TTIP: Mit Vollgas in den Freihandel
Von Carsten Hübner, Experte für internationale Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit
Die deutsche Automobilindustrie zählt zu den größten Befürwortern des TTIP. Ihre Lobby ist mächtig und politisch gut vernetzt. Der Wegfall von Zöllen und nicht-tarifären Handelshemmnissen verspricht zusätzliche Milliardengewinne. Besonders die Automobilarbeiter in den USA würden damit weiter unter Druck geraten.
Bei den Spitzenverbänden der europäischen und US-amerikanischen Automobilindustrie herrscht transatlantische Einigkeit. In einer gemeinsamen Erklärung vom 11. März 2014 unterstrichen ACEA, AAPC und Alliance[1] ihre Erwartung, dass die von ihnen geforderte Angleichung der Sicherheitsstandards für Kraftfahrzeuge im Rahmen der TTIP-Verhandlungen auch tatsächlich im Vertragswerk festgeschrieben wird. Sie soll nach Vorstellung der Autolobby in zwei Schritten erfolgen: Die gegenseitige Anerkennung bestehender Vorschriften und die engere Abstimmung zwischen den Genehmigungsbehörden der EU und der USA bei künftigen Regelungen.
Eine Perspektive, die Bernhard Mattes, Vorsitzender der Geschäftsführung der Ford-Werke GmbH, geradezu euphorisiert. „TTIP bietet die einzigartige Chance, die hohen Standards und Normen gemeinsam weiterzuentwickeln und so einen zentralen Baustein für die Zukunft einer freiheitlichen, internationalen Wirtschaftsordnung zu legen“, verkündete er dem Auditorium des 16. Technischen Kongress des VDA am 20. März 2014 in Hannover. Die politische Tragweite von Vorschriften für Außenspiegel, Blinker und Stoßstangen war damit in der notwendigen Klarheit umrissen.
Grundsätzlich ist die internationale Vereinheitlichung von Sicherheitsbestimmungen und Kontrollen durchaus zu befürworten. Fraglich ist jedoch, warum dafür ausgerechnet ein Freihandelsabkommen den passenden Rahmen abgeben soll. Außerdem dürfte im Interesse aller Verkehrsteilnehmer gerade in diesem Fall nicht das Motto „approved once – accepted everywhere“[2] Anwendung finden, wie es die Autoindustrie wünscht. Denn die Folgen sind absehbar. Zunächst würden doppelte Standards etabliert und dann ein Anpassungsdruck nach unten erzeugt, der fraglos zulasten des Verbraucherschutzes ginge. Stattdessen müssten die höchsten Standards international normgebend sein. Dafür spräche auch die große Zahl von Rückrufaktionen der Automobilindustrie, denen nicht selten sicherheitsrelevante Mängel zugrunde liegen. Unter dem Diktum globaler Standortkonkurrenz, verschärften Wettbewerbs und einer schier übermächtigen Lobby wird ein solches Vorgehen auf dem politischen Parkett von Brüssel und Washington derzeit jedoch nicht einmal erwogen.
Die Autokonzerne haben demnach beste Aussichten, mit TTIP richtig Kasse zu machen. VDA-Präsident Matthias Wissmann[3] spricht von einem jährlichen Einsparvolumen in Höhe von 11,5 Mrd. Euro. Er nennt dies das „Wohlfahrtspotenzial von TTIP“. Dem ist insofern zuzustimmen, als dass den Autobauern ein Extraprofit zukäme, für den sie nicht einmal etwas tun müssten. Im Gegenteil, sie hätten dafür sogar explizit weniger zu tun, was sich zuallererst im Wegfall jener Arbeitsplätze in Entwicklung und Produktion niederschlagen würde, die mit der Modifizierung von Fahrzeugen für den Export befasst sind. Dazu kämen, ebenfalls in Milliardenhöhe, Einsparungen durch die Aufhebung von Einfuhrzöllen, die bisher in die Haushalte von EU Kommission und US Regierung fließen.
Von TTIP erfasst würden 32 Prozent der globalen Automobilproduktion und 36 Prozent der Autoverkäufe weltweit. Die Automobilindustrie generiert somit rund 10 Prozent des gesamten Handels zwischen der EU und den USA. Dabei sind die Gewichte allerdings äußerst ungleich verteilt. Während die EU im Jahr 2013 Light Vehicles[4] im Wert von 36,8 Mrd. US$ in die USA exportiert hat (+10,5%), exportierten die USA im selben Zeitraum lediglich Fahrzeuge für 8,3 Mrd. US$ (-12,6%) in die EU. Ein vergleichbar großes Handelsdefizit der USA gibt es auch gegenüber Deutschland, das 2013 Light Vehicles für 26 Mrd. US$ in die USA exportierte (+10,2%), aber nur für 5 Mrd. US$ (-19,4%) Fahrzeuge importierte.
