Martinas Woche 12_2024: Von der EU-Osterweiterung bis zur EU in den Kommunen
EU-Osterweiterung – Handelserleichterungen für die Ukraine – NATO – Ratssitzung
In der vergangenen Woche tagte die Parlamentarische Versammlung EuroNest, in der Parlamentarierinnen und Parlamentarier der Länder der Östlichen Partnerschaft vertreten sind, früher auch Russland, und Abgeordnete des Europaparlaments. Aus unserer Delegation sind Martina Michels und Helmut Scholz Mitglieder dieser besonderen Parlamentarischen Versammlung, die meistens einmal im Jahr, im Wechsel in Brüssel oder in einem der Nachbarstaaten tagt. Die Parlamentarier verfassen gemeinsame Berichte zu Fragen der EU-Osterweiterung, Energie- und Sozialpolitik, zu Beitrittsperspektiven, wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Demokratieentwicklung. Martina ist neben dieser Mitgliedschaft noch in der Parlamentarischen Delegation EU-Südkaukasus, in der Armenien, Aserbaidschan und Georgien neben dem Europaparlament vertreten sind, und die natürlich insbesondere seit 2020 vom eskalierenden Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien gekennzeichnet ist.
Martina war anschließend noch im Regionalausschuss und verabschiedete sich in der Berliner Landesvertretung in Brüssel als Parlamentarierin. Am Wochenende dann war Konstanze erneut mit einem Projekt des Teams unterwegs, dem Zusammenhang von EU und Kommunen, und stellte unsere Handreichung zum Thema in einem Workshop in Duisburg bei der Kommunalpolitischen Konferenz der Linken in NRW vor.
11. Parlamentarische Versammlung EuroNest – Beitrittsperspektiven, Problemlagen
Martina war zu Wochenbeginn bei der 11. Versammlung von EuroNest und dort über das Plenum hinaus aktiv im Sozialausschuss. Für diesen Ausschuss hatte sie gemeinsam mit der armenischen Abgeordneten Maria Karapetyian einen Bericht erarbeitet, der sich mit der Lage der Kinder befasst, die aus der Ukraine mit ihren Eltern, zumeist nur Müttern, vor dem russischen Angriffskrieg geflüchtet sind oder im extremsten Falle von russischen Sicherheitskräften deportiert und in Russland zwangsadoptiert wurden. Die Auseinandersetzung um den Bericht wurde im Ausschuss einmal mehr von dem Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan überschattet und Martina musste, gemeinsam mit einer ukrainischen Abgeordneten, an das eigentliche Thema erinnern. Die Ukrainerin schilderte, wie die Deportationen von Kindern aus der Ukraine in Russland vonstatten gehen mit sofortigen Einbürgerungen, Adoptionen und neuen Namen. An die 20.000 Fälle werden inzwischen gezählt. Im Bericht wird dieses Verbrechen deutlich erwähnt und dieser wurde im Ausschuss und später auch in der Parlamentarischen Versammlung angenommen, sicher auch, weil er konkrete Maßnahmen enthält, wie dieses entsetzliche Unrecht rückgängig gemacht werden kann und wie anderseits auch den Kinder Unterstützung gewährt werden kann, die in einem „Wartedilemma“, getrennt von ihren Vätern, irgendwo in der EU oder den Nachbarländern sind und Bildungsangebote wahrnehmen sollten.
Im Sozialausschuss gab es über diesen Bericht, über den abgestimmt wurde, noch Berichte in Form von Vorträgen, die über e-Governance-Projekte in den Ländern der östlichen Partnerschaft berichteten. Streckenweise wirkte das auf unsere Abgeordnete aus Berlin ziemlich futuristisch, was es da alles in Estland, Moldau und auch der Ukraine, Armenien und Georgien an digital vermittelten Inklusions- und Bildungsprojekten in den Kommunen gibt, während wir nicht mal bei einfachen Bürgeramts-Terminen im Netz erfolgreich vorankommen.
