Schule nach der Corona-Pandemie? Es geht nicht nur um Schulen…
Webinar der Europäischen Linken zur Bildungspolitik – Beitrag von Martina Michels
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Freunde und Genossinnen,
Danke für die Einladung: Ich werde mich kurzfassen.
Im vergangenen Jahr haben wir folgendes erlebt: Jede Branche, die Autoindustrie, die Landwirtschaft, die Kultur, der Gesundheitssektor oder die Tourismusbranche, alle haben gesagt, ihre Belastungen waren durch die Covid-19-Pandemie am schlimmsten. Und die hatten alle irgendwie echt. Dies geschah aus der Angst und dem Interesse heraus, bei allen regionalen, nationalen und europäischen Recovery-Programmen nicht vergessen zu werden.
Das ist verständlich und nachvollziehbar.
Eine politische Lobby war allerdings erstaunlich leise. Kinder und Jugendliche wurden zwar gern in Diskursen instrumentalisiert, wenn Corona-Schutzmaßnahmen kritisiert wurden. Aber kaum jemand hat sie gefragt, was derzeit gerade in ihrem Leben nicht gut läuft oder auch, was sie viel besser finden.
In Rumänen gab es 2020 mehrere Monate keine Schule. In Spanien, wir erinnern uns, war die Bewegungsintegration durch sehr harte Shutdowns erheblich eingeschränkt. Auch im reichen Deutschland standen ein Viertel aller Kinder ohne richtigen Computer oder Smartphone in beengten Wohnsituationen allein mit überforderten Eltern. Manche Kinder hatten Angst um ihre Eltern, wenn sie wieder den Wechselunterricht gehen sollten. Die sozialen und digitalen Gaps, die es schon zuvor in vielen Bildungssystemen der Mitgliedsstaaten gab, rissen immer weiter auf.
Es wurde viel über, aber selten mit Kindern und Jugendlichen gesprochen.
Es ist eigentlich erstaunlich, dass zu dieser Problematik die Kommission eine Studie herausgebracht hat. Auch sie ist nicht ganz frei von dem „über Kinder und Jugendliche“ reden. Aber in der Studie wird eine Frage konsequent gestellt:
Was waren die Jugend- und Bildungspolitik der EU während der Pandemie eigentlich wert?
Das ist wirklich eine gute Frage, denn alle EU-Bildungsprogramme – wie Erasmus+ oder das Solidarity Corps – waren konsequent auf eine physische Begegnung angelegt. Alle Programme mussten gänzlich neue Formen der digitalen Verständigung entwickeln…
Ein Fazit der Studie lautete deshalb:
1. gab es einen Mangel an verfügbaren Instrumenten für das Online-Lernen und fehlende Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Technologien
2. gab es einen Mangel an Lösungen für Situationen, in denen Online-Lernen keine Option ist
3. gab es keine Normen, keine Interoperabilität, gemeinsame Zugänglichkeit und Qualitätssicherung von digitalen Lerninhalten
Letztlich, um das abzukürzen, wurde den EU-Bildungsprogrammen – bei allem Bemühen – mangelnde Flexibilität bescheinigt, überhaupt mit moderne Bildungsmöglichkeiten und in digitalen Bildungsräumen arbeiten zu können.
Das Europaparlament hat auf die Selbstkritik der Kommission parallel mit der Erarbeitung von zwei Berichtes zur digitalen Bildung und zur Künstlichen Intelligenz in der Bildung geantwortet. Natürlich waren die Berichte auch zusätzlich von der Pandemie geprägt.
An beiden Berichten habe ich mitgearbeitet.
Schon 2018 gab es einen umfangreichen Bericht zur digitalen Bildung vom Europaparlament, der vor allem die mangelnde digitale Ausbildung der Lehrer festhalten musste. Der schulische Bildungsbereich ist letztlich nur ein Abbild von sozialer Segregation beim Umgang mit modernen Kultur- und Kommunikationstechniken.
