Martina während des Fachgesprächs am 30.9.2021
Martina während des Fachgesprächs am 30.9.2021

Israel: 100 days of the new government coalition

Chancen für Veränderung, Chancen für den Frieden?

Unter dem Titel: „100 days of the new government coalition in Israel – Chances for change, Chances for peace?“ lud Martina, gemeinsam mit Vertreter*innen der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv, am vergangenen Donnerstag zu einem Fachgespräch. 

Nicht nur in Deutschland stehen Linke immer wieder vor der Frage, ob und wann der Eintritt in eine Regierungskoalition besser ist, als eine starke, klare Oppositionsrolle einzunehmen.

In Israel hat im Juni 2021 – nach vier Wahlen innerhalb von nur zwei Jahren – eine ungewöhnliche Regierungskoalition aus acht Parteien die Regierungsgeschäfte von Benjamin Netanjahu übernommen. Diese Koalition deckt ein so breites politisches Spektrum ab, dass man sicherlich nicht von einer Einheitsregierung sprechen kann. Dennoch schafften es diese unterschiedlichen Kräfte, eine Koalition zu bilden und immerhin die Hälfte der Stimmen in der Knesset auf sich zu vereinen. Die religiösen, säkularen, liberalen, progressiveren, jüdischen und arabischen Parteien schienen vor allem in dem Ziel vereint, den inzwischen ehemaligen Ministerpräsidenten nach 12 Jahren abzulösen.

Mit Aida Touma-Suleiman von der Hadash-Partei/Joint-List-Fraktion als Vertreterin der linken Opposition mit dem Anspruch echter jüdisch-arabischer Partnerschaft und Mossi Raz, linker Vertreter der in der Regierungskoalition vertretenen Meretz-Partei, hatte Martina zum Online-Expertengespräch Politiker*innen der linken Opposition und auch eine linke Stimme innerhalb des Regierungsbündnisses eingeladen.

Die Auffassungen, ob die ersten 100 Tage dieser neuen Regierung bereits reale Grundlagen für politische Veränderungen in Israel und in der Region legen konnten, waren allein schon sehr unterschiedlich. Klar ist, dass Veränderungen dringend nötig sind und es mit einer erneuten Netanjahu-Regierung ganz sicher keine gegeben hätte. Es scheint, als sei auf der politischen Ebene erst einmal eine andere Atmosphäre entstanden. Sicher ist nicht plötzlich eine progressive, jüdisch-arabische, linke, grüne, auf Menschenrechte orientierte Partnerschaft entstanden, aber doch der taktische Zwang zu einer gewissen Abstimmung und zu gegenseitigem Respekt beim Erarbeiten politischer Projekte und Entscheidungen. Tatsache ist aber auch, daß die illegale Besatzung, die Siedlungspolitik, verbunden mit Gewalt, Misstrauen und Anfeuern der ethnischen Konflikte, weitergehen und sich verfestigen. Ein deutliches Zeichen dafür ist auch das Schweigen auf internationalem Parkett. So brachte es Regierungschef Bennet fertig, Palästinenser in seiner Rede vor der UN-Generalversammlung als solche nicht einmal zu benennen und zu erwähnen. 

In Europa wurde die Ablösung von Benjamin Netanjahu als Regierungschef von vielen begrüßt und es entstanden Hoffnungen, den festgefahrenen Konflikt anders anzupacken. Doch Illusionen hinsichtlich schneller und wirklich fundamentaler Fortschritte muss sich niemand hingeben. Die internationale Gemeinschaft kann nicht übersehen, daß die Regierung bislang die Besatzungspolitik stillschweigend vertieft, dass Checkpoints nicht abgebaut werden, dass der Versuch, bestimmte Themen nicht anzusprechen aus dem Interesse herrührt, die Regierungskoalition zu legitimieren und auch deren kritischen Stimmen zum Schweigen zu bringen. Damit werden der Status quo legitimiert und die Stimmen, die gegen Menschenrechtsverletzungen protestieren, möglichst verdrängt.

Umso schwerer wiegt die Verantwortung der EU und der internationalen Gemeinschaft. Für die Linken im Europaparlament sind und bleiben die Genossinnen und Genossen der Joint List die engsten Partner in Israel. Zugleich hoffen wir, dass die progressiven Vertreter*innen in den Regierungsparteien mit ihren Rufen nach Einhaltung der Menschenrechte, nach sozialer Gerechtigkeit und Frieden dank der Unterstützung aus der Opposition nicht verstummen. Wir sind hier solidarisch, auch indem wir Öffentlichkeit für die aktuelle Situation mit unseren Möglichkeiten herstellen. 

Unser Dank galt am Donnerstag Vormittag natürlich auch den beiden Gästen, sowie der kompetenten Unterstützung durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv und Berlin.