Das Abschlussplenum von EuroNest – ebenfalls mit Interventionen zum ungelösten Konflikt um Bergkarabach – widmete sich jedoch besonders der Resolution, die die „Revolution in der Erweiterungspolitik“ durch den Kandidatenstatus der Ukraine, Moldaus und Georgiens zum Inhalt hatte. Deren EU-Beitrittsprozess begann mit den Entscheidungen des Rates im Dezember 2023. Und die Probleme folgen damit gleich auf dem Fuße, verhandelt in einem Bericht des Parlaments über Handelserleichterungen für die Ukraine. Sie reichen von der zollfreien Einfuhr ukrainischer Landwirtschaftsprodukte in die EU, über Energiepolitik und grüne Pfade bis zu dem mehrheitlich von den östlichen Nachbarländern vorgetragenen Interesse, die Aufrüstung der EU möglichst schnell voranzutreiben, da sie sich gegenüber Russland in einer Bedrohungslage verstehen. Dies ist für die Kräfte in der EU, die eine Sicherheitsstrategie verfolgen, die Abrüstung und eine diplomatische Überschreibung des Militärischen im Blick haben, keine einfache Konstellation. Denn man wird das Gefühl nicht los, dass die Östliche Partnerschaft derzeit hervorragend in die Aufrüstungsbestrebungen der EU passt, die mit Rüstungsproduktionsförderung und einem dabei vertragswidrigen Griff nach EU-Strukturmitteln sehr knapp, aber aktuell beschrieben werden kann.
Fazit: Der Erweiterungsprozess der EU wird uns alle bald deutlicher als bisher im Alltag beschäftigen. Wir werden lernen müssen, dass Solidarität auch etwas kostet, und EU-Strukturfonds, so sie in der heutigen Form wieder erkämpft werden, auch in die östliche Nachbarschaft fließen.
Die Loslösung von Russlands wiedererstandenem Imperium ist ein blutiger Prozess und dies seit vielen Jahren. Und dort, wo Russland sich als Schutzmacht tendenziell verabschiedet, wie im Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien, steht nicht nur die EU in der Tür. Erdoğan hat gute Freunde in Baku. Und genau dort findet vom 11. bis 24. November 2024 die UN-Klimakonferenz COP 29 statt. Die Wahl des Veranstaltungsortes ist geradezu ein Treffer ins Herz europäischer Konflikte. Denn in der Hauptstadt Aserbaidschan regiert eine der härtesten Autokraten-Dynastien, doch die EU ist hier mit seltsamen Doppelstandards am Werk. Frau von der Leyen klopfte mit liebevollen Worten an des Präsidenten Alijews Tür, um mit seinen Gaslieferungen die Abnabelung von russischem Gas zu bewerkstelligen. Auch wenn jeder weiß, dass hinter dieser fossilen Energiequelle auch zum Teil Russland steht, ist dies allein noch nicht die ganze Kritik an diesem Vorgehen. Das Hinwegsehen über politische Gefangene, über Druck auf Opposition und Medien ist mindestens ebenso fragwürdig in dem ziemlich instrumentellen Verhältnis der EU zu ihrer östlichen Nachbarschaft.
Mein Highlight des Treffens war die Rede der Chefin des oppositionellen Exilkabinetts von Belarus, Swjatlana Zichanouskaja. Sie erzählte auf ihre Weise, was Grenzen und was Freiheit bedeuten und woher Mut dieser Opposition kommt, die damit Teil der EuroNest-Versammlung wurde.
EU und Kommunen – ein komplexes Thema
Einmal mehr hatte sich Konstanze aufgemacht, die Handreichung unseres Büros zu erläutern, die tierschürfend in die mannigfaltigen Beziehungen zwischen EU und Kommunen schaut. Dort werden nicht nur Gesetzeslagen und aktuelle Verordnungen und Beispiele zum Umgang mit EU-Politik in Kommunen hinterfragt, sondern einmal mehr ein Blick auf die EU-Strukturfonds gelegt. Aber auch die Schuldenbremse als Würgegriff, der die Kommunen am Ende immer trifft, wird kritisiert und die mangelnde Demokratie der Kommunen im Brüsseler Gesetzgebungsprozess. Überdies verhandelt die Handreichung fünf sozialpolitische Schwerpunkte: Armut, Kinderarmut, Wohnen, Öffentliche Daseinsvorsorge und Gesundheit, anhand derer geltende EU-Vorhaben vorgestellt, aber auch weitergehende Forderungen linker Politik abgeleitet werden. Wenn ihr selbst noch einmal in die Handreichung schauen wollt, ihr findet sie auf der Homepage unserer Delegation unter Publikationen und auf Martinas Homepage.