Gegen die Inhaftierung kurdischer Journalisten in Italien, Frankreich und Belgien

Offener Brief von Mitgliedern des Europäischen Parlaments

Offener Brief an
die Regierungschef der Europäischen Union,
die Innenminister der Europäischen Union,
die Justizminister der Europäischen Union,
die Außenminister der Europäischen Union,
die Hohe Repräsentantin der EU für die Außen- und Sicherheitspolitik, Frau Catherine Ashton,
den Erweiterungskommissar der Europäischen Union, Herrn Štefan Füle

Sehr geehrte Damen und Herren,
Wegen mutmaßlicher Verbindungen zu terroristischen Vereinigungen wurden innerhalb der letzten Wochen in mehreren Mitgliedsstaaten der Europäischen Union – Frankreich, Italien, Belgien – eine Reihe kurdischstämmiger Bürgerinnen und Bürger verhaftet. Die im belgischen Denderleeuw untergebrachten Studios des kurdischen TV-Senders Roj TV wurden durchsucht und Aufnahmegeräte beschädigt.
Wir möchten uns an dieser Stelle für Herrn Ali Mehmet Dogan verbürgen, der am 26. Februar 2010 in Frankreich festgenommen wurde und unter Anklage steht. Herr Dogan engagiert sich seit vielen Jahre auf friedlichem Wege für eine friedlichere Türkei und die Einhaltung der Menschenrechte. Als Befürworter eines EU-Beitritts der Türkei tritt er auch für die Integration der kurdischen Diaspora in die europäische Gesellschaft ein. Mit der Verleihung des Sakharov-Preises an die ehemalige Abgeordnete der türkischen Republik und Mitbegründerin der DTP, Frau Leyla Zana im Jahre 1994, hat das Europäische Parlament bewiesen, dass es die Fragen verstanden hat, um die es hier geht.
Die Tatsache, dass ein Bürger wie Herr Mehmet Dogan im Rahmen des Kampfs gegen den Terrorismus beschuldigt werden kann, lässt die Rechtmäßigkeit der gegenwärtig durchgeführten Operationen in einem schlechten Licht erscheinen.
Wir möchten daran erinnern, dass sich Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsstaates auch, und in allererster Linie in den ihnen zustehenden Rechte und Garantien messen lässt.
Deshalb bestehen wir darauf, dass es bei den laufenden Untersuchungen keinerlei Abstriche geben darf, was die die international, im Sinne der vollen Wahrung der Menschenrechte, gültigen Anforderungen an Gründlichkeit, Transparenz, Effektivität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit angeht. Wir weisen auch auf die fundamentale Bedeutung hin, die in der Garantie der Rechte der Verteidigung liegen, sowie auf die Garantie eines, in jedem Stadium fairen Prozesses.
Die aktuelle Verhaftungswelle hat schwerwiegende Nachwirkungen. Die in Europa lebenden kurdischen Bürgerinnen und Bürger insgesamt werden stigmatisiert. Es fällt uns daher äußerst schwer, die gemeinsame Aktion der beteiligten Mitgliedsstaaten zu verstehen, die zur Verschärfung von Spannungen beiträgt und so auch den demokratischen Öffnungsprozess in der Türkei konterkariert.
Am 24. Dezember letzten Jahres wurden im Osten der Türkei 80 gewählte Repräsentanten, politische Persönlichkeiten und Vertreter kurdischer NGOs festgenommen. Diese Verhaftungen folgten auf das Verbot der Partei für eine demokratische Gesellschaft (DTP). Schon im April letzten Jahres hatte es ähnliche Verhaftungen gegeben. Ein Teil der damals aufgegriffenen Personen befinden sich noch immer in Haft, ohne dass die Anklagepunkte bekannt gegeben wurden. Herr Osman Baydemir, gewähler Oberbürgermeister der Stadt Diyarbakir und ehemaliger stellvertretender Vorsitzender der Türkischen Vereinigung für Menschenrechte, steht noch heute unter Hausaurest und darf das türkische Territorium nicht verlassen. Herr Ahmet Türk und Frau Aysel Tu_luk, stellvertretende Vorsitzende der DTP, wurden ihres parlamentarischen Mandats enthoben und mit einem fünf-jährigen Politikverbot belegt. Diese Kette von Vorkommnissen hat die Suche nach einer politischen Lösung der Kurdenfrage zum Stillstand gebracht. Gleichzeitig hatte der von Premierminister Recep Tayip Erdogan, im Herbst letzten Jahres vorgelegte demokratische Öffnungsplan Anlass zu großen Hoffnungen gegeben. Der Wille der türkischen Regierung, die für den Beitritt wichtigen Dezentralisierungsreformen voranzutreiben, sowie der kurdischen Bevölkerungsgruppe kulturelle Rechte einzuräumen, wurde zur Kenntnis genommen.
Wir verlangen von den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die Türkei darin zu ermutigen, den von ihr begonnenen Prozess einer demokratischen Öffnung schnellstmöglich wieder aufzunehmen. Wir erinnern daran, dass letztlich alleine eine Verfassungsreform allen Bürgerinnen und Bürgern der Türkei volle und gleiche Rechte garantieren kann.
Wir bekunden unsere Unterstützung für Herrn Ali Mehmet Dogan und verlangen im Sinne einer raschen Freilassung, dass die Grundrechte aller Angeklagten im Prozess ohne Abstriche respektiert werden.

Erstunterzeichner :
François ALFONSI, Mitglied des Europäischen Parlaments, Grüne/EFA
Sandrine BELIER, Mitglied des Europäischen Parlaments, Grüne/EFA
José BOVE, Mitglied des Europäischen Parlaments, Grüne/EFA
Pascal CANFIN, Mitglied des Europäischen Parlaments, Grüne/EFA
Cornelia ERNST, Mitglied des Europäischen Parlaments, Linksfraktion GUE/NGL
Hélène FLAUTRE, Mitglied des Europäischen Parlaments, Grüne/EFA
Catherine GREZE, Mitglied des Europäischen Parlaments, Grüne/EFA
Nicole KIIL-NIELSEN, Mitglied des Europäischen Parlaments, Grüne/EFA
Jürgen KLUTE, Mitglied des Europäischen Parlaments, Linksfraktion GUE/NGL
Thomas HÄNDEL, Mitglied des Europäischen Parlaments, Linksfraktion GUE/NGL
Patrick LE HYARIC, Mitglied des Europäischen Parlaments, Linksfraktion GUE/NGL
Sarah LUDFORD, Member of European Parliament ALDE,
Michèle RIVASI, Mitglied des Europäischen Parlaments, Grüne/EFA

Zur Kenntnis : Dem Botschafter der Türkischen Republik bei der Europäischen Union, dem Botschafter der Türkischen Republik in Frankreich, dem Botschafter der Türkischen Republik in Belgien