Europas Zukunft. 80 Jahre Briand-Plan

Ein Rückblick in die Zukunft

Der 5. September gehört zu den eher unbekannten Erinnerungstagen. Im Kontext der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Lissabon-Vertrag, der Bundestagsdebatte um das Begleitgesetz dazu und der für den 2. Oktober geplanten Wiederholung des Referendums zum Lissabon-Vertrag in Irland ist ein Blick auf den 5. September 1929 dennoch lohnenswert.

Vor genau 80 Jahren stellte der damalige französische Außenminister Aristide Briand in Genf vor der Versammlung des Völkerbundes seinen Plan für eine »europäische Union« vor. Der Briand-Plan gilt als historische Grundlage der heutigen EU. Die Idee eines vereinten Europas ist allerdings nicht Briands Erfindung gewesen. Bereits im 18. Jahrhundert stand das Thema in der Diskussion, erste praktische Ansätze zur Kooperation wurden im 19. Jahrhundert umgesetzt. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 markierte zunächst das brutale Ende aller Ansätze der Zusammenarbeit.

Für die Protagonisten der Idee eines vereinigten Europas stand damals das Ziel an erster Stelle, innereuropäische Kriege zu überwinden: Sie hofften auf ein kollektives Sicherheitssystem, innerhalb dessen Interessengegensätze durch Schlichtung und Schiedsgerichtsverfahren auf nichtmilitärische Weise ausgetragen werden könnten.

Briand knüpfte an diese Traditionen an. Im Mittelpunkt seines Plans stehen drei Prinzipien: Friedenssicherung durch Kooperation bei Beibehaltung der Souveränität der Mitgliedsstaaten, ein prinzipieller Vorrang der Politik im Prozeß der gegenseitigen »Annäherung der europäischen Volkswirtschaften« und eine Kooperation mit den Staaten, die nicht der »europäischen Union« angehören. Der Verzicht also auf die Politik der Vormachtstellung und der abgeschotteten Grenzen.

Gerade im Vergleich mit diesem historischen Dokument wird überdeutlich, wie sehr sich die heutige EU von diesen ursprünglichen Ideen entfernt hat. Die Lissabon-Strategie – Leitlinie europäischer Wirtschaftspolitik der aktuellen Dekade – zielt explizit auf eine globale Dominanz der europäischen Ökonomie. Abgesichert wird diese mit einer zunehmenden Militarisierung – Kernbestand des Lissabon-Vertrags – der EU, die der Absicherung der wirtschaftlichen Interessen der Union gilt und insofern als neoimperialistisches Projekt betrachtet werden muß. Das Grenzsicherungssystem »Frontex« dient – komplementär – der Aussperrung von Flüchtlingen, deren Suche nach Lebenschancen auf dem »alten Kontinent« in brutaler Regelmäßigkeit tödlich endet.

Und was belegt deutlicher als die umfassenden Liberalisierungsvorschriften und Verbote der Reregulierung im Lissabon-Vertrag, daß das Primat der Wirtschaft vor der Politik sich durchgesetzt hat und in einem Vertrag mit Verfassungsrang und Vorrang gegenüber dem Recht der Mitgliedsstaaten festgeschrieben wird? Europa könnte den Iren nur dankbar sein, wenn es am 2. Oktober erneut zu einem Nein zum Lissabon-Vertrag käme!

Jürgen Klute (Die Linke) ist Mitglied des Europäischen Parlaments