Begrüßenswert, aber reichlich spät
Zu den Äußerungen der NGG und ver.di Vorsitzenden darüber, dass der Mindestlohn nunmehr auf 10 Euro pro Stunde steigen solle, erklärt Sabine Wils, MdEP DIE LINKE und Gewerkschafterin:
„Ich begrüße, dass die Vorsitzende der Gewerkschaft NGG Michaela Rosenberger laut Medienberichten vom 08.01.2014, feststellt, dass der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro „rasch auf 10 Euro steigen“ muss. Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske hatte kurz nach Weihnachten ebenfalls eine rasche Steigerung auf 10 Euro gefordert. Damit bewegen sich die NGG und auch ver.di langsam auf die langjährige Forderung der Partei DIE LINKE zu. Denn wir fordern einen sofortigen Mindestlohn in Höhe von 10 Euro, der innerhalb von vier Jahren mindestens auf 12 Euro steigen muss! Klar ist: von einem Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro kann man nicht leben und er bedeutet zudem Altersarmut für Millionen von Menschen. Auch ein Mindestlohn von 10 Euro ist noch zu wenig und reicht nicht, um Altersarmut zu entgehen, ist aber selbstverständlich eine bessere Ausgangsbasis.“
Sabine Wils ergänzt: „So sehr ich die Äußerungen von Rosenberger und Bsirske schätze, kann ich meine Verwunderung über deren Zeitpunkt nicht verhehlen: Offensichtlich braucht es der Androhung von CDU/CSU-Seite, dass es noch mehr Ausnahmen vom von der Großen Koalition beschlossenen Mindestlohn-Konzept geben solle, damit die Gewerkschaften aus dem Quark kommen und offensiver auftreten. Wenn die Gewerkschaften der Meinung sind, dass 8,50 Euro zu wenig ist, warum haben sie das nicht schon vor einem Jahr gesagt? Dann hätten sie vor dem Bundestagswahlkampf Druck auf alle Parteien ausüben können. Sich jetzt einige Wochen nach (!) Unterzeichnung des Koalitionsvertrages an die Öffentlichkeit zu wenden, war sicher nicht die beste politische Strategie, um die Lage von Millionen Beschäftigten, die zu Hungerlöhnen arbeiten, so schnell wie möglich zu verbessern. Es drängt sich der Verdacht auf, dass sich die Gewerkschaften – quasi in Vasallentreue zur SPD – mit ihren Forderungen an den viel zu gemäßigt auftretenden Sozialdemokraten orientiert haben“, resümiert Wils. „Wir als LINKE würden uns deshalb freuen, wenn Gewerkschaften wie die NGG und ver.di in Zukunft mutiger bei ihren Forderungen agieren würden und stehen für Gespräche jederzeit bereit“, lässt Sabine Wils abschließend wissen.
Zum Hintergrund:
Die Große Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen, dass ein Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro ab 1.1.2015 gelten soll. Dort allerdings, wo es einen Tarifvertrag gibt, der unter 8,50 Euro liegt, soll der Mindestlohn erst ab 01.01.2017 gelten. Von flächendeckend kann also erst ab 2017 gesprochen werden. Damit führt die SPD fast 19 Jahre nachdem sie unter Rot-Grün ab 1998 die Möglichkeit dazu gehabt hätte, einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn ein, und immerhin fast 12 Jahre nachdem es im Bundestag ab Herbst 2005 für vier Jahre bereits eine parlamentarische Mehrheit für einen Mindestlohn gegeben hat. Das kann man wahrlich nur als Politik der Trippelschritte bezeichnen. Millionen von Menschen mussten und müssen deswegen zu Hungerlöhnen arbeiten, von denen man nicht leben kann!
Aufgrund der Preisentwicklung (Inflation) schätzen Fachleute übrigens ein, dass ein Mindestlohn von 8,50 Euro Anfang 2015 nur noch ca. 8,33 Euro und Anfang 2017 nur noch etwa 7,85 Euro wert ist. Eine Anpassung an die Preisentwicklung haben der DGB, die SPD und die Grünen, die seit 2010 denselben Betrag, also 8,50 Euro, fordern, bislang nicht vorgenommen. Wie defensiv und zaghaft die Forderung nach 8,50 Euro Mindestlohn ist, zeigt auch folgender Umstand: Im Juli 2013 veröffentlichte das Handelsblatt die Ergebnisse einer Umfrage unter deutschen Managern. Knapp 60% von ihnen waren demnach für einen Mindestlohn – die Mehrheit davon für eine Höhe von 8,88 Euro. Große Teile sogar der Kapitalseite könnten also längst mit einem höheren Mindestlohn gut leben als ihn Schwarz-Rot nun mit erheblichen Verzögerungen und Ausnahmen beschlossen hat.
Brüssel, 09.01.2014