Interview für die griechische Zeitung „Avgi“

H.T.: Wie beurteilen Sie das kürzlich zur Rettung Griechenlands geschaffene Instrument? Zu spät, zu wenig?

S.W.: Die Maßnahmen zur Stützung Griechenlands werden zu spät kommen.
Zudem sind ja noch immer nicht in Kraft gesetzt worden. Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass bereits im Februar 2009 in der Europäischen Kommission über die Auflage von Eurobonds diskutiert wurde. Mit diesen Eurobonds könnten Kreditrisiken auf die EU insgesamt bzw. auf unterschiedlich starke Länder verteilt werden. Es war damals Finanzminister Steinbrück, der diese Überlegungen brüsk zurückwies. Hätte man sich damals diesen Ideen geöffnet, wäre der gegenwärtige Angriff der Finanzmärkte auf Griechenland nicht möglich.

H.T.: Welche politischen, sozialen und ökonomischen Folgen wird die Intervention des IWF in Griechenland haben?

S.W.: Die Hilfen sollen ja ausdrücklich nur dann gewährt werden, wenn ein weiterer, schärferer Sparplan verabschiedet wird. Ich fürchte, dass davon einmal mehr die griechischen Lohnabhängigen und sozial Schwachen betroffen sein werden. Die Einschaltung des Internationalen Währungsfonds ist ein sehr schlechtes Zeichen. Der IWF hat sich bereits in vielen Ländern als bloßer Erfüllungsgehilfe der Finanzmärkte gezeigt. In Ungarn, Lettland und in Rumänien hat er in dieser Krise ohne jede soziale Rücksicht saniert. Griechenland könnte nun sein nächstes Opfer sein.

H.T.: Ist dieses Eingreifen des IWF ein ernster Rückschlag für die Eurozone?

S.W.: Eindeutig ja! Es ist das Eingeständnis der Europäischen Union und insbesondere der Länder der Eurozone, ihre Probleme nicht mehr selbst lösen zu können. Statt den Raum der gemeinsamen Währung gemeinsam zu verteidigen, holt man sich den aus Washington gelenkten IWF an den Tisch. Das ist nicht nur peinlich, das ist auch politisch dumm. Jeder in der Welt muss jetzt einfach die Achtung vor dem Euro verlieren.

H.T.: Was für ein Präzedenzfall wird in Griechenland geschaffen?

S.W.: Wir müssen bereits jetzt beobachten, dass sich die Finanzmärkte nicht mit dem Fall Griechenlands zufrieden geben. Nun sind auch Portugal und sogar Spanien unter Druck geraten. Es ist ein Flächenbrand, der sich da  auszubreitet. Viele hatten gewarnt, dass es so kommen würde, leider vergeblich.

H.T.: Was halten Sie von der Reaktion von Angela Merkel? Arbeitet sie faktisch europäischen Interessen zuwider?

S.W.: Sie glaubt, mit ihrem restriktiven Verhalten, deutsche Interessen zu verteidigen. Hier irrt sie aber. Es gibt wohl kein Land in der EU, das vom freien Binnenmarkt und dem Euro so stark wie Deutschland profitiert. Die deutsche Industrie hätte niemals solche Exporterfolge erzielen können, wäre da nicht die EU. Die deutschen Güter und Dienstleistungen gehen doch vor allem in diese Länder. Gerät die EU nun in eine Krise, so ist vor allem Deutschland der Verlierer.

H.T.: Welche Beweggründe sehen Sie für ihre Haltung? Die bevorstehenden Wahlen in Nordrhein-Westfalen? Den Druck seitens ihrer liberalen Partner? Oder beides?

S.W.: Ja, ich fürchte beides. Das Wahlergebnis für die CDU wird bei den anstehenden Wahlen in Nordrhein- Westfalen nicht gut ausfüllen. Auch die FDP wird verlieren. In dieser Situation wollen beide Rechtsparteien man mit dem Aufgreifen von Ressentiments gegenüber der griechischen Bevölkerung Stimmen zu gewinnen. Vor allem die FDP tut sich da hervor. Die CDU aber vor allem wollen da nicht nachstehen. Das ist unverantwortlich.

H.T.: Welche Auswirkungen kann die Griechenland-Krise nach Ihrer Meinung für die EU haben?

S.W.: Die griechische Krise kann zum Auslöser für eine große Krise der gesamten Eurozone und der EU werden. Alle Länder mit hohen Defiziten – Irland, Portugal, Spanien, die baltischen Staaten, womöglich auch Italien und Großbritannien – können schon morgen Opfer der Finanzmärkte sein.

H.T.: Vermittelt diese Krise irgendeine Art Botschaft?

S.W.: Die „Message“ dieser Krise ist ganz eindeutig. Eine gemeinsame Währung kann ohne eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht funktionieren. Gegenwärtig hängt der Euro ohne einen solchen Unterbau aber in der Luft. Eine Währung ohne ein Minimum von Staat und vor allem ohne Solidarität untereinander kann einfach auf Dauer nicht existieren. Das haben wir Linken in Deutschland immer gesagt. Entweder wir gehen jetzt entschieden ein großes Stück weiter in der Integration oder es geht wieder zurück, mit allen bitteren Konsequenzen.

H.T.: Welche Rolle könnte die Europäische Linke Ihres Erachtens in dieser Krise spielen?

S.W.: Als Europäische Linke haben wir vor allem unsere uneingeschränkte Solidarität mit den kämpfenden Lohnabhängigen in Griechenland und in den anderen Ländern zu zeigen. Ihr Kampf gegen die Finanzmärkte ist auch unser Kampf! Als Linke haben wir zu zeigen, dass hier nicht Mentalitäten von Völkern gegeneinander stehen sondern Klasseninteressen. Wir dürfen uns nicht gegeneinander ausspielen lassen, denn das hätten die Herrschenden gern.

Für Avgi fragte Helen Tserezole.
in Griechisch veröffentlicht am 9. Mai 2010