„Verschwindet Europas Kulturerbe in der digitalen Welt?“*
Martina Michels lud zum Fachgespräch am 9. April 2018 nach Brüssel
Unter dieser Überschrift trafen am Montagvormittag Studentinnen und Studenten des Masterstudienganges Museumsmanagement/Museumskommunikation der HTW Berlin und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Europäischen Parlament auf den Urheberrechtsanwalt Dr. Paul Klimpel von iright.law.
Das Fachgespräch wurde organisiert auf Einladung von Martina Michels, die zum Auftakt im Orbit des Flightrackings verschwunden war. In den verzögerten Start sprang beherzt der Europaabgeordnete Martin Sonneborn, gut befreundet mit dem Studienleiter. Prof Oliver Rump, der seine Studentinnen und Studenten seit Tagen durch Brüssels Museums-, Pommes- und Stadtlandschaften begleitete. Mit den entspannten Eindrücken aus dem Leben eines Europaabgeordneten, die Martin Sonneborn exemplarisch zum Besten gab, war es dann jäh vorbei, als Martina Michels eintraf und Paul Klimpel aufforderte zu erläutern, worin die größten Klippen europäischer Regelungen für die Speicherung und Zugänglichmachung des europäischen kulturellen Erbes liegen.
Eine der größten Hürden liegt schon im wenig harmonisierten Urheberrecht begründet, welches alle noch 28 Mitgliedstaaten irgendwie selbst und höchst verschieden vorantreiben. Andererseits ist die tradierte Geschichte des europäischen Urheberrechts, in dem es zu keinem Zeitpunkt gültige Registrierungen gab, ohnehin ein Labyrinth der Rechte. Damit verbundene Lizenzierungen, deren Verkäufe und Abtretungen, binden in der Nachverfolgung fachliche und finanzielle Ressourcen, die eigentlich Museen nicht in erster Linien belasten sollten, aber angesichts des verwirrenden Status Quo auch nicht vernachlässigt werden können. Ergebnisse von Forschungen für aktuelle Sammlungen und Ausstellungsvorhaben halten immer zugleich diverse Unwägbarkeiten und Überraschungen bereit, die für Ausstellungen und Sammlungen ernsthafte Hürden darstellen, um weltweit in der Forschung, der Zugänglichkeit und der geschichtlichen Erzählung selbst, umfassend mithalten zu können. Besonders der Vergleich zum US-amerikanischen copyright stellte Paul Klimpel exemplarisch in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Die Rechtspraxis, sowie brauchbare Regelungskreise beim Umgang und der Aufarbeitung unseres kulturellen Gedächtnisses offenbarte große Unterschiede, hinter denen ganz unterschiedliche Auffassungen des US-amerikanischen Copyrights und des europäischen Urheberrechts stehen. Damit ist dann verbunden, dass in den USA beinahe wie selbstverständlich, nach den akuten Verwertungsphasen, Filme und Bilder, sowie kulturgeschichtliche Artefakte aller Art, unkomplizierter gemeinfrei werden können, hingegen in Europa das Urheberrecht eher wie ein individuelles Menschenrecht privatisierend gehütet wird und in der Konsequenz öffentliche Zugänge verunmöglicht werden. Die Folge ist europaweit das Walten einer Kultur der Angst, so Paul Klimpel, die die Aufarbeitung in kulturellen Gedächtnisinstitutionen begleitet, statt den überfälligen Weg einer offenen Nutzungskultur zu beschreiten, die neben einem besseren Zugang, einer größeren Öffentlichkeit des Kulturerbes, z. B. auch im weltweiten Wettbewerb von Erzählungen und vergleichenden Forschungen mehr Chancen hätte.
Besonderes Problem in der musealen Praxis sind gerade die verwaisten Werke, die entweder nie für die kommerziellen Gebrauch produziert wurden, deren Schöpfer unbekannt sind und unter Umständen auch ohne jede Verwertungsabsicht unseren Alltag begleiteten, wie ein Flyer der 68er Bewegung, Familienfotos, u. ä. Viel wird mit Annahmen und Vermutungen gearbeitet, wenig ist nachhaltig vernünftig und unkompliziert geregelt. Auch die reformierte Urheberrechtsrichtlinie, die gerade in Brüssel – noch immer im Rechtsausschuss – ihrer ersten entscheidenden Abstimmung harrt, hat das kulturelle Erbe nur wenig im Blick. Bibliotheken, Wikimedia und andere ziehen zwar klar an einem Strang, doch von Museen und Sammlungen hört man bis heute zu wenig. Deren Lobbyarbeit steckt in den Anfängen und es gibt ganz offensichtlich einiges für die nächste Generation zu tun. Innerhalb der Copyrightrichtlinie sind die wenigen Ausnahmen für Bildung, Wissenschaft und Kulturelles Erbe bisher Stückwerk geblieben, einiges ist zu den verwaisten Werken und zur out of commerce-Regelung vorgeschlagen, aber die politischen Konflikte, die besonders laut verhandelt werden, die das Leistungsschutzrecht und die upload-Filter betreffen, haben offenbar verhindert, dass die vorliegenden praktischen Erfahrung mit der kaum hinreichenden Richtlinie für die verwaisten Werle von 2012 gleich mit aufgearbeitet und vernünftig geregelt werden.
Wer den Themen weiter nachgehen will, findet bei Paul Klimpel reichlich Material und Anregung. Auf jeden Fall sind die europäischen Lösungen für die sogenannten GLAM-Institutionen (Galerien, Bibliotheken, Archive und Museen) beim Urheberrecht längst nicht da, wo sie sein sollen. Die neue Digitalkommissarin gab bei der Frage nach den Unzulänglichkeiten der derzeitigen Richtlinie, die ihr Martina Michels bei ihrer Vorstellung 2017 stellte, keine Auskunft und keine Lösungsrichtung. Kommissarin Gabriel hat die Probleme des Urheberrechts für alles, was noch tief in den Verwertungszyklen steckt, den Markt flutet, die Auseinandersetzungen zwischen Plattformen und klassischen Medien, die Konflikte innerhalb der Filmbranche und dergleichen trifft, auf den Schirm. Das ist verständlich, denn auch da liegt vieles im Argen, aber es ist nicht hinreichend. Zu wenig kümmert das Erbe – auch mitten im Europäischen Kulturerbejahr 2018 – und dass es einen Bedarf für Digitalisierung über die Speicherung hinaus gibt. Das politische Handlungsfeld ist enorm und ziemlich unbeackert, vor allem auch auf Seiten der Politik. Ein Fachgespräch ist da letztlich nur ein bescheidener Baustein. Andererseits gibt es auf alljährlichen Institutionen, wie Konferenzen, Monitoring und Publikationen, die von irights.law und anderen veranstaltet und veröffentlicht werden, einen qualifizierten Fachdiskurs, der unbedingt mehr europäische Öffentlichkeit braucht.
Aktuelle Empfehlung ist der Sammelband, hrsg. von Paul Klimpel: Mit guten Recht erinnern, ein Band, der in jeden Schrank von Ausstellungsmachern und Sammlungsleitungen gehört.
*der Titel stammt von Dr. Paul Klimpel, gewählt für das hier besprochene Fachgespräch am 9.4.2018 im Europaparlament in Brüssel