Wissen gehört allen

Lothar Bisky

Zum „Welttag des geistigen Eigentums“ erklärte der Vorsitzende der europäischen Linksfraktion GUE/NGL und stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Kultur und Bildung im Europäischen Parlament, Lothar Bisky:

Das Internet und die Digitalisierung nahezu aller Bereiche unseres Lebens haben unsere Kommunikationslandschaften gewaltig verändert. Die Produktion, die Speicherung und Verbreitung von Wissen hat zum einen den Zugang zu Information und zu neuen Kommunikations- und Kulturformen einfacher und schneller gemacht. Zum anderen ist ein großer Teil der Weltbevölkerung durch den Mangel an den technologischen Voraussetzungen bis heute von der Erprobung und Nutzung dieser neuen Kulturtechniken weitestgehend ausgeschlossen.

Doch auch innerhalb der westlichen Welt ist durch eine enorme Konzentration innerhalb der Kommunikationsindustrie die Entwicklung eines demokratischen Rechtemanagements, welches die Interessen der Informations- und Kreativarbeiter- und -innen sichert, als auch die Bedürfnisse und Kommunikationsleistungen der Nutzerinnen und Nutzer im Netz berücksichtigt, bisher auf der Strecke geblieben. Wenn auch die Versuche der Unterhaltungsindustrien insbesondere bei Musik, Videos und Filmen sich mit ihrem DigitalRightManagement (DRM) einseitig durchzusetzen, immer wieder an der Offenheit des Netzes, an Tauschbörsen und ähnlichem gescheitert sind, so bleiben bis heute wesentliche Fragen eines modernen Urheberrechts, welches der digitalen Welt und einem Wissenszugang für alle gerecht wird, ungeklärt.

Zum anderen entstehen immer neue Geschäftsmodelle, wie der I-tunes-Store von Apple, die Lizenzanbieter von Software wie Microsoft oder die Diensteanbieter, wie die großen Suchmaschinen und die Betreiber der sozialen Netzwerke, die ein modernes Urheberrecht einseitig interpretieren und nur noch den Zugang zu Daten verkaufen ohne den Käufern eine umfängliche Weiternutzung zu gewähren und zugleich hinreichend die Nutzerdaten zu schützen.

Der Zugang zu Wissen und Information muss dringend neu geregelt werden, ehe es zum Industrierecht der Großen verkommt und nach alten privateigentümlichen Mustern vermarktet wird – und dies noch dazu ohne reale Aushändigung von Datenressourcen, also unter Verweigerung der Weiterveräußerungsmöglichkeit eines erworbenen Produktes. Das Urheberrecht muss sowohl den Kreativen ein Auskommen sichern, als auch für private Nutzerinnen und Nutzer, sowie für Bildungs- und Forschungseinrichtungen überarbeitet werden. Informationen und Forschungsergebnisse, in die auch nur ein Cent öffentliche Gelder geflossen sind, müssen allen zur Verfügung stehen. Deren Produkte – Werke – sollten unter einer Creative-Commons-Lizenz verpflichtend veröffentlicht werden. Das Urheberrecht ist zu einem Anreizrecht auszubauen, dass mehr Spielräume und Möglichkeiten der Nutzung für Verbraucherinnen und Verbraucher eröffnet und zugleich den Urhebern einen gesetzlich garantierten Mindestverdienst sichert. Filesharing muss legalisiert werden. Kollektive Rechteverwaltungen und Verwertungsgesellschaften müssen gestärkt werden.
Wichtig für den allgemeinen Wissenszugang ist auch, dass die Netzneutralität nicht weiter verletzt wird. Wir kämpfen für gleiche Bedingungen im Netz. Es darf keine Bevorteilung für ein schnelleres Netz aus kommerziellen Gründen geben. Dies muss gesetzlich festgeschrieben werden.
Zum anderen stehen alle internationalen Urheberrechtsregelungen auf dem Prüfstand. Groß ist die Gefahr, dass das gegenwärtig verhandelte ACTA-Abkommen, welches als multilaterales Handelsabkommens den Kampf gegen Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen steuern soll, nichts als eine verstärkte Kontrolle des Internets, Eingriffe in Privatsphäre und Grundrechte und Internetsperren vorsieht – ohne dabei neue, dem digitalen Zeitalter angemessene Urheberrechtsregelungen zu formulieren.

Dies bedeutet nichts als Einschränkungen bzw. einen Ausschluss für Menschen weltweit vom Zugang zu Wissen, Produktivität und den Austausch von Wissensentwicklung selbst.

Diese Entwicklung werden wir nicht unterstützen. Unter dem Vorwand, Patentverletzungen verhindern zu wollen, soll unter dem Druck der Großkonzerne Entwicklungsländern der Zugang zu Forschungsergebnissen und Technologieinformationen versperrt werden. Wir fordern die Verhandelnden auf, die ACTA-Vereinbarungen mit allen Beteiligten und Betroffenen offen zu führen.
Brüssel, 26. April 2010

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Sonja Giese
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