierung alternativer ziviler Konfliktlösungsstrategien führen und der ohnehin beobachtbaren Tendenz, militärische „Lösungen“ zu suchen, weiter Vorschub leisten – wer über den Hammer verfügt, für den sind bekanntlich alle Probleme Nägel.
Dies wiegt drittens umso schwerer, weil sich die heute bereits faktisch kaum existierende demokratische Kontrolle der sogenannten „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ ( GSVP) durch die Europäisierung der Militärpolitik noch weiter verschlechtern dürfte. Dies betrifft vor allem die Aushöhlung nationaler Kontrollbefugnisse – gerade mit Blick auf Deutschland wird etwa verstärkt gefordert, die Nutzung von „gemeinsamem“ Militärgerät für Auslandseinsätze dürfe nicht durch ein ablehnendes Votum des Bundestages verhindert werden. Deshalb forderten etwa die CDU-Verteidigungsexperten Andreas Schockenhoff und Roderich Kiesewetter: „Eine wirkungsvolle GSVP wird die militärischen Fähigkeiten der einzelnen Staaten in so starkem Maße zusammenlegen und unter geteilte Führung stellen, dass es nicht möglich sein wird, nationale Vorbehalte als Einzelmeinung durchzusetzen. [ ] Dieser Souveränitätsverzicht betrifft gerade den Bundestag mit seiner im europäischen Vergleich eher starken Mitspracherolle und müsste sich in einer Reform des Parlamentsvorbehalts bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr niederschlagen.
Schlicht nicht vorstellbar
Dieser drohende Abbau nationalstaatlicher Kontrollbefugnisse soll aber in keiner Weise durch die Aufwertung des Europäischen Parlaments aufgefangen werden. Gemäß Artikel 36 des EU-Vertrags wird das EP „gehört“ und „unterrichtet“, zu entscheiden hat es ebenso wie der Europäische Gerichtshof (Artikel 275 AEUV) aber nichts. Auch die vor nicht allzu langer Zeit ins Leben gerufene „Interparlamentarische Versammlung“ ist leider nichts mehr als ein Feigenblatt. Die Gewaltenteilung ist in der Frage der EU-Militärpolitik somit faktisch aufgehoben – und dies wird auch so bleiben.
Ohnehin ist es irreführend, von einer EU-Armee zu sprechen, die es realistisch betrachtet wohl niemals geben wird. Es ist schlicht nicht vorstellbar, dass die Staats- und Regierungschefs der großen Mitgliedsländer im hochsensiblen Militärbereich umfassend Kompetenzen abtreten werden – im Gegenteil. Das Spiel über die EU-Bande gibt ihnen vielmehr die Möglichkeit, in Militärfragen möglichst viel „Beinfreiheit“ zu erhalten und weitgehend abseits jeglicher demokratischer Kontrollmechanismen agieren zu können. Einen Kuhhandel der Marke „tausche Demokratie gegen Effizienz“ darf es in der entscheidenden Frage von Krieg und Frieden jedoch niemals geben und auch der Verweis auf vermeintliche Sparzwänge ist absolut irreführend. Wer wirklich sparen möchte, hat eine klare Alternative: Er rüstet ab!
Dieser Kommentar erschien zuerst auf dem Europa-Spezial des The European
von Sabine Lösing
Sabine Lösing ist seit Juli 2009 Mitglied des Europaparlaments. Dort ist die Linken-Politikerin verantwortlich für die Außen- und Sicherheitspolitik; seit Februar 2013 ist Lösing zudem Vorsitzende des Linken-Landesverbandes in Niedersachsen. Sie blickt auf mehr als 30 Jahre aktive Mitarbeit in außerparlamentarischen Bewegungen zurück, insbesondere in der globalisierungskritischen, in der Friedens-, Umwelt- und in den Sozialen Bewegungen.