EU: Mehrheitsentscheidungen und Machtverschiebungen
Gastbeitrag für die-zukunft.eu
Vor allem Frankreich und insbesondere Deutschland haben die europäischen Machtverhältnisse zu ihren Gunsten verschoben, ein Gastbeitrag von Sabine Lösing und Claudia Haydt, zuerst erschienen auf dem Blog die-zukunft.eu.
Dieser Beitrag ist in gekürzter Fassung auch im Print des Neuen Deutschlands erschienen, sowie hinter einer Paywall online zu finden.
Konsens in der gemeinsamen Außenpolitik? Das Prinzip, das selbst beim Militärbündnis NATO noch gilt, möchten EU-Machtpolitiker nun vollständig über Bord werfen. Aktuell kursiert in Brüssel der Entwurf für den „Jahresbericht über die Umsetzung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ (GASP), der noch in diesem Jahr verabschiedet werden soll. In ihm schließt sich der konservative Berichterstatter David McAllister (CDU) der seit Jahresbeginn seitens der Kommission lautstark erhobenen Forderung nach einer Einführung qualifizierter Mehrheitsentscheidungen (65% der EU-Bevölkerung und 55% der EU-Mitgliedsstaaten) im gesamten GASP-Bereich an.
Der Berichtsentwurf macht sich dabei nicht einmal allzu viel Mühe, die machtpolitischen Hintergründe der Forderung zu verbergen. Für die „von der Europäischen Union angestrebte globale Führungsrolle“ sei es äußerst hinderlich, „dass die Mitgliedstaaten allzu oft ihre nationalen Interessen in den Vordergrund stellen, unabhängig von den möglichen Folgen auf europäischer Ebene, was die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union als globaler Akteur beeinträchtigt.“ Die Abschaffung des Konsensprinzips zugunsten qualifizierter Mehrheitsentscheidungen soll hier Abhilfe schaffen, indem darüber künftig sichergestellt wird, dass kleine und mittlere Staaten durch den Verlust ihres Vetorechts innerhalb der Brüsseler Machtarchitektur massiv an Einfluss einbüßen.
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Damit verfügen Deutschland und Frankreich zusammen also bereits nahezu über eine Sperrminorität, mit der sie jede unliebsame Initiative versenken können. Dieselbe Möglichkeit soll aber anderen Ländern gleichzeitig so weit wie möglich versperrt werden. Damit würde sich die Europäische Union weiter weg von einem Staatenbund mit – relativ – flachen Hierarchien hin zu einem Europa der Großmächte bewegen – und genau das ist auch Sinn und Zweck der Übung, wie etwa die regierungsnahe „Stiftung Wissenschaft und Politik“ recht unverblümt einräumt: „Die qualifizierte Mehrheit im Rat mit ihren Anforderungen (55% der Mitgliedstaaten, die 65% der EU-Bevölkerung repräsentieren) verleiht den großen Mitgliedstaaten erhebliches Gewicht. […] Die Mehrheitsverfahren funktionieren dann am besten, wenn sie genutzt werden, um Mitgliedstaaten zu Kompromissen zu bewegen, die sie im Fall eines einzelstaatlichen Vetorechts abgelehnt hätten.“