Der neue Bericht von 2021 innert nochmal daran, dass 42 Prozent der Europäer keine rundlegenden digitale Fähigkeiten haben. Es gibt erhebliche Unterschiede innerhalb und zwischen den Mitgliedstaaten. Die Abhängigkeit der Nutzung digitaler Bildungsangebote ist klar abhängig vom sozioökonomischen Status, dem Alter, dem Geschlecht, dem Einkommen, dem Bildungsniveau und auch der Beschäftigungssituation in allen Lebensaltern.
In den Mitgliedstaaten der EU haben nur 35 Prozent der 55- bis 74-Jährigen grundlegende digitale Fähigkeiten, während 82 Prozent der 16- bis 24-Jährigen hier schon gut geschult sind.
Ältere Menschen sind anfälliger für digitale Ausgrenzung.
Andererseits ahnen wir, dass die pandemiebedingte Situation des Homeschooling nicht nur ein Spiegel der vielen Facetten des digitalen Gaps war, sondern auch auf Kosten vieler Frauen ging. Homeschooling war überhaupt nicht geschlechtergerecht verteilt.
Das zeigt schon ein wenig, dass das ganze Thema der Digitale Bildung nicht nur ein Thema für Schulen ist, sondern es geht langfristig um die Internetkompetenz aller, um die Beendigung von geschlechtsbezogenen Stereotypen, die uns im Medienalltag begegnen, aber auch in der Programmierung weitergetragen werden und so auch im Netz wieder auftauchen.
Kinder und Jugendliche, wir wissen es alle, lernen nicht nur in der Schule.
Und sowohl in als auch außerhalb der Schule ist Diskriminierung und Gewalt – auch im Netz – ein Problem.
Abschließend möchte ich zusammenfassen:
1. Bildungspolitik im engeren Sinne hat auch auf der EU-Ebene viel aufzuholen. Die Begegnungsinstrumente – die mit den Programmen möglich sind – müssen sozialer, aber auch digitaler werden und die müssen Lehrkräften offen stehen, was mit dem neuen Erasmus+ erstmalig möglich ist.
2. wir brauchen von der digitalen Infrastruktur bis zur Künstlichen Intelligenz generell einen gesellschaftspolitischen Ansatz, sonst wird Bildung immer nur ein Anhängsel industriepolitischer Entscheidungen und alle entscheidenden Aspekte – wie der soziale Zugang. Geschlechtergerechtigkeit, Inklusion (also auch die Barrierefreiheit im Internet), all das wird dann immer nachträglich an Technologie herangetragen. Wir lernen nun mal nicht für Arbeitsmärkte, sondern für eine Zukunft, in der wir ein gemeinsames Leben gestalten wollen.
3. Damit komme ich zum meinem allerletzten letzten Punkt:
Die Pandemie hat uns einerseits viele Lehrstellen aufgezeigt, auch die, dass digitale Möglichkeiten keine physischen Begegnungen ersetzen.
Wir wissen, dass die EU-Bildungspolitik eigentlich der Lage nicht gewachsen war. Immerhin hat sie es selbstkritisch festgehalten.
In vielen Mitgliedsstaaten müssen wir jetzt darauf achten, dass sowohl die Programmmittel des Mehrjährigen Finanzrahmens als auch die Mittel aus dem Recovery Programmen auch Investitionen in eine inklusive und progressive Bildung enthalten.
Und dabei stehen für uns Linke auch die alten Fragen auf dem Programm.
Privatisierungsprozesse können wir uns in der Bildung nicht weiter leisten. Auch technologische Investitionen in eine moderne Bildung gehören in die öffentliche Hand und nicht in Abhängigkeiten von großen Unternehmen und Datenfressern.
Wir müssen darauf achten, dass preiswerte Schullizenzen von guter Lernsoftware überall vorhanden sind und fördern wir Investitionen in Barrierefreiheit, hier ist ja auch viel Gutes mit digitalen Mitteln möglich, dass wir von unterschiedlichen Orten lernen könnten.