Die Zahlen machen deutlich, dass die deutsche Autoindustrie in der Branche mit Abstand der größte Nutznießer des TTIP wäre. Derzeit liegt der Zollsatz für Light Vehicles, die von der EU in die USA exportiert werden, bei 2.5 Prozent. In umgekehrter Richtung sind es hingegen 10 Prozent, weshalb für den AAPC, der die US-Autobauer GM, Ford und Chrysler vertritt, auch die Reduzierung der EU-Einfuhrzölle große Bedeutung hat.
Angesichts des Handelsdefizits mit Deutschland und Europa zeigen sich vor allem die Gewerkschaften der US-amerikanischen Automobilindustrie besorgt über den Fortgang der TTIP-Verhandlungen. Bereits das 1994 in Kraft getretene Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) zwischen den USA, Kanada und Mexiko hat nach Berechnungen des Washingtoner Thinktank Economic Policy Institute zum Verlust von rund 700.000 Industriearbeitsplätzen in den USA geführt, viele davon bei Autobauern und Zulieferern, die Teile ihrer Produktion nach Mexiko verlagert haben. Von hier beliefern sie zollfrei den US-Markt, profitieren gleichzeitig aber von den deutlich niedrigeren Löhnen und Sozialabgaben. Die Importe von Light Vehicles aus Mexiko in die USA lagen im Jahr 2013 mit einem Warenwert von 20 Mrd. US$ (+14,9%) nur knapp hinter denen Deutschlands. Der Export nach Mexiko fiel hingegen kaum ins Gewicht.
Ebenfalls zu Ungunsten US-amerikanischer Automobilarbeitsplätze scheint sich das im März 2012 in Kraft getretene Freihandelsabkommen KORUS mit Südkorea auszuwirken. Die Exporte von Fahrzeugen nach Korea stiegen zwischen 2011 und 2013 lediglich von 14.819 auf 27.553 Einheiten, während die koreanischen Importe im selben Zeitraum von 587.328 auf 752.675 Einheiten zunahmen. Das Außenhandelsdefizit der USA gegenüber Südkorea erreichte im Jahr 2013 mit insgesamt 20,67 Mrd. US$ einen historischen Höchststand. Leo W. Gerald, Chef der Gewerkschaft United Steelworkers (USW), nannte das KORUS FTA vor diesem Hintergrund „gescheitert“ und forderte eine Politik zum Schutz US-amerikanischer Arbeitsplätze. Dafür müssten unter anderem „durchsetzbare Arbeits- und Umweltstandards“ implementiert werden, deren Einhaltung durch strenge Vertragsklauseln sicherzustellen sei. Die USW ist mit 850.000 Mitgliedern die größte Gewerkschaft der US-Privatwirtschaft. Rund ein Drittel ihrer Mitglieder arbeitet bei Zulieferern der Automobilindustrie.
Probleme bereitet den Gewerkschaften aber auch die Situation in den USA selbst. Das Land ist zwar Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), hat aber nur zwei der acht ILO-Kernarbeitsnormen ratifiziert. Damit würden auch die Arbeits- und Sozialstandards in Europa und Deutschland unter Druck geraten. Während die US-Autobauer General Motors, Ford und Chrysler alle gewerkschaftlich organisiert sind, haben es BMW, Mercedes und Volkswagen vorgezogen, sich im gewerkschaftsfeindlichen Süden anzusiedeln. Bis heute hat keines ihrer Werke eine gewerkschaftliche Vertretung.
Carsten Hübner (Jg. 1969) ist freier Journalist und Berater für internationale Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit. Er lebt und arbeitet in Berlin. Kontakt: carsten-huebner@posteo.de„>carsten-huebner@posteo.de
[1] ACEA: European Automobile Manufacturers’ Association; AAPC: American Automotive Policy Council; Alliance: Alliance of Automobile Manufacturers.
[2] „Approved once – accepted everywhere“: Gilt ein Standard in einem Wirtschaftsraum, dann gilt er auch im anderen.
[3] VDA: Verband der Automobilindustrie
[4] Light Vehicles: PKW und leichte LKW bis 6,